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Merkel und der Ethikrat"Bückling vor der Atomlobby"

22.03.2011, 20:58 Uhr

Die Presse ist gespalten. Ein Großteil hält die Einberufung einer Ethik-Kommission für überflüssig, denn welche nicht schon längst gestellten Fragen zur Atomkraft sollen jetzt auf einmal neue Antworten bekommen. Andere denken jedoch, dass sich das Blatt in der Kernenergie nun erst wenden kann.

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(Foto: dapd)

Die Presse ist gespalten. Ein Großteil hält die Einberufung einer Ethik-Kommission für überflüssig, denn welche nicht schon längst gestellten Fragen zur Atomkraft sollen jetzt auf einmal neue Antworten bekommen. Andere denken jedoch, dass sich das Blatt in der Kernenergie nun erst wenden kann.

Die Katastrophe in Fukushima veranlasst die Bundesregierung, die Sicherheit in deutschen Atomkraftwerken neu zu überprüfen. Dafür beruft die Kanzlerin sogar eine Kommission ein, resümiert die Volksstimme. Bei der Beschließung bei Laufzeitverlängerung der AKWs vor rund einem halben Jahr habe die Regierung das noch nicht für nötig befunden, erinnert das Blatt dazu kritisch und bewertet die jetzige Überprüfung "als Bückling vor der Atomlobby". Über die Sicherheit hinaus soll es soll es sogar eine zweite Kommission geben, die über ethische Fragen der Atomkraft befinden soll. "Es ist wohl nicht unethisch, zu Lasten des Profits der Energiekonzerne für mehr Sicherheit zu sorgen. Unethisch ist es, große Gewinne zu erzielen und die Kosten, die die strahlenden Abfallprodukte verursachen, zu vergesellschaften. Weil die Allgemeinheit noch lange schwer an dieser Last zu tragen hat, ist diese Technologie auch Sinnbild dafür, wie heutige Generationen auf Kosten der Nachwelt leben." Daher fragt das Blatt aus Madgeburg: "Was eigentlich soll diese zweite Kommission uns Neues sagen?"

"Eine Ethik-Kommission über die Zukunft der deutschen Energieversorgung zu berufen, ist nicht grundsätzlich verkehrt", meint die Badische Zeitung. Aber sie hält es "ziemlich überflüssig. Schließlich wird seit Jahren in der Bundesrepublik über Für und Wider der Stromerzeugung in Atomkraftwerken, über ein Endlager, erneuerbare Energien und Stromtrassen debattiert - also über all die Fragen, die nun die Kommission erörtern soll." Daher glaubt auch das Blatt aus Freiburg nicht daran, dass die Expertenrunde "neue Einsichten oder gar den von Merkel erhofften breiten Energiekonsens der Gesellschaft" zuwege bringt. "Wie, bis wann und zu welchem Preis eine klimafreundliche Stromerzeugung ohne die Risiken der Kernkraft erreicht werden kann: Dazu gibt es längst fundierte Konzepte. Unter Zustimmung der Atomkonzerne hatte einst Rot-Grün den ersten Schritt dazu eingeleitet. Warum Schwarz-Gelb diesen Konsens verließ, ist bis heute nicht zu verstehen."

Nun also auch noch ein Rat der Weisen, schreibt die Berliner Zeitung. "Selbstverständlich kann Merkel jeden Rat gebrauchen, um aus der Sackgasse herauszufinden, in die sie sich mit ihrer eigenen Atompolitik hineinmanövriert hat." Aber bereits seit vielen Jahren erarbeiten unzählige kluge Köpfe "jede Menge grundsätzlicher Erkenntnisse zu Chancen und Risiken der Atomtechnik", konstatiert das Blatt. "Es ist unwahrscheinlich, dass ihnen neue Einsichten kommen, nur weil sie jetzt im Regierungsauftrag tätig werden."

"Wer Merkel böse will, unterstellt, die Einsetzung einer Ethikkommission sei lediglich ein Feigenblatt, ein Deckmäntelchen, und in drei Monaten gehe mit der Atomkraft in Deutschland mehr oder weniger alles so weiter wie vor dem japanischen GAU", schreibt die Allgemeine Zeitung. Angela Merkel dürfe sich nicht über dieses Misstrauen "schon deshalb nicht beschweren, weil Schwarz-Gelb seit der Regierungsübernahme wie eine Lobbyisten-Filiale der Atomindustrie wirkte". Allerdings beobachtet das Blatt aus Mainz mittlerweile, "dass die Regierung das Blatt tatsächlich wendet - aufgrund welcher Motive, ob aus Angst vor dem Wähler oder aus innerer Einsicht, steht auf einem anderen Blatt. Tatsache ist: Es erscheint kaum vorstellbar, dass Merkel gegen ein Votum zweier hochrangig und honorig besetzter Gremien ein 'Weiter so' in der Atomfrage durchpeitscht."

Für den Reutlinger General-Anzeiger ist Angela Merkel dieser Tage "eine Getriebene": "Sie regiert und reagiert zwar nicht kopflos, aber ihre Tagesordnung ist fremdbestimmt. Und tragfähige Antworten kann sie derzeit nicht bieten - vielleicht, weil es sie noch nicht gibt." Auch dieses Blatt hält Kritik an Merkels Management für berechtigt, hebt aber dennoch hervor: "Die Einberufung eines 'Rates der Weisen' unter dem weitsichtigen Klaus Töpfer ist eine gute Idee. Freilich hätte dieses Ethik-Gremium, das mehr als nur die Risiken der Atomenergie ausloten soll, bereits im vorigen Herbst die Regierung beraten müssen." Aber das Pressemedium hält im Gegensatz zu anderen Medien die Herausarbeitung wertvoller Kriterien, "die die Politik und die ganze Gesellschaft in der Frage einer zukunftsfähigen Energieversorgung weiterbringen" für möglich, gar wahrscheinlich.

Quelle: zusammengestellt von Julia Kreutziger