Immer mehr HinweiseMissbrauch an Jesuiten-Schulen
Die Wahrheit kommt nur zögernd und stückchenweise ans Licht. Nach dem Skandal am Berliner Canisius-Kolleg gibt es auch an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule Hinweise auf immer mehr Missbrauchsfälle durch einen Jesuitenpater. Die Kritik an der Politik des Verschweigens und Vertuschens derartiger Straftaten in der katholischen Kirche wird auch innerhalb der Kirche immer lauter.
Weitere Fälle sexuellen Missbrauchs an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule befürchtet deren Leiter Friedrich Stolze. "Eines der Opfer hat entsprechende Hinweise gegeben", sagte Stolze. Bisher sind drei Missbrauchsfälle an der ehemaligen Jesuiten-Schule bekannt.
Die Schüler wurden Opfer des 65-jährigen Jesuitenpaters Wolfgang S., der zugegeben hatte, auch Schüler des katholischen Canisius-Kollegs in Berlin missbraucht zu haben. Den Skandal hatte der jetzige Rektor Klaus Mertes des Berliner Elite-Kollegs öffentlich gemacht. Danach kamen – und kommen – immer mehr Missbrauchsfälle ans Licht.
Schulleiter Stolze rief am Dienstag die Schüler zusammen und erklärte ihnen die Lage. "Die Schüler haben es sehr gefasst aufgenommen", sagte Stolze. Die Eltern will er in einem Brief informieren. Besonders betroffen gemacht habe ihn der Fall einer Mutter, die ihm berichtet habe, dass ihr Sohn noch heute unter den seelischen Folgen des Missbrauchs leidet. "Dieses Gespräch war für mich tief bewegend und sehr schmerzlich", sagte Stolze.
Stolze kritisiert Informationspolitik
Die Jesuiten hätten ihn erst vergangene Woche über die Fälle informiert, obwohl die Schulleitung in Berlin schon 1981 vom Fehlverhalten des Paters gewusst haben soll. "Was ich nicht nachvollziehen kann: Wenn in Berlin etwas bekannt gewesen ist, dass dann die Person an eine andere Schule versetzt wird", kritisierte Stolze.
Warum die Jesuiten die betroffenen Schulen nicht eher informierten, kann auch Manfred Nielen, Pressesprecher des Erzbistum Hamburgs, nicht verstehen. "Das ist die Frage, die man den Jesuiten stellen muss", sagte Nielen.
Missbrauch von Berlin bis Chile
Nach Angaben des Ordenschefs in Deutschland, Provinzial Stefan Dartmann, hat es neben mehr als 20 Missbrauchsfällen in den 70er und 80er Jahren am Berliner Canisius-Gymnasium durch zwei Lehrer auch Fälle in Hamburg, St. Blasien, Göttingen, Hildesheim, Chile und Spanien gegeben. Zugleich entschuldigte er sich bei Opfern, Lehrern und Eltern für das jahrelange Schweigen. "Ich bitte um Entschuldigung für das, was von Verantwortlichen des Ordens damals an notwendigem und genauen Hinschauen und angemessenem Reagieren unterlassen wurde."
Zwei Padres genannt
In dem Berliner Gymnasium wurden von 1975 bis 1983 mindestens 22 Kinder und Jugendliche missbraucht. Täter waren nach Angaben des Ordens zwei Patres, die als Lehrer arbeiteten: Wolfgang S. arbeitete als Deutsch-, Religions- und Sportlehrer von 1975 bis 1984 an Jesuiten-Schulen in Berlin, Hamburg und St. Blasien im Schwarzwald. Danach ging er für den Orden nach Spanien und Chile. 1991 gestand er der Kirchenleitung seine Taten gegen "Zusicherung der Diskretion", weil er aus dem Orden ausscheiden wollte.
Der andere Pater, Peter R., arbeitete von 1972 bis 1981 als Religionslehrer und Jugendseelsorger an dem Berliner Gymnasium, später in Göttingen in der Jugendarbeit, als Seelsorger in Hildesheim (beides Niedersachsen) und beim dortigen Bischof. "Wann der Missbrauch anfing, wissen wir nicht", sagte Dartmann. 1981 suchten Berliner Schüler in einem offenen Brief an die Schule und die Kirche indirekt Hilfe und kritisierten besonders eine verfehlte Sexualpädagogik.
Taten dürften verjährt sein
Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft die Missbrauchsfälle. "Es spricht aber vieles dafür, dass die Taten verjährt sind", sagte Behördensprecher Martin Steltner. Das betreffe auch etwaige Vorwürfe an den Jesuiten-Orden wie Strafvereitelung oder unterlassene Hilfeleistung.
Vermutlich nur die Spitze des Eisbergs
Dartmann schloss nicht aus, dass noch weitere Missbrauchsfälle bekannt werden. "Ich bin sicher, wenn Sie nur weit genug zurückgehen in den Akten, würden Sie etwas finden." Der Ordenschef und Canisius-Rektor Mertes kritisierten den rein internen Umgang des Ordens mit den Fällen. Heute würde er auch Polizei und Staatsanwaltschaft informieren, sagte Dartmann. Damals zeigten weder die Jesuiten noch der Vatikan die Täter an. Sie wurden nach den Vorwürfen meist nur an andere Orte versetzt.