Person der Woche: Ulrike Meinhof Warum hassen so viele Linke Israel?
28.05.2024, 09:47 Uhr Artikel anhören
Es begann mit Karl Marx und reicht bis Greta Thunberg: Lautstarke Hetze gegen Juden gehört erstaunlicherweise seit 150 Jahren zur DNA linker Bewegungen. Der derzeitige Links-Furor gegen Israel erinnert sogar an Ulrike Meinhof und die "Judenknax"-Debatte der Siebziger.
Die Proteste gegen Israel eskalieren: Palästina-Aktivisten und protestierende Studenten weltweit sprechen dem Land immer lauter das Existenzrecht ab, aktivistische Kultur-Schaffende beklagen auf großen Bühnen einen angeblichen Genozid in Gaza. Waren anfangs Muslime besonders engagiert, sind es jetzt immer öfter Anhänger linker Ideen, die Israel beschimpfen. Von Greta Thunberg bis Judith Butler intonieren linke Ikonen "Israelkritik", doch der linksbewegte Protest trägt zusehends offen antisemitische Züge und äußert sich sogar in gezielten Aggressionen gegen Jüdinnen und Juden. Die aggressive Lust, Israel zu "canceln", ist weithin spürbar.
Der latente Antisemitismus der Linken sitzt tiefer als man ahnt. Er speist sich vordergründig aus unreflektiertem Postkolonialismus: Israel sei imperialistisch, rassistisch und betreibe eine koloniale Expansionspolitik. Die Palästinenser werden zu einer Art indigenem Volk umdefiniert. Im woken Klassenkampf-Weltbild sind Palästinenser, Araber, Muslime die Opfer. Israel, Europa und die USA hingegen Täter. Dass Israel in Wahrheit die einzige Demokratie umgeben von lauter arabischen Diktaturen ist, dass die Hamas den Gaza-Krieg mit einem Massenschlachten von Zivilisten in Israel ausgelöst hat und bis heute Geiseln hält, dass arabischer Kulturkampf-Imperialismus aggressiv unterwegs ist, Israel hingegen als multikultureller Pionierrechtsstaat gegründet ist - all das wird unter weiten Teilen der Linken völlig ausgeblendet.
Von Marx bis zur Linkspartei
Grund dafür sind die tiefen Wurzeln der linken Juden-Diffamierung. Schon der französische Frühsozialismus war weithin antisemitisch und wähnte in den Rothschilds mitsamt einem angeblichen "jüdischen Finanzfeudalismus" die Wurzel allen Übels. Jahrzehntelang raunten Linke über die "Rothschilds"; die "Rockefellers", die "amerikanische Ostküste" als eine Chiffre für Jüdinnen und Juden. Das Bild der Krake - jüngst auch von Greta Thunberg neu in Szene gesetzt - liefert ein klassisches Antisemitismus-Symbol für die angebliche Weltbeherrschung durch die "Geldjuden". Argumente, Sprachbilder und Diffamierung entsprechen eins zu eins dem faschistischen Antisemitismus.
Karl Marx selbst lieferte mit seinem Text "Zur Judenfrage" (1843) den geistigen Grundstein für blanken antisemitischen Hass: "Welches ist der weltliche Grund des Judenthums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld." Die Passagen von Marx über Juden lesen sich zuweilen wie Originaltexte von Nazis. Das Judentum sei "ein allgemeines gegenwärtiges antisociales Element". In der jüdischen Religion liege "die Verachtung der Theorie, der Kunst, der Geschichte, des Menschen als Selbstzweck". Selbst "das Weib wird verschachert".
Diese Kritik von Marx wurde hernach über Generationen von Linken adaptiert. Der Sowjetkommunismus war explizit antisemitisch ausgerichtet, es gab Säuberungskampagnen unter Stalin gegen angebliche "jüdische Verschwörungen". Auch in der DDR grassierte breiter sozialistischer Antisemitismus. Der ARD-Fernsehjournalist Stefan Meining ("Kommunistische Judenpolitik") und der Historiker Michael Wolffsohn ("Die Deutschland-Akte") haben das ausführlich belegt. Diese anti-israelische DDR-Tradition setzt sich bis heute in Teilen der SED-Nachfolgepartei "Die Linke" fort.
Juden als Anschlagsziel
Die KPD wie die DKP warnten wiederum in West-Deutschland jahrelang vor "jüdischem Kapital", vor jüdischen Wucherern und ihren "Vorposten des US-Imperialismus" namens Israel. Viele Mitglieder der RAF-Terroristen sind folgerichtig in Camps palästinensischer Gruppen in Jordanien oder Jemen ausgebildet worden. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) befand sich im Sommer 1969 in einem Ausbildungslager der Fatah. Die Westberliner Tupamaros (die später im jüdischen Gemeindehaus in Berlin eine Bombe ausgerechnet am Jahrestag der Reichspogromnacht legten) waren auch dort und erhielten eine militärische Ausbildung an Waffen und Sprengstoff.
Am 13. Februar 1970 folgte dann ein Brandanschlag auf ein Altersheim der Israelitischen Kulturgemeinde München. Sieben ältere Menschen, meist Überlebende des Holocaust, kamen im Haus Reichenbachstraße 27 ums Leben. Das Attentat geht nach neueren Recherchen des Historikers Wolfgang Kraushaar auf das Konto linksradikaler Täter der Gruppe "Tupamaros München".
Die geistige Anführerin dieses linken Israel-Hasses war keine Geringere als die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, die genau vor 50 Jahren verurteilt wurde. Die heutige Israelkritik der linksextremen Szene nimmt bewusste Anleihen bei Meinhof. Nach dem palästinensischen Anschlag auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 formulierte Meinhof rasch das jetzt sich wiederholende Muster einer Täter-Opfer-Umkehr - so wie die deutsche Linke nach dem Hamas-Massenmord vom 7. Oktober und der Reaktion Israels im Gaza-Krieg im wesentlichen Israel-Kritik betreibt.
Wenn Linke ihren "Judenknax" überwinden ...
In Meinhofs Papier "zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes" verteidigte sie seinerzeit die Geiselnahme jüdischer Sportler in München als "mutiges Kommando gegen zionistische Soldaten, die in München als Sportler auftraten" und attackierte zugleich die Bundesrepublik, weil sie Israel unterstütze und "sein Wiedergutmachungskapital" bezahlt habe. Israel betreibe "Ausrottungspolitik", Deutschland dürfe keine Waffen mehr nach Israel liefern, forderte Meinhof wie heutige Linksprotestierer. Ulrike Meinhof war der Ansicht, dass der Antisemitismus in Wirklichkeit nichts anderes als Antikapitalismus sei. Die Feindschaft zu Israel und die gefühlte Nähe zu palästinensischen Terrorgruppen sind jedenfalls im linken Milieu eine Konstante geblieben.
Seit dem Sechstagekrieg 1967 ergreifen Linke in Deutschland weithin einseitig für die arabisch-palästinensische Seite Partei. Dieter Kunzelmann schrieb seinerzeit: "Palästina ist für die BRD und Europa das, was für die Amis Vietnam ist. Die Linken haben das", so Kunzelmann im November 1969, "noch nicht begriffen. Warum? Der Judenknax." Linke müssten den deutschen Judenknax, also den Schuldkomplex, überwinden und Israel offen bekämpfen.
Überwunden hatte diesen "Judenknax" der RAF-Terrorist Wilfried Böse, der im Sommer 1976 bei einer Flugzeugentführung jüdische und nichtjüdische Passagiere eiskalt selektierte. "Die RAF wäre ohne die Unterstützung palästinensischer Organisationen nicht aktionsfähig gewesen", resümiert Wolfgang Kraushaar. Und er warnt mit Blick auf die aktuell wieder aufgeheizte Stimmung: "Angesichts der Eskalation im Nahen Osten droht eine neue Form der Militanz nicht nur auf islamischer, sondern auch auf der linken Seite."
Quelle: ntv.de