Dossier

Panik und Ratlosigkeit europaweit Sozialdemokraten in der Krise

Die Zeiten des Jubels für sind vorbei: Die Sozialdemokraten Europas stecken in einer tiefen Krise.

Die Zeiten des Jubels für sind vorbei: Die Sozialdemokraten Europas stecken in einer tiefen Krise.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Unter Europas Sozialdemokraten herrscht Panik. Nicht erst seit dem SPD-Absturz bei der Bundestagswahl sorgen sich Parteien auf dem ganzen Kontinent ums politisches Überleben. Wahldebakel in Serie und die Konkurrenz von links und rechts haben zur schwersten Krise der demokratischen Linken seit 50 Jahren geführt. Mit schlüssigen Rezepten, wie man dem Untergang entgehen kann, tun sich nicht nur die deutschen Sozialdemokraten schwer.

Mit 23 Prozent liege die SPD in der EU immerhin noch "im guten Mittelfeld", tröstet sich Andrea Nahles. Fast überall würden Sozialdemokraten derzeit abgestraft: "Das kann nicht nur an der Rente mit 67 liegen." Doch, was die Rezepte für eine Wiederbelebung angeht, ist die künftige SPD-Generalsekretärin auch recht ratlos.

Der Siegeszug begann mit Blair

Der Blick auf die politische Landkarte ist jedenfalls alarmierend: Nur noch in vier der 27 EU-Länder (Großbritannien, Spanien, Portugal, Griechenland) stellen die Sozialdemokraten die Alleinregierung. In einigen weiteren Hauptstädten sind sie an Koalitionen beteiligt. Vor gut zehn Jahren sah dies noch ganz anders aus: 12 von damals 15 EU-Ländern wurden von der linken Mitte regiert. Der Siegeszug begann im Mai 1997 mit der Wahl von Labour-Chef Tony Blair zum britischen Premier, dem 1998 der Triumph von Gerhard Schröder in Deutschland folgte.

Martine Aubry, Vorsitzende der französischen Sozialisten: Auch bei Frankreichs Sozialisten kracht es immer wieder.

Martine Aubry, Vorsitzende der französischen Sozialisten: Auch bei Frankreichs Sozialisten kracht es immer wieder.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Nach ersten Höhenflügen liefen zunehmend die Wähler davon. Schlüsselländer wie Frankreich und Italien gingen verloren. Selbst skandinavische Länder mit tief sozialdemokratisch geprägten Gesellschaften wechselten das Lager.

Noch keineswegs sicher ist, ob der Tiefpunkt schon erreicht ist. Der von der langen Regierungszeit erschöpften britischen Labourpartei droht bei der kommenden Unterhauswahl eine noch krachendere Niederlage als die SPD sie gerade erlebt hat. Die französischen Sozialisten zerfleischen sich und kommen deshalb auf keinen grünen Zweig. Nicht besser sieht es bei der marginalisierten Linken in Italien und in Osteuropa aus.

Hoffnungen bleiben unerfüllt

Vor über 25 Jahren hatte bereits der Liberale Ralf Dahrendorf das "Ende des sozialdemokratischen Zeitalters" verkündet. Nachdem die meisten Ziele erreicht worden seien, war für den deutsch-britischen Denker die historische Mission der demokratischen Linken erledigt. Ob dieser Nachruf mit einiger Verspätung doch noch aktuell wird, muss sich aber erst erweisen.

Die Hoffnungen von Mitte-Links, dass mit der globalen Finanzkrise das politische Pendel wieder zurückschlägt, haben sich jedenfalls nicht erfüllt. Frustriert mussten nicht nur die deutschen Sozialdemokraten zur Kenntnis nehmen, dass genau das Gegenteil der Fall war. Ihren Konkurrenten von Rechts und Links schenkten die Wähler in dieser unsicheren Phase mehr Vertrauen.

In Großbritannien ist mit Labour eine sozialdemokratische Regierung an der Macht - noch!

In Großbritannien ist mit Labour eine sozialdemokratische Regierung an der Macht - noch!

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Ein Grund für diese Fehleinschätzung war nach Ansicht von Experten die tiefe und schon länger schwelende Identitätskrise des Mitte- Links-Lagers. Unter Schlagwörtern wie "Neue Mitte" habe die Reformlinke ein Jahrzehnt lang versucht, dem eigenen Anhang den Charme des Marktes schmackhaft zu machen. "Jetzt, da sie wieder zu ihren ideologischen Wurzeln zurückkehren will, ist ihre Glaubwürdigkeit verloren", lautet die Erklärung des belgischen Politologen Jean Michel de Wael.

Entfremdung von den Stammwählern

Sein französischer Kollege Marc Lazar sieht den Hauptgrund für die Misere darin, dass die Reformlinke in Europa schon länger "keinen Kontakt zu den normalen Leuten" mehr habe. Die Sozialdemokraten in der EU müssten sich endlich wieder in den "Lebensrealitäten ihrer Wählermilieus erden", rät auch der SPD-Vordenker Ernst Hillebrand. Unverzichtbar ist für ihn dabei auch die "Überwindung ideologischer Tabus, vor allem in der Immigrationsfrage". Die Weigerung der Linken, beim Punkt Einwanderung den gesellschaftlichen Realitäten ins Auge zu sehen, habe erheblich zur Entfremdung von den Stammwählern geführt, meint der Pariser Büroleiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.

Auch nach Ansicht anderer Kollegen müssen die Sozialdemokraten dieses "heiße Eisen" endlich anpacken. Europaweit hätten viele Arbeitnehmer immer mehr das Gefühl, sie persönlich müssten beim Wettlauf um angemessene Löhne den Preis für die Einwanderung bezahlen, sind Frans Becker und René Cuperus von der Stiftung der holländischen Arbeitspartei überzeugt. Die direkte Folge sei die zunehmende Hinwendung dieser klassischen Wählergruppen zu populistischen Gruppierungen.

Quelle: ntv.de, Joachim Schlucht, dpa

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