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"Jetzt erst recht" Jüdisches Filmfestival trotzt der Angst

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Der Film "The Vanishing Soldier" erzählt von einem 18-jährigen, israelischen Soldaten, der die Nase voll hat.

Der Film "The Vanishing Soldier" erzählt von einem 18-jährigen, israelischen Soldaten, der die Nase voll hat.

(Foto: "The Vanishing Soldier"/ © JFBB)

Der Krieg im Gaza-Streifen und wachsender Antisemitismus in Deutschland: In diesen Krisenzeiten feiert das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg (JFBB) sein 30-jähriges Bestehen. "Natürlich machen wir uns Sorgen. Aber wir denken auch: Jetzt erst recht", sagt Festivaldirektor Bernd Buder im Interview mit ntv.de. Buder erzählt, wie er mit der Angst vor einem Anschlag umgeht. "Wir müssen nicht nur mit der Angst vor Terror, sondern auch mit den Konsequenzen nach einem Terroranschlag umgehen", sagt er.

ntv.de: Inwiefern hat der 7. Oktober 2023 das Festival verändert?

Bernd Buder ist seit 2021 Programmdirektor JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg.

Bernd Buder ist seit 2021 Programmdirektor JFBB Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg.

(Foto: picture alliance/dpa | Jens Kalaene)

Bernd Buder: Die Strategie von Terroristen ist es, die Gesellschaft zu spalten und Angst zu erzeugen. Diesem Druck wollen wir uns nicht preisgeben. Deshalb haben wir die Filmreihe "Der Angst begegnen" in das Programm reingeholt. Darin geht es um Terroranschläge und ihre Folgen, nicht unbedingt nur gegen Juden. Ein Filmfestival hat die Aufgabe, den Dialog aufrechtzuerhalten und Fragen in alle Richtungen zu stellen. Kino gibt Erfahrungen und persönliche Schicksale weiter.

Trotz der angespannten Situation findet das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg dieses Jahr statt. Und das bereits zum 30. Mal. Haben Sie keine Sorge, dass etwas passiert?

Antisemitismus ist kein neues Phänomen. Damit ist die jüdische Welt ständig konfrontiert. Auch der Nahostkonflikt ist nicht neu. Neu ist eher, dass es derzeit eskaliert. Natürlich machen wir uns Sorgen. Aber wir denken auch, jetzt erst recht.

Auch die Doku "Supernova. The Music Festival Massacre" über den Terroranschlag am 7. Oktober 2023 zeigt Ihr Festival. Was denken Sie, wie das Publikum darauf reagieren wird, das Massaker auf großer Leinwand zu sehen?

Der Film ist intensiv, weil er die Zuschauer mitten ins Geschehen wirft. Er zeigt viele Handy-Aufnahmen von Menschen, die verfolgt und massakriert werden. Auch Überlebende kommen zu Wort. Das kann überwältigend sein. Aber im Kino sind die Zuschauer nicht allein mit ihren Gedanken und Gefühlen. Im Anschluss an die Vorführungen gibt es ein Gespräch mit Gal Dalal, Überlebender des Massakers, sowie Regisseur Duki Dror. Auch danach wird dieser Film die Zuschauer noch lange beschäftigen.

Warum haben Sie sich dafür entschieden, den Film zu zeigen?

Wir haben lange über diese Entscheidung diskutiert. Am Ende würden wir die Geschichte manipulieren, wenn wir den Film nicht gezeigt hätten. Wir wollten vor allem die Opfer in den Blick nehmen. Jene Menschen, die im Namen Palästinas von der Hamas umgebracht wurden. Viele der Opfer wie auch Shani Louk waren Teil der Techno- und Trance-Szene. Nach dem Anschlag solidarisierten sich Menschen aus ebendieser Szene sehr einseitig mit Palästina. Diese Solidarisierung ist vorschnell und sehr naiv, denn die Menschen aus dieser Szene sind diejenigen, so wie sie sich kleiden, tanzen, trinken und leben, die zu den ersten Opfern der Hamas gehören würden.

Ist eine Gedenkminute geplant?

Ich bin kein Freund von Ritualen. Wenn Menschen den "Supernova"-Film sehen, ergibt sich das automatisch. Viele Filme aus unserem Programm vermitteln Empathie. Unsere Filmauswahl ist eine Stellungnahme für gute Filme.

Was sind für Sie "gute Filme"?

Wir sind gegen Filme, die einen belehren. Ein guter Film stellt Fragen und regt zum Nachdenken an. Ein Beispiel aus diesem Jahr ist "The Vanishing Soldier". In dem Spielfilm des israelischen Regisseurs Dani Rosenberg geht es um den 18-jährigen Shlomi, der als israelischer Soldat in die Gräuel des Konfliktes verstrickt ist, irgendwann das Gewehr wegschmeißt und wegrennt. Er will nur zu seiner Freundin. Der Film ist vor dem 7. Oktober entstanden. Nach dem Terroranschlag bekommt das eine andere Bedeutung. Für mich ist er ein universeller Film, der auch andere Kriege darstellen könnte. Denn das Thema Wehrdienst geht jeden Menschen etwas an. Auch hier in Deutschland. Als ich den Film gesehen habe, konnte ich mich gut mit Shlomi identifizieren.

"The Vanishing Soldier" ist eine israelische Produktion. Von den 71 Filmen in Ihrem Programm sind 27 aus Israel. Ist das eine Stellungnahme?

Israelische Filme laufen momentan sehr selten auf internationalen Festivals. 90 Prozent der Filmemacher aus Israel kritisieren die Politik der derzeitigen Regierung. Wesentliche Kritikpunkte teilen wir mit der israelischen Filmszene. Selbstverständlich stehen wir zum Existenzrecht Israels. Viele unterscheiden nicht. Wir sind kein israelisches Filmfestival, sondern ein jüdisches Filmfestival.

Die Unterscheidung ist Ihnen wichtig.

Ja. Israel ist der wichtigste Zufluchtsort für Juden auf der Welt. Es gibt arabische und christliche Israelis, aber Israel ist zu großen Teilen ein jüdisches Land. Insofern kann sich ein jüdisches Filmfestival von Israel nicht lösen. Aber das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg will alle Facetten der jüdischen Gegenwart, Geschichte und Zukunft zeigen. Unter die Klammer "jüdisch" fällt sowohl die romantische Komödie als auch der Experimentalfilm. Zuschauer können bei uns viele neue Perspektiven entdecken.

Welche?

Wir werden oft auf die Themen Shoah und Nahostkonflikt reduziert. Und Filme über die Shoah erzählen oft jüdische Familiengeschichten und sind auch in Dramaturgie, Aufbau und Musik ähnlich. Der Film "Revenge: Our Dad the Nazi-Killer" erzählt die Geschichte aus einem neuen Blickwinkel. Darin geht es um Boris Green, einen Juden aus Belarus, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Australien auswandert. Jahrzehnte später hegen seine Söhne den Verdacht, dass ihr Vater Nazis, die nach Australien geflohen waren, umgebracht hat. Rache und Selbstjustiz thematisieren Filme über die Shoah nur selten. Wir wollen Juden nicht immer nur als Opfer zeigen.

Zeigen Sie auch Filme, die andere Seiten des Konfliktes darstellen?

Ich finde den Begriff "Seiten" unpassend. Der Nahostkonflikt ist kein Fußballspiel. Jeder Mensch in der Region ist betroffen. Und diese Betroffenheit zeigt unsere Filmauswahl. Wie zum Beispiel der Kurzfilm "Ordinary". Darin geht es um einen jungen Palästinenser, der illegal die eine Grenze zu Israel übertritt. Ein gleichaltriger israelischer Soldat erwischt ihn bei diesem Versuch. Die beiden sind sich sympathisch und entgegen seinen Vorgaben entscheidet sich der israelische Soldat, den jungen Palästinenser wieder freizulassen. Was dann passiert, will ich jetzt nicht verraten. Der Film zeigt eindrücklich, dass alle unter der Situation leiden.

Inwiefern macht so ein Film Hoffnung auf Versöhnung?

Zur Versöhnung gehört die Bereitschaft beider Seiten. Der Anspruch an eine Versöhnung ist in allen Konflikten der Welt sehr hoch. Daher passt der Begriff "Annäherung" momentan vielleicht besser. Ein Beispiel aus unserem Programm ist die Doku "Telling Nonie". Es geht um einen israelischen Geheimdienstagenten, der 1956 an einem Anschlag auf den ägyptischen General Mustafa Hafez in Gaza beteiligt war. Jahrzehnte später nimmt der Mossad-Agent den Kontakt zu Hafez' Tochter Nonie auf, um Verantwortung zu übernehmen.

Warum haben Sie keine palästinensischen Filme im Programm?

Diese Entscheidung hat keine politischen Beweggründe. Es hat keinen palästinensischen Film gegeben, der auch jüdische Perspektiven zeigt. 2021 war der palästinensische Spielfilm "200 Meter" Teil unseres Programms.

Die Berlinale zeigte in diesem Jahr die Doku "No other Land". Darin erzählt der Palästinenser Basel Adra von der Vertreibung der Palästinenser aus Dörfern im Westjordanland durch die israelische Armee. Begleitet wird Adra von dem israelischen Journalisten Yuval Abraham. Adra und Yuval waren Teil des Antisemitismus-Skandals auf der Berlinale. Haben Sie sich deshalb gegen den Film entschieden?

So wie Sie es formulieren, hört es sich nach einer politischen Entscheidung an. Wir haben uns nicht gegen den Film entschieden, sondern wir haben uns nicht dafür entschieden. Der Film war Teil dieser misslungenen Abschlussveranstaltung und bekam dadurch einen Symbolcharakter. Wenn wir also diesen Film ins Programm aufgenommen hätten, hätten uns alle nur nach diesem einen Film gefragt. Das hätte uns nicht gutgetan, denn wir wollen die Aufmerksamkeit auf viele Filme lenken.

Haben Sie sich darauf vorbereitet, dass es beim JFBB zu einer ähnlichen propalästinensischen Aktion kommen könnte?

Ich spüre da einen gewissen Erwartungsdruck seitens der Presse, dass wir Angst haben müssen. Wir können es nicht ausschließen. Wir haben uns mental darauf vorbereitet. Das Filmfestival ist ein Dialog. Das Kino ist ein Ort, an dem Meinungen ausgetauscht werden. Da treffen Meinungen aufeinander. Wir zeigen auch Filme, die nicht unsere Meinung abbilden. Angst haben Menschen, wenn irgendjemand über ihre Grenzen geht und sie selbst deshalb nicht mehr zu Wort kommen. Die vielen Veranstaltungen mit jüdischem Bezug, bei denen Menschen niedergeschrien wurden, müssen allen Menschen Angst machen.

Haben Sie die Sicherheitsvorkehrungen erhöht?

Ja. Wir sind achtsam und stehen mit den örtlichen Polizeidienststellen in Kontakt.

Haben Sie Angst vor einem Terroranschlag?

Heute schwingt zu jeder Zeit an jedem öffentlichen Ort die Angst vor einem Terroranschlag mit, ob organisiert oder durch sogenannte "Einzeltäter" oder sogenannte "psychisch Kranke".

Wie gehen Sie mit der Angst um?

Wir müssen nicht nur mit der Angst vor Terror, sondern auch mit den Konsequenzen nach einem Terroranschlag umgehen. Nach solchen Anschlägen, wozu auch die NSU-Anschläge und Hanau gehören, müssen wir einen Weg finden, mit Terror umzugehen, ob wir es wollen oder nicht. Wir müssen uns der Realität stellen.

Das Jüdische Filmfestival Berlin und Brandenburg findet vom 18. bis zum 23. Juni statt.

Mit Bernd Buder sprach Rebecca Wegmann

Quelle: ntv.de

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