Panorama

Orkan zieht über Europa Mindestens 43 Tote

Der Orkan "Kyrill" hat eine Schneise der Verwüstung durch Europa geschlagen und mindestens 43 Menschen in den Tod gerissen. Bei einem der schwersten Stürme der vergangenen 20 Jahre waren allein in Deutschland elf Todesopfer zu beklagen, die meisten starben durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste. Es gab hunderte Verletzte. Mit welcher Gewalt "Kyrill" fast flächendeckend über Deutschland wütete, offenbarte sich bei den Aufräumarbeiten am Freitag. Die Versicherer schätzen den Schaden auf eine Milliarde Euro.

Der Sturm tobte mit Spitzengeschwindigkeiten von über 200 Kilometern pro Stunde. Der höchste Wert wurde mit 225 Stundenkilometern auf dem Schweizer Aletschgletscher gemessen. In Deutschland blies "Kyrill" (altgriechisch: "Der Herr") am heftigsten über den Wendelstein in Bayern mit 202 Stundenkilometern. Bäume und Strommasten knickten wie Streichhölzer um, Häuserwände stürzten ein, Dächer wurden abgedeckt, der Verkehr brach zusammen, Hunderttausende waren zeitweise ohne Strom.

Bahn bilanziert

Während die Küstenregionen von den befürchteten schweren Sturmfluten verschont blieben, gab es im Binnenland ein Verkehrschaos, die Bahn stellte erstmals bundesweit ihren Fernverkehr ein, Autobahnen wurden gesperrt, hunderte Flüge gestrichen. Zehntausende gestrandete Reisende mussten die Nacht auf Bahnhöfen, Flughäfen oder in Notunterkünften verbringen.

Nach ersten Schätzungen der Bahn gab es bundesweit Schäden an 450 Streckenabschnitten. Der Schienenverkehr lief am Freitag nur schleppend wieder an, in Nordrhein-Westfalen soll es bis Montag Behinderungen geben. Die Bahn richtete eine kostenlose Telefon-Hotline unter der Nummer 08000 / 996633 ein.

Der Knotenpunkt Berliner Hauptbahnhof war 14 Stunden lang bis freitags um 13.30 Uhr gesperrt. In dem erst vor acht Monaten eröffneten Bahnhof war am Donnerstagabend ein tonnenschwerer Stahlträger aus 40 Metern Höhe auf eine Treppe am Eingang gestürzt, verletzt wurde niemand. Das Büro des Star-Architekten Meinhard von Gerkan wies jede Verantwortung von sich. Wie die Bahn mitteilte, soll der Bahnhof künftig nur bis Windstärke acht geöffnet bleiben.

Elf Tote in Deutschland

Besonders hart getroffen wurde das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort kamen am Donnerstag und Freitag fünf Menschen ums Leben, zwei starben in Bayern. Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Baden-Württemberg hatten je ein Todesopfer zu beklagen. Besonders tragisch war der Fall eines 18 Monate alten Kindes in Bayern. Es wurde vor den Augen seiner Eltern von einer aus der Verankerung gerissenen Balkontür erschlagen. Auch Feuerwehrleute verloren ihr Leben.

Dennoch stufte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) die Folgen des Orkans in Deutschland als "relativ glimpflich" ein – auch wenn mehrere Menschenleben zu beklagen gewesen seien, sagte der Minister in Berlin. Er fühle mit den Angehörigen der Opfer.

Notfallsysteme funktionierten

Nach Einschätzung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat das Notfallsystem mit Polizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk (THW) und Rettungskräften "seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt". Allein das THW half nach Angaben des Innenministeriums in der Nacht zum Freitag mit 5500 Kräften aus 330 Ortsverbänden. Am Freitag seien noch 1400 THW-Helfer im Einsatz gewesen, um Straßen und Gleise frei zu räumen und landwirtschaftliche Betriebe mit Strom zu versorgen. Von der Bundespolizei waren den Angaben zufolge in der Nacht mehr als 2400 Beamte im Einsatz, am Freitag mehr als 3700.

Zahlreiche Tote in ganz Europa

Schlimmer noch als Deutschland traf der Sturm die britischen Inseln. Dort starben mindestens 13 Menschen. In den Niederlanden gab es sechs Todesopfer, in Tschechien und Polen kamen je vier Menschen ums Leben, Frankreich meldete drei Sturmtote, Belgien zwei.

Luftverkehr normalisiert sich

Der Luftverkehr lief am Freitagmorgen wieder weitgehend normal. Ein Sprecher des größten deutschen Flughafens in Frankfurt berichtet, Flüge seien wieder uneingeschränkt möglich. Die größte deutsche Airline, Lufthansa, hatte seit Donnerstag europaweit 331 Flüge gestrichen, davon waren 18.900 Passagiere betroffen.

Vielerorts schulfrei

Viele Schüler konnten den Folgen des Sturms indes auch positive Seiten abgewinnen. So fiel in Bayern am Freitag der Unterricht an allen öffentlichen Schulen aus. In anderen Bundesländern gab es vereinzelt "sturmfrei", vielerorts wurde es den Eltern überlassen, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken.

Stromausfall in Ostdeutschland

Deutschlands größter Stromnetzbetreiber RWE hatte die Stromausfälle am Freitag weitgehend behoben. Probleme gab es zunächst noch in Ostdeutschland. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt waren am Freitagabend noch 20.000 Haushalte ohne Strom.

Gefahr für Kulturgüter

Auch Kulturgüter in Deutschland sind durch den Sturm beschädigt worden. Im Römisch-Germanischen Museum in Köln krachten Holzbohlen auf das weltberühmte Dionysos-Mosaik, das zu den herausragenden Kunstschätzen der römischen Antike auf deutschem Boden gehört. In der Lutherstadt Wittenberg lösten sich zahlreiche Gesteinsbrocken in der zum UNESCO-Welterbe gehörenden Schlosskirche. In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin deckte der Sturm das Dach des Archivs ab.

Enorme Waldschäden

In Deutschlands Wäldern hat der Orkan nicht die befürchteten großen Schäden angerichtet. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände sei mit weniger als zehn Millionen Kubikmetern Sturmholz zu rechnen. Das sei nicht annähernd mit den Schäden nach dem Orkan "Lothar" vom Dezember 1999 vergleichbar.

Meteorologen stellten "Kyrill" indes auf eine Stufe mit den Orkanen "Lothar" (1999) und "Wiebke" (1990). Allerdings habe "Lothar" mit deutlich höheren Windgeschwindigkeiten auf einem eng begrenzten Gebiet vor allem in Süddeutschland höhere Schäden angerichtet.

Heftige Niederschläge und Wärme

"Kyrill" brachte heftige Regenfälle und extrem warme Luft mit sich. Die Pegel vieler Flüsse stiegen bedrohlich an. Die höchsten Niederschlagsmengen gab es im Schwarzwald mit 113 Litern pro Quadratmeter. In Wien kletterte das Quecksilber auf 20 Grad – die höchste je gemessene Temperatur in einer Januarnacht in der österreichischen Hauptstadt.

Der Winter kommt

Nach dem Abzug von "Kyrill" bringt das neue Tief "Lancelot" weiter Regen und Sturm nach Deutschland. Außerdem soll es nun kälter werden. Meteorologen kündigen für den Sonntag im Norden Schneeschauer an. Auch am Dienstag soll wieder Schnee geben.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen