Ende der Harmonie Kaczynski wieder auf Kriegspfad
17.07.2010, 10:54 UhrNach der verlorenen Präsidentenwahl in Polen geht Kaczynski wieder zum Angriff über. Sein Instrument: Der Flugzeugabsturz, bei dem sein Bruder starb. Die Regierung schlägt zurück.

Er ist nicht Präsident geworden, dafür aber wieder ganz der Alte: Jaroslaw Kaczynski.
(Foto: picture alliance / dpa)
Schluss mit dem Schmusekurs, die Weichen werden wieder auf Konfrontation gestellt. Im Rennen um Polens Präsidentschaft hat Jaroslaw Kaczynski für drei Monate sein altes Image des antikommunistischen Scharfmachers abgelegt und ein neues Gesicht eines nach Kompromissen suchenden Staatsmannes präsentiert. Mit Verzicht auf Hasstiraden gegen seine Gegner, mit Versöhnungsbotschaften an die Russen und Anerkennung für die Linke erzielte der national-konservative Oppositionsführer im Kampf um die politische Mitte beachtliche Erfolge.
Doch kurz nach der knappen Niederlage bei der Stichwahl vor zwei Wochen begibt sich der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wieder auf den Kriegspfad gegen das Regierungslager um Ministerpräsident Donald Tusk. Als Instrument zur Verschärfung des politischen Streits benutzt er die Flugkatastrophe bei Smolensk in Westrussland. Dort waren beim Flugzeugabsturz am 10. April Präsident Lech Kaczynski, seine Frau Maria und 94 andere hochrangige Politiker, Militärs und Geistliche ums Leben gekommen.
"Merkwürdige Katastrophe"
Die Aufklärung dieser "merkwürdigen Katastrophe" sei für ihn ein "moralischer Imperativ", sagte Kaczynski auf seiner ersten Pressekonferenz in Warschau nach der Stichwahl. Regierungsmitglieder, die "moralisch-politische Verantwortung" trügen, sollten zurücktreten, forderte der national-konservative Politiker. Sein Bruder sei Zielscheibe "abscheulicher Attacken" gewesen.
Kaczynski bestimmte auch gleich das Feld der ersten Auseinandersetzung: Wenn der neu gewählte Präsident Bronislaw Komorowski das Kreuz vor seinem Amtssitz wegräume, werde er sich entlarven als der, "der er ist". Das Holzkreuz war vor dem Präsidentenpalast in Warschau nach der Katastrophe zu Ehren von Lech Kaczynski und anderen Opfern aufgestellt worden. Komorowski will es nun an einen anderen Ort verlegen.
In zwei Presseinterviews hatte Kaczynski vorher Tusk und seine Mannschaft scharf angegriffen. Er werde mit keinem zusammenarbeiten, der sich gegenüber seinem Bruder unanständig benommen habe, sagte Kaczynski der Zeitung "Rzeczpospolita". Im Gespräch mit "Gazeta Polska" legte er nach, indem er den Absturz als Folge der "verbrecherischen Politik" der Regierung bezeichnete. Der Grund: Tusks Regierung habe angeblich den Kauf neuer Flugzeuge für Staatsbesuche verhindert.
Vorwurf: Flugzeugunglück für PR-Zwecke missbraucht
Noch mehr Öl ins Feuer goss ein enger Vertrauter von Kaczynski, Joachim Brudzynski. Er warf Tusk vor, die Katastrophe für eigene PR-Zwecke missbraucht zu haben. Als sich Tusk (am Ort des Unglücks) mit (Russlands Präsident) Wladimir Putin umarmte, habe die Leiche des Präsidenten unter freiem Himmel im Schlamm gelegen, sagte Brudzynski dem TV-Sender TVN24.
Die Regierungspartei Bürgerplattform (PO) ließ die Attacken nicht unbeantwortet. Ihr Abgeordneter Janusz Palikot ein Meister der scharfen Zunge, sprach davon, dass Lech Kaczynski "Blut an seinen Händen" habe. Der PO-Politiker berief sich auf Spekulationen des privaten TV-Senders TVN24, der am vergangenen Mittwoch ohne Quellenangabe über angeblich neue Erkenntnisse über die Ursache der Flugzeugkatastrophe berichtete. Danach soll der Kapitän der Maschine kurz vor dem Absturz gesagt haben: "Wenn ich nicht lande (wenn wir nicht landen), wird er mich töten (wird sie uns töten)".
Kurswechsel Kaczynskis ein Eigentoe?
Polnischen Medien zufolge kann dieser Satz als ein Hinweis darauf ausgelegt werden, dass auf den Piloten Druck ausgeübt wurde. Genau zu verstehen ist die Bandaufzeichnung nicht, ob es sich wirklich um einen Mitschnitt des Flugschriebers handelt, ist nicht erkennbar. Wegen dichten Nebels war damals in Smolensk die Sicht sehr schlecht, die russischen Fluglotsen rieten von der Landung ab.
Die meisten Publizisten bewerten jedenfalls den plötzlichen Kurswechsel Kaczynskis als ein Eigentor. Sein Verhalten führe direkt zum Verlust der Glaubwürdigkeit, warnte "Rzeczpospolita". Die Zeitung "Polska" schrieb sogar von "Selbstmord". Kaczynski und seine Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) würden bald wieder unter die 30-Prozent-Marke fallen.
Quelle: ntv.de, Jacek Lepiarz, dpa