Asyl, Obergrenze, Wahlkampf Wer auf AfD-Niveau diskutiert, hilft nur der AfD


Söder ist nur der Rhetorik nach Sheriff, im Grunde seines Herzens scheint er es besser zu wissen.
(Foto: dpa)
Für Migrationsdebatten gilt: Einfache Lösungen mögen im Wahlkampf funktionieren, nicht aber in der Realität. Das heißt nicht, dass Politiker das Thema beschweigen sollen, im Gegenteil: Eine breite Debatte ist notwendig.
Deutschland ist ein großherziges Land. Menschenrechtsstandards möglichst umzusetzen, Mitgefühl und Solidarität mit den Leidenden in der Welt zu zeigen: All das tragen die meisten Wählerinnen und Wähler mit. Und sie sind stolz darauf. Deutschland hat im letzten Jahrzehnt viele Menschen aufgenommen und davon sehr viele erfolgreich integriert, auch wenn die gesellschaftlichen Kosten und individuellen Opfer nicht unerheblich waren. Doch wann immer ein Wahlkampf ins Haus steht, ändern sich Stimmung und Haltung der Politik. Dann liefern sich die Parteien, mehr denn je angetrieben durch die Zustimmungswerte der AfD, einen Wettstreit um den Titel des härtesten Sheriffs in der Stadt - und schütten so weiter fleißig Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen.
Das Problem: Dieser Diskurs wird weder der Realität gerecht, noch dem Ziel, die AfD einzudämmen. Denn die Verantwortlichen von Union, FDP und SPD scheinen ja der AfD in ihrer Analyse recht zu geben - dass ungesteuerte Migration Deutschlands drängendstes Problem sei. Und wenn Menschen erst einmal diesen Eindruck gewinnen, wählen viele von ihnen die Partei, die die einfachsten Antworten gibt, egal wie realitätstauglich diese Politik wäre. Dabei hat Deutschland eine Menge Probleme, von denen die Schwierigkeiten bei der Aufnahme und Integration jährlich Hunderttausender Menschen nur eines ist.
Das muss auch ehrlich diskutiert werden, und zwar nicht nur kurz vor nahenden Wahltagen wie derzeit. Sonst verfallen alle Seiten in die ewig gleichen Reaktionsmuster voller Versprechungen, die nur noch mehr an der eigenen Glaubwürdigkeit kratzen. Auch Grüne, SPD-Linke und Linkspartei erliegen regelmäßig diesem Reflex und verweisen in eingeübten Stanzen darauf, dass die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen eine Frage der Humanität sei. Das überzeugt die Menschen aber ebenso wenig wie die Ankündigungen der Gegenseite, in Zukunft nun aber wirklich konsequent abzuschieben.
Im Wahlkampf hatte bislang niemand etwas Wertvolles zum Thema Migration beizutragen. Es ist ein reines Mobilisierungsthema, das die meisten Verantwortlichen noch am Wahlabend fallen lassen - einfach, weil es derart komplex ist, dass schnelle Erfolge nicht möglich sind. Und es ist ein Ablenkungsthema, denn die maßgeblichen mit Migration verknüpften Schwierigkeiten bestünden auch ganz ohne Zuzug: schlecht ausgestattete Schulen, die absehbar noch mehr Lehrkräfte in den Ruhestand verabschieden werden, viel zu wenig Wohnraum in den Städten zu viel zu hohen Preisen. Weil sich hierzu kaum noch glaubwürdige Versprechen machen lassen, zieht sich die Politik auf die billige Pose des wahlweise harten Abschiebers oder des Vorkämpfers für Menschenrechte zurück.
"Integrationsgrenze" kann man auch positiv wenden
Dabei ist klar: Die Migrationsdebatte eignet sich schlicht nicht für den Wahlkampf. Sie verkürzt, sie täuscht, sie nutzt den politischen Rändern, die in Schwarz-Weiß denken und reden. Daraus folgt kein Schweigegebot, im Gegenteil. Eine breite Debatte ist notwendig: Was wollen wir als Gesellschaft aufwenden, um auch anderen Menschen zu helfen? Welchen Zielwert trauen wir uns zu und machen es dann richtig, statt wie derzeit Schulen und Kommunen mit den vielen Folgeaufgaben der Integration alleine zu lassen? Wie gehen wir mit Menschen um, denen wir keinen Platz in Deutschland und Europa einräumen wollen oder können? Eine ruhige, reflektierte und breit angelegte Debatte über diese Fragen ist nach 2015 liegen gelassen worden.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat mit seinem fraglosen Talent zum Populismus, der ja auch seine guten Seiten haben kann, wieder einmal ein Glanzstück hingelegt: In Weiterentwicklung der alten CSU-Obergrenze fordert er eine "Integrationsgrenze". Würde Söder das Schlagwort positiv wenden, spräche er von einem Integrationsziel, hinter dem sich das Land versammeln kann. Die eher aus der Luft gegriffene Zahl von 200.000 ist dabei nicht einmal hartherzig: Das wäre fast ein Viertel der Menschen, die im vergangenen Jahr erstmals in der EU Asyl beantragt haben. Deutschland hat eben doch ein Interesse an Zuwanderung, an einer nicht an der Asylfrage zerschellenden EU und an einem Mindestmaß an Menschlichkeit in der Welt. Söder ist nur der Rhetorik nach Sheriff, im Grunde seines Herzens scheint er es besser zu wissen.
Quelle: ntv.de