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Zoff um Migration im Bundestag Faeser als "trojanisches Pferd", Union "lächerlich"

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Faeser wies die Anwürfe von Dobrindt entschieden zurück.

Faeser wies die Anwürfe von Dobrindt entschieden zurück.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Unionsfraktion im Bundestag bietet der Bundesregierung einen Pakt zur Bekämpfung der Migration an - und attackiert Innenministerin Faeser hart. Die Vertreter der Ampel keilen nicht minder hart zurück und doch wird ein Riss zwischen den Regierungsparteien sichtbar. Die AfD jubelt.

CDU und CSU wollen das Thema Migration zum Thema Nummer eins der Bundespolitik machen. Vor einem "gesellschaftlichen Großkonflikt" warnte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Freitag im Bundestag. Die Migrationszahlen "explodieren förmlich", sagte sein CDU-Kollege Christoph de Vries. Eine "vollendete Realitätsverweigerung" attestierte Unionsgeschäftsführer Thorsten Frei der Bundesregierung und titulierte Bundeskanzler Olaf Scholz als "Schlafwandler". Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, forderte eine "Asylwende". Der CDU-Politiker Josef Oster sah andernfalls "den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land" in Gefahr.

Drei Wochen vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, bei denen Umfragen deutliche Zuwächse für die AfD vorhersagen, fordert die Union unter Verweis auf überlastete Städte und Gemeinden sowie auf eine sinkende Akzeptanz in der Bevölkerung eine Kehrtwende in der Migrationspolitik. Insbesondere Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die sich in Hessen um das Amt der Ministerpräsidentin bewirbt, ging die Union scharf an: "Frau Ministerin, hören Sie bitte auf, das Außengrenzverfahren in Europa zu torpedieren." Die SPD-Politikerin sei das "trojanische Pferd zur Verschärfung der Migrationskrise", polterte Dobrindt.

Richtschnur statt Obergrenze

Der Bundestag diskutierte am Freitag einen Entschließungsantrag von CDU und CSU, der eine Reihe an Maßnahmen zur Reduzierung irregulärer Migration vorschlägt. Der Antrag sei "unsere Antwort" auf Scholz' Angebot, einen "Deutschland-Pakt" zwischen den Regierungsparteien im Bund und der Union zu schließen, erklärte Dobrindt in seinen einleitenden Worten. "Wir sind bereit, auf dieser Basis einen Konsens mit Ihnen zu finden." Dafür müssten sich aber SPD und FDP "endlich vom grünen Gängelband" befreien.

Die Union fordert von der Bundesregierung unter anderem

  • Kontrollen wie an der Grenze zu Österreich auf Polen und Tschechien auszuweiten,
  • die Liste der sicheren Herkunftsstaaten schnell zu erweitern,
  • mehr Rücknahmeabkommen für abgelehnte Asylbewerber zu schließen,
  • Sonderaufnahmeprogramme zu stoppen,
  • den Familiennachzug zu begrenzen,
  • die Höchstdauer der Abschiebehaft zu verlängern,
  • vermeintliche Anreize wie in bar ausgezahlte Sozialleistungen durch Sachleistungen zu ersetzen,
  • Sozialleistungen und Aufnahmeregeln in Europa anzugleichen,
  • in Europa mehr für ein gemeinsames EU-Asylsystem zu tun.

Nicht im Antrag enthalten ist die zuletzt von diversen Unionspolitikern - darunter die Ministerpräsidenten Markus Söder, Reiner Haseloff, Michael Kretschmer - erhobene Forderung nach einer Obergrenze von 200.000 Geflüchteten. Throm sprach stattdessen von einer "Obergrenze als Richtschnur des politischen Handelns". Mit den richtigen Maßnahmen werde es dann gelingen, die Zahl der Zuwanderer, die vor gewalttätigen Konflikten oder individueller Verfolgung flüchten, auf unter 200.000 zu begrenzen.

"Das ist ja lächerlich, was Sie hier machen"

Insbesondere SPD und Grüne wiesen die Kritik der Union scharf zurück, wobei sich Faeser selbst verteidigte. Ton und Inhalt der Unionsforderungen seien "unangemessen", sagte die Sozialdemokratin und erinnerte an die "Sozialtourismus"-Vorwürfe von CDU-Chef Friedrich Merz und an Söders Obergrenze: "All das ist Populismus pur und stärkt nur die Rechtsextremen." Zugleich räumte Faeser Handlungsbedarf ein: "Ja, wir sind auf allen Ebenen gefordert, irreguläre Migration einzuschränken." Und das tue die Bundesregierung auch, unter anderem durch die Ausweitung von Schleierfahndungen an den Grenzen, Maßnahmen gegen Schleuser und die Förderung von Rücknahmeabkommen. Zudem unterstütze der Bund die Länder und Kommunen mit Milliardenbeträgen bei der Versorgung und Integration von Flüchtlingen.

"Ich war es in Europa, die für die Bundesregierung es geschafft hat, in Europa einen historischen Durchbruch hinzubekommen, dass wir überhaupt eine Lösung haben, ein gemeinsames europäisches Asylsystem auf den Weg zu bekommen", wies Faeser den Vorwurf zurück, eine Einigung hintertrieben zu haben. "Das ist ja lächerlich, was Sie hier machen", rief Faeser. Andere Ampelredner erinnerten daran, dass eine solche Vereinbarung unter Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU ebenso wenig zustande gekommen waren wie eine nennenswerte Zahl von Rückführungsabkommen.

Redner der Ampelparteien und der Linken warfen der Union zudem Stimmungsmache auf dem Rücken von Menschen vor, die in Deutschland Schutz für Krieg und Verfolgung suchten. Eine strikte "Obergrenze" sei mit EU- und Völkerrecht nicht vereinbar, sagte Linkenpolitikerin Clara Bünger. Die Union könne nicht erklären, was mit dem 200.001. Menschen passieren solle, der die "Obergrenze" überschreite, sagte Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle erinnerte die Union daran, dass Sachmittel statt Geld längst möglich seien nach dem Gesetz und CDU und CSU acht Landesinnenminister stellten. "Warum fordern Sie uns zu etwas auf, wozu Sie zuständig sind?", fragte er.

AfD fühlt sich kopiert

In Kuhles Rede schien aber auch ein Dissens innerhalb der Ampel auf: "Wir dürfen es nicht riskieren, dass Deutschland der Bremser bei der Neufassung eines europäischen Asylsystems ist." Eine klare Distanzierung von Grünen und Teilen der SPD, die auf humanitäre Verbesserungen der europäischen Asylrechtsreform dringen, während andere EU-Staaten eine Verschärfung wollen. Die FDP-Politikerin Ann-Veruschka Jurisch setzte sich ebenfalls von den Grünen ab, als sie eine neue Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei sowie eine Angleichung von Anerkennungspraktiken und Sozialleistungen forderte.

Für die AfD sprach der Parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann, der die Forderungen der Union als Panikreaktion auf die Umfrage-Erfolge der AfD einordnete: "Sie machen eine Wende um 180 Grad und übernehmen dabei alle Positionen der AfD bis ins Detail." Er sprach von "Invasoren aus Afrika und dem Orient", die über das Mittelmeer kämen. "Die da kommen, sind weiten Teils keine Schutzsuchenden, das sind Männer, vor denen wir Schutz brauchen", sagte Baumann. Die CDU merke nun, wie die Stimmung in der Bevölkerung zurück von links nach rechts kippe und sei getrieben von "Angst vor der AfD".

Ob die Forderungen der Union bei den Regierungsparteien Gehör finden, wird sich zeigen. Der Antrag wurde zur Beratung zurück in den Innenausschuss überwiesen - ein übliches Verfahren. Kuhle sagte zwar, die Union habe mit ihrem "Tonfall eine Schärfe reingebracht, die völlig unangemessen ist" und somit die ausgestreckte Hand des Bundeskanzler "heute weggeschlagen". Möglicherweise stellt sich aber nach den Landtagswahlen eine Gesprächsatmosphäre ein, die es Union und Ampelparteien ermöglicht, ein von beiden Seiten als wichtig erachtetes Thema sachlich zu besprechen.

Quelle: ntv.de

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