Blindflug bei Methan-Erfassung? Warum viele Länder ihren Ausstoß nur schätzen
09.01.2023, 11:33 Uhr (aktualisiert)
Die Landwirtschaft und die Abfallindustrie sind zwei der drei großen menschlichen Methanquellen.
(Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Wire)
Methan ist das zerstörerischere der beiden großen Klimagase. 40 Prozent entweichen auf natürliche Weise in die Atmosphäre durch Moore, andere Feuchtgebiete oder Vulkane. Für die übrigen 60 Prozent der Emissionen ist der Mensch verantwortlich in der Öl- und Gasindustrie, der Landwirtschaft und der Abfallindustrie. Wie viel Methan wir genau in die Atmosphäre pusten, ist aber erstaunlich oft unklar. Nicht überall sind Unternehmen verpflichtet, ihre Emissionen zu erfassen. Satelliten helfen erst seit einigen Jahren, Risse oder undichte Ventile in riesigen Pipeline-Netzwerken aufzuspüren. Länder wie Rumänien oder Malaysia messen ihren Ausstoß daher nicht, sondern schätzen nur. "Das sind generische Daten, von denen unklar ist, ob sie repräsentativ sind", erklärt Stefan Schwietzke. Dennoch ist der Methan-Experte des Environmental Defense Fund überzeugt, dass wir die Klimakrise nicht blind, sondern effektiv bekämpfen: "Wir kennen die Emissionsprozesse in den verschiedenen Industrien und Möglichkeiten zur Eindämmung", sagt er im "Klima-Labor" von ntv zuversichtlich. "In der Öl- und Gasindustrie könnte ohne Kosten die Hälfte der Emissionen eingespart werden."
ntv.de: Bei Methan denken viele Menschen sofort an rülpsende Rinder und Kühe. Ist das die Hauptquelle für den globalen Ausstoß?

Stefan Schwietzke untersucht, wie Methanemissionen gemessen und in einem weltweiten Berichtssystem am besten erfasst werden können.
(Foto: Enviromental Defense Fund)
Stefan Schwietzke: Es gibt leider viele Hauptquellen. Erst einmal muss man festhalten, dass etwa 60 Prozent der globalen Emissionen von menschlichen Aktivitäten stammen. Dort sind es zu etwa gleichen Teilen fossile Brennstoffe, die Landwirtschaft und Abfall.
Gelten Kühe als menschliche Tätigkeit?
Ja, weil wir sie natürlich managen.
Und bei den übrigen 40 Prozent reden wir von natürlichen Prozessen, bei denen Methan freigesetzt wird?
Das sind größtenteils Feuchtgebiete oder geologische Sickerstellen wie Vulkane. Auch Waldbrände verursachen Methanemissionen. Die werden manchmal ebenfalls zu den menschlichen Aktivitäten gezählt, aber natürlich gab es die auch schon vor unserer Zeit.
Bei den menschlichen Aktivitäten gilt die Gasindustrie - verglichen mit anderen fossilen Brennstoffen wie Öl oder Kohle - als klimafreundliche Brücke. Stimmt das? Denn Methan ist ja gerade kurzfristig für die Erderwärmung ein Riesenproblem.
Die CO2-Emissionen sind im Vergleich zu Kohle bei der Gasverbrennung etwa halb so hoch. Das ist die Ratio. Die ignoriert allerdings, dass Methan bei der Gasproduktion und -nutzung austritt.
Wird das denn in den Berechnungen der Bundesregierung erfasst?
In den Emissionsberichten der deutschen Regierung sind diese Methanemissionen enthalten. Aber abgesehen von wenigen Komponenten kann man Methan letztlich fast mit Erdgas gleichsetzen. Da gehört Deutschland zu den großen Importeuren: Etwa 90 Prozent der Gasprodukte, die wir konsumieren, werden außerhalb der deutschen und zum großen Teil der EU-Grenzen hergestellt. Ein Großteil der Wertschöpfungskette - Exploration, Produktion, Verfeinerung, Transport, Weiterleitung und natürlich die Nutzung - findet sich also nicht in den deutschen Berichten wieder.
Woher wissen wir denn, wie groß unsere Emissionen tatsächlich sind? Bei Kühen wurde der Ausstoß über Jahre überschätzt. Und in der Gasindustrie steht niemand mit einem Messgerät daneben und verrät uns, wie viel ausströmt oder verloren geht.
Methan gehört zu den schädlichsten Klimagasen. Es ist ungefähr 83 Mal schädlicher als Kohlendioxid, hat aber auch eine viel kürzere Verweilzeit: Für den gesamten Abbau von CO2 werden mehrere Tausend Jahre benötigt. CH4 wird dagegen in 8 bis 15 Jahren vollständig in der Atmosphäre abgebaut. Der doppelte Vorteil: Methan verschwindet schneller und hat gleichzeitig einen größeren Kühleffekt, der Zeit für komplexere Vorhaben schaffen kann. Noch ist der Trend allerdings nicht umgekehrt: Nach Angaben der US-amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde wurde 2021 zum zweiten Mal in Folge der stärkstes Anstieg der Methan-Konzentration in der Atmosphäre überhaupt verzeichnet.
Das wäre wünschenswert, ist durch Satelliten aber auch immer häufiger der Fall. Die Messgeräte sind jedenfalls nicht das Problem, es gibt extrem präzise Instrumente. Die können für ein Luftvolumen mit einer Milliarde Moleküle sagen, ob sich darin 2000 Methanmoleküle befinden oder doch 2001. Das erfasst man entweder direkt an der Quelle oder über sogenannte atmosphärische Messungen, die in der Nähe stattfinden und modelliert werden müssen, bevor man sagen kann: So und so viele Tonnen Methan wurden emittiert. Das ist der Idealfall, aber das passiert nicht oft. In vielen Fällen wird der Ausstoß berechnet wie bei der Explosion der Nord-Stream-Pipeline. Selbst wenn man die Liefermengen nicht kennt, kann man mithilfe des Drucks feststellen, wie viel Gas in der Leitung war. Es gibt allerdings Unsicherheiten: Die Pipeline lag auf dem Meeresboden. Wie viel Methan ist auf dem Weg der Meeresoberfläche verloren gegangen?
Das bedeutet?
Im Wasser gibt es Mikroorganismen, die sich von Methan ernähren.
Die wären in der Atmosphäre nicht schlecht.
(lacht) In der Atmosphäre wird Methan leider nicht über biologische, sondern nur chemische Prozesse abgebaut. Aber zurück zu den Emissionen: Diese zu messen, wäre ideal. Falls das nicht geht, wird berechnet. Klappt auch das nicht, wird viel geschätzt - zum Beispiel in Rumänien. Dort hat man in vielen Fällen keine eigenen Daten zur Erfassung.
Also weiß selbst die EU nicht genau, wie viel Methan sie eigentlich ausstößt?
Es gibt solche Fälle in der EU, die meisten aber außerhalb. Rumänien nutzt für seine Schätzung Emissionsfaktoren, die der Weltklimarat (IPCC) zur Verfügung stellt. Das sind Durchschnitte verschiedener Länder. Generische Daten, bei denen unklar ist, ob sie repräsentativ sind. Die stehen dann in einem Bericht, aber eigentlich handelt es sich um Schätzungen. Es gibt auch noch die vierte Kategorie, die Nicht-Erfassung. Dazu zählen unbekannte Methanquellen oder Emissionsereignisse, von denen man nicht weiß, dass sie existieren. Vor der Satellitenrevolution waren uns viele große Emissionen oder Lecks überhaupt nicht bewusst. Diese Daten wurden erst in den vergangenen Jahren gesammelt.
Macht denn "Schätzen" und "Nicht erfassen" einen großen Unterschied? Rumänien kann doch mit Daten, von denen man nicht weiß, ob sie zutreffen, keine Klimaziele festlegen.
Diesen Tenor hört man häufiger: Wie kann es sein, dass bei der Weltklimakonferenz Methanreduzierungen vorangetrieben werden, wenn man nicht genau weiß, ob die Daten stimmen? Wir wissen aber, dass die Methanemissionen zu groß sind. Es gibt seit einigen Dekaden Langzeitmessungen, die Informationen zu den globalen Emissionen liefern. Wir kennen auch die Quellen der verschiedenen Industrien und sogar Möglichkeiten, wie wir diese Emissionen eindämmen können. In der Öl- und Gasindustrie zum Beispiel durch die Reparatur von Lecks.
Die findet man auch in oder an deutschen Pipelines häufiger.
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Ja, aber das ist nur ein Teil davon. Erdgas wird auch beim sogenannten Venting einfach abgelassen. Das kann man auffangen und ebenfalls verwenden. Man kann auch bessere Ventile einbauen, um zu verhindern, dass Methan entweicht. Was wir brauchen, sind mehr Daten für die Methanbudgets der einzelnen Länder und Unternehmen.
Damit man darüber international verhandeln kann?
Für Verhandlungen, aber auch, um agieren und festlegen zu können: Diese Emissionen müssen zuerst unterbunden werden.
Wie werden die Emissionen denn den einzelnen Ländern zugeschlagen? Unser Erdgas wurde bisher vor allem über Pipelines angeliefert, die durch mehrere Länder verlaufen. In Zukunft erfolgt der Transport auf Schiffen über die See. Wer ist verantwortlich, wenn dort Methan austritt?
Bei den Pipelines ist es simpel. Bei einem Leck gilt der Ort, wo sie sich befindet. Dadurch wirken die deutschen Methanemissionen aus dem Öl- und Gastransport auch so gering und vernachlässigbar: Der allergrößte Teil fällt außerhalb der deutschen Grenzen an.
Bei LNG-Tankern, die Flüssiggas transportieren, weiß ich ehrlich gesagt nicht, in welchem Land Emissionen berichtet werden. Die Firmen, die Transport und Lieferungen organisieren und durchführen, sind nur in wenigen Ländern wie Norwegen verpflichtet, sie zu erfassen. Einige Unternehmen berichten seit einigen Jahren auch freiwillig über ihre Emissionen - glücklicherweise, denn in dem Augenblick, wo sie anfangen zu messen, lernen sie, welche Prozesse das meiste Methan ausstoßen.
Wie kann man diese Erfassung denn verbessern?
Länder wie Deutschland, die USA oder Großbritannien berichten schon sehr detailliert, wo immer es geht. Dort gibt es noch Aufholbedarf bei den Messmethoden und beim Umfang. Wie groß sind die Unsicherheiten? Sind diese Daten repräsentativ für einen Industriezweig? Mein Arbeitsbereich ist eher international. Das meiste Potenzial sehe ich in Ländern mit minimaler Berichterstattung, wo man eigentlich nicht von Messungen sprechen kann. Das ist das größere Problem.
Wie viele Länder betrifft das?
Dutzende. Auf jeden Fall zu viele Länder für einen allein. Im letzten Quartal war ich in Malaysia, um mit der Regierung, Unternehmen und Universitäten zu sprechen und zu schauen: Wie ist der Stand der Dinge in anderen Ländern, wie Deutschland? Welche Möglichkeiten gibt es, Methanemissionen zu erfassen? Was kann getan werden, um sie zu reduzieren? Sehr viel Arbeit, aber es passiert unheimlich viel.
Zeigen Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, die viel Geld mit der Förderung und Produktion von Gas verdienen, Interesse daran, ihre Emissionen ordentlich zu erfassen?
Das ist unterschiedlich. Wir bereiten gerade ein Messprojekt im Oman vor, das wird unser Einstieg in den Nahen Osten. Dort ist man offen für unsere Pläne, mehr zu messen und besser zu berichten. Natürlich auch, um Geld einzusparen, denn wie gesagt: Man kann Methan fast mit Erdgas gleichsetzen. Je mehr verloren geht, desto weniger kann man verkaufen.
Sollten Unternehmen nicht generell wissen, ob ihre Röhren Risse und Löcher haben oder aus einem anderen Grund Gas verlieren? Ich weiß doch, wie viel Gas ich reingepumpt habe. Wenn am Ende nicht dieselbe Menge ankommt, ist das ja keine Frage der Emissionserfassung.
Dazu muss man sich bewusst machen, dass es ein Leck gibt. Methan ist auch ein unsichtbares und geruchloses Gas, das erst einmal produziert werden muss. Ein großer Teil der Emissionen wird dabei verursacht. Und es gibt leider keinen Messzähler direkt am Rohr, der alles haargenau erfasst.
Es klingt so, als wäre der sehr nützlich.
Selbst dann bliebe aber die Frage: Wer hat die Obhut über das Methan? Derjenige, der das Gas produziert? Derjenige, dem Schiff oder Pipeline gehören? Oder derjenige, der es kauft?
Wo würden Sie denn anfangen, die Emissionen zu reduzieren - bei den Kühen oder doch in der Gasindustrie?
In der Gasindustrie. Die Emissionen von Kühen sind global gesehen zwar ungefähr so groß wie die Emissionen der gesamten Öl- und Gasindustrie. Wir reden von 70 bis 80 Millionen Tonnen pro Jahr. Man muss bei der Reduzierung aber unterscheiden, was technisch möglich ist, aber Geld kostet, und was wirtschaftlich erreicht werden kann, ohne zusätzliche Kosten zu verursachen. Da sagt der Stand der Wissenschaft: In der Öl- und Gasindustrie kann die Hälfte der Emissionen ohne Zusatzkosten eingespart werden.
Das wären die Leckagen?
Genau, das betrifft aber auch das Venting, also das Ablassen von Gas. Das kann aufgefangen werden. Bei Kühen kann man ohne Zusatzkosten nur zwei Prozent der Emissionen einsparen.
Weil man ihnen das Rülpsen und Pupsen nicht verbieten kann?
Ja, das wird schwierig. Setzen wir auch noch technische Möglichkeiten ein, können in der Öl- und Gasindustrie sogar 80 Prozent der Emissionen eingespart werden. Bei den Kühen wären es immerhin 30 Prozent. Aber dafür müssen wir noch Investoren finden.
Mit Stefan Schwietzke sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 08. Januar 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de