"Ich bin am Anschlag" Lokführer soll mit Tempo geprahlt haben
26.07.2013, 12:10 Uhr
Der Mann links wurde von spanischen Medien als der Lokführer des Unglückszuges identifiziert. Aufgenommen wurde das Bild kurz nach dem Unfall.
(Foto: REUTERS)
78 Menschen sterben bei der Zugkatastrophe in Spanien, mehr als 140 werden verletzt. Als Unfallursache gilt die viel zu hohe Geschwindigkeit. Warum der Zug so schnell war, ist aber unklar. Nun berichten Medien, der Lokführer habe bereits früher bei Facebook mit dem hohen Tempo seiner Züge geprahlt. Die Polizei nimmt ihn fest.
Der Lokführer des in Spanien verunglückten Zugs soll Medienberichten zufolge in der Vergangenheit auf Facebook mit seinem hohen Tempo geprahlt haben. Der 52-jährige Eisenbahner Francisco José G. habe einmal auf seiner Facebook-Seite das Foto eines Zug-Tachometers veröffentlicht, der 200 Kilometer je Stunde anzeigte, berichteten spanische Zeitungen. Das Bild habe G. mit den Worten kommentiert: "Ich bin am Anschlag, ich kann nicht schneller fahren, sonst kriege ich eine Strafe." Inzwischen wurde er festgenommen.
Den Berichten zufolge schrieb der Lokführer zudem einmal auf seiner inzwischen gesperrten Seite des sozialen Netzwerks: "Was für ein Spaß das wäre, sich ein Rennen mit der Guardia Civil (Polizei) zu liefern und sie zu überholen, so dass ihr Radar in die Luft gehen würde, haha. Was für eine Riesenstrafe für (die staatliche Eisenbahngesellschaft) Renfe."
Identifizierung der Leichen könnte dauern
Bisher wurden 72 der 78 Todesopfer des Unglücks identifiziert. Gerichtsmediziner erklärten, die Identifizierung werde in einigen Fällen länger dauern. In Krankenhäusern wurden noch 95 Verletzte behandelt. 32 von ihnen, darunter vier Kinder, befanden sich in einem kritischen Zustand. Das Auswärtige Amt erklärte, bislang gebe es keine Anhaltspunkte für deutsche Opfer. Unter den Toten sollen ein US-Bürger, ein Mexikaner, eine Dominikanerin und ein Kolumbianer sein, mindestens ein Brite wurde verletzt.
Laut Renfe ist der 52-Jährige seit 30 Jahren bei dem Unternehmen angestellt und verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung als Lokführer. Die Strecke von Madrid nach Santiago befährt er seit einem Jahr. Er befand sich vorerst weiter im Krankenhaus unter Polizeibewachung. Die Schwere seiner Verletzung war zunächst nicht klar.
Der Zugführer sollte aber auch erstmals von Ermittlern vernommen werden. Er überlebte die Katastrophe, bei der 80 Menschen getötet wurden, mit leichten Verletzungen. "Ich habe es vermasselt, ich möchte sterben", soll der 52-Jährige kurz nach dem Unglück nach einem Bericht der Zeitung "El Mundo" gesagt haben. Als mögliche Unglücksursache gilt ein völlig überhöhtes Tempo, mit dem der Zug in eine Kurve vor dem Wallfahrtsort Santiago de Compostela raste und entgleiste.
Die Regional-Zeitung "La Voz de Galicia" berichtete unter Berufung auf Ermittlerkreise, bei einer ersten Auswertung der Blackbox sei festgestellt worden, dass der Zug Mittwochabend wenige Kilometer vor der Einfahrt in die Station von Santiago de Compostela im Tempo-80-Bereich mit 190 Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen sei. Nach anderen Berichten räumte der Lokführer diese überhöhte Geschwindigkeit bereits ein.
Zudem konzentrieren sich die Ermittlungen auf die Frage, warum der Hochgeschwindigkeitszug ungebremst in eine enge Kurve raste und entgleiste. Zu klären ist auch die Frage, ob es automatische Sicherheitssysteme gab und warum diese gegebenenfalls nicht den Zug abbremsten. Eine Schlüsselrolle kommt auch der Auswertung des Unfalldatenschreibers zu.
Debatte um Tempokontrollsystem
Die staatliche Bahngesellschaft Renfe warnte vor vorschnellen Schlussfolgerungen. Renfe-Präsident Julio Gómez-Pomar erklärte, der Unglückszug sei am Morgen vor dem Unfall inspiziert worden. Er bezeichnete den Lokführer als erfahren und wies darauf hin, dass der Mann seit mehr als einem Jahr auf der Unglücksstrecke im Dienst gewesen sei.
Die Lokführer-Gewerkschaft (Semaf) brachte eine Debatte mit der Behauptung ins Rollen, die Tragödie hätte mit dem modernen ERTMS-Tempokontrollsystem an der Unglücksstelle verhindert werden können. Da die 2011 eingeweihte Hochgeschwindigkeitsstrecke aber vier Kilometer vor Santiago - kurz vor der Unfallstelle - ende, sei das ältere ASFA-System im Einsatz gewesen, das den Zug beim Überschreiten der erlaubten Geschwindigkeit nicht immer automatisch abbremse, klagte Semaf-Generalsekretär Juan Jesús Fraile im Radio. "Ideal wäre es gewesen, wenn man die Hochgeschwindigkeitsstrecke bis Santiago fertiggebaut hätte", sagte er.
Bau- und Verkehrsministerin Ana Pastor, aber auch die Eisenbahninfrastruktur-Behörde ADIF wiesen die Vorwürfe zurück. Im städtischen Raum und bei der Stationseinfahrt sei das ASFA das geeignete System, hieß es. Polizei- und Eisenbahnexperten untersuchen die Unfallursache. Einen Anschlag schlossen die Ermittler schnell aus.
Eines der Hochgeschwindigkeitsgleise auf der Strecke wurde inzwischen wieder für den Verkehr freigegeben. Gleis zwei sei seit 07.50 Uhr wieder in Betrieb, erklärte der Schienenbetreiber Adif. Auch die Gleise für konventionelle Züge auf der Strecke zwischen Ourense und Santiago de Compostela wurden um 05.00 Uhr morgens wieder geöffnet. Das bei dem Unfall in Mitleidenschaft gezogene Hochgeschwindigkeitsgleis war dagegen weiter gesperrt.
Der Wallfahrtsort, der das Ziel des Jakobsweges bildet, sagte alle Feiern zu Ehren des Heiligen Jakobs an diesem Wochenende ab. Die traditionelle Zeremonie ist das wichtigste Fest des Jahres in Santiago. Ministerpräsident Mariano Rajoy ordnete für ganz Spanien eine offizielle Trauer von drei Tagen an. Beim Besuch von Verletzten im Hospital Clínico von Santiago äußerte Spaniens König Juan Carlos die Hoffnung, dass die Tragödie dazu beiträgt, eventuelle Probleme des spanischen Eisenbahnsystems zu lösen. "In diesem Augenblick halten alle Spanier zusammen", sagte er.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa/rts