
Ob ein oder zwei Striche -in Bayern und Baden-Württemberg hat das kaum mehr Auswirkungen.
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Mit positivem Corona-Test auf die Straße, zur Arbeit und in die Schule? In Bayern und Baden-Württemberg ist das ab sofort möglich. Und auch weitere Bundesländer planen bereits die Abschaffung der Isolationspflicht. Warum das ein Fehler sein könnte, zeigen verschiedene Studien.
In Bayern und Baden-Württemberg ist es heute soweit: Corona-Infizierte müssen sich nicht länger isolieren. Und auch in Hessen und Schleswig-Holstein werden bald Menschen mit zwei roten Strichen beim Corona-Test weiter ihrem Alltag nachgehen dürfen, mit nur wenigen Einschränkungen. Die Argumente dafür leuchten zunächst ein: Die Infektionszahlen gehen derzeit bundesweit zurück, es gibt eine wirksame Schutzimpfung, die Basisimmunität in der Bevölkerung liegt bei rund 90 Prozent und die Krankheitsverläufe sind in der Regel nicht schwer. Betrachtet man die Aspekte jedoch genauer, wird schnell klar: Der Vorstoß der vier Bundesländer ist alles andere als unproblematisch.
Bislang empfiehlt das Robert-Koch-Institut (RKI) den Ländern, für Infizierte fünf Tage Isolation anzuordnen. Geraten wird zu einer Selbstisolation, bis der Corona-Test negativ ausfällt. Diese Regelungen werden in den betroffenen Ländern nun durch Abstand halten und Maske tragen ersetzt. Für Unbehagen könnte das vor allem im Büro sorgen. "Niemand will mit Corona Infizierten den Arbeitsplatz teilen", schrieb Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf Twitter.
Laboruntersuchungen haben längst gezeigt: Einen vollständigen Schutz vor einer Infektion bieten Masken nicht, da sie nicht alle Partikel aufhalten: Eine FFP2-Maske filtert laut einer Studie zwar im Schnitt 90 Prozent der Keime sowohl beim Ausatmen als auch beim Einatmen. Dafür muss die Maske aber korrekt sitzen, was allein schon bei Bartträgern oft schwierig ist. Hinzu kommt, wenn von zwei Menschen nur einer der beiden eine FFP2-Maske trägt, erhöht sich die Ansteckungsgefahr um das Zehnfache, wie der Mathematiker Kristan Schneider, der die Pandemie modelliert, t-online vorrechnete.
Reinfektionen erhöhen Sterberisiko
Nun soll nach den Vorstellungen von Bayern, Baden-Württemberg und Co. immerhin niemand neben einem hüstelnden und schniefenden Kollegen sitzen müssen. "Grundsätzlich gilt: Wer krank ist und Symptome hat, sollte wie bisher auch zu Hause bleiben und sich krankschreiben lassen", betont der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Doch Untersuchungen zufolge bedeuten keine Symptome nicht gleich, dass Infizierte auch nicht ansteckend sind. In bestimmten Fällen trifft sogar das Gegenteil zu. Nämlich dann, wenn die typischen Covid-Beschwerden erst später einsetzen, Betroffene dennoch unbedarft ins Büro oder Fitnessstudio gehen, da sie sich ja nicht schlecht fühlen. Studien ergaben, dass im Zeitraum vor dem Auftreten von Symptomen bereits eine hohe Infektiosität besteht. Somit stecke sich ein relevanter Anteil von Personen innerhalb von ein bis zwei Tagen bei bereits infektiösen, aber noch nicht symptomatischen Personen an, schreibt das RKI dazu.
Alles nicht so wild? Schließlich hätten die meisten Menschen bereits Kontakt mit dem Virus gehabt und daher eine Basisimmunität aufgebaut, lautet ein weiteres Argument für die Abschaffung der Isolationspflicht. Alarmierend ist in dem Zusammenhang aber eine neue US-Studie. Sie besagt, dass eine vermeintlich hohe Grundimmunität durch Impfungen und/oder Infektionen die möglichen schweren Folgen einer Corona-Infektion wie Organschädigungen, Krankenhausaufenthalte oder sogar das Todesrisiko nicht abmildert.
Das Forschungsteam stellte bei der Auswertung von 5,8 Millionen Patientendaten fest, dass Menschen mit Covid-19-Reinfektionen ein doppelt so hohes Sterberisiko und ein dreimal höheres Risiko für einen Krankenhausaufenthalt aufwiesen als Menschen ohne Reinfektion. Darüber hinaus war die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen Lungenprobleme entwickelten, dreimal so hoch wie bei denjenigen, die sich nur einmal mit dem Virus infiziert hatten. Negative Ergebnisse beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl bei Ungeimpften als auch bei denjenigen, die vor der Reinfektion geimpft waren. Das Risiko scheine mit jeder Infektion zu steigen, resümiert das Team. "Das bedeutet, dass man selbst nach zwei Covid-19-Infektionen eine dritte besser vermeiden sollte", wird der Epidemiologe und Studienautor Ziyad Al-Aly in einer Mitteilung zitiert. "Und wenn man drei Infektionen hinter sich hat, sollte man die vierte vermeiden."
4000 Corona-Tote im Monat
Das könnte allerdings mit der neuen Regelung in den vier Bundesländern gerade für Risikogruppen immer schwerer werden. Dabei sollten vor allem diese angesichts einer drohenden Winterwelle weiterhin geschützt werden, wie auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, gegenüber dem NDR forderte. "Corona-Infizierte zu isolieren ist nicht Selbstzweck, wir müssen das Virus weiter bremsen, da wo es notwendig ist." Auch Lauterbach sieht derzeit "keinen medizinischen Grund", die Isolationspflicht zu kippen, bei etwa 1000 Todesfällen pro Woche, einer "wahrscheinlich schweren Winterwelle", die "am Vorabend einer ansteckenderen Variante" komme. Der Bundesgesundheitsminister verwies auf die ansteckendere BQ.1.1-Variante des Omikron-Typs, die sich in Europa stark ausbreitet.
Mit dem Abschaffen der Isolationspflicht steigt demnach das individuelle Risiko einer Ansteckung und der damit einhergehenden Folgen. Gleichzeitig offenbart ein Blick in andere europäische Länder aber Überraschendes. So wurde in Österreich die Isolationspflicht im August abgeschafft. Die befürchtete große Corona-Welle blieb aber aus. Und auch in der Schweiz, wo die Regierung bereits Anfang April alle landesweiten Corona-Maßnahmen aufgehoben hatte, führte die fehlende Isolationspflicht weder zu stark steigenden Infektionszahlen, noch zu bedeutend mehr Covid-Patienten in den Krankenhäusern.
Dennoch: Niemand kann absehen, welche Überraschungen das Virus noch bereithält. Daher erscheint es Kritikern übereilt, eine Maßnahme zu streichen, die offenbar kaum jemand als Zumutung empfunden hat. 69 Prozent der Deutschen waren im ARD-Deutschlandtrend Mitte Oktober sogar dagegen, die Isolationspflicht aufzuheben. Eine gesetzliche Pflicht zur Isolation kann Lauterbach zufolge den Druck von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nehmen, trotz Infektion im Job zu erscheinen - und das Virus dabei mitzuschleppen. Denn die Pandemie ist längst noch nicht vorbei, mahnt auch Virologin Sandra Ciesek auf Twitter. "Keine Isolationspflicht mehr zu haben bedeutet nicht, dass Covid-19 für jeden ab jetzt völlig harmlos und nur ein Schnupfen ist."
Quelle: ntv.de