Panorama

Geschichte der Homosexualität Neues Uni-Fach bringt Italiens Rechte auf

Maya de Leo (l.) und Antonio Pizzo stellten das neue Fach eingehend vor.

Maya de Leo (l.) und Antonio Pizzo stellten das neue Fach eingehend vor.

(Foto: imago/Pacific Press Agency)

Gender-Studien sind an Universitäten in aller Welt ganz normale Studienfächer. Jetzt nimmt die Turiner Universität das Thema in den Lehrplan auf und wird dafür scharf attackiert. Doch die Professoren halten dagegen.

"Geschichte ist eine ernste Angelegenheit, Homosexualität nicht", las man vor ein paar Tagen auf einem Transparent vor der Turiner Universität. Die Nachricht, dass ab nächsten April hier auch das Fach "Geschichte der Homosexualität" zur Wahl stehen wird, hatte die Aktivisten der rechtsextremen Gruppierung Forza Nuova zu dieser Protestaktion animiert. Die beiden "S" im italienischen "Omosessualità" waren dabei wie SS-Runen geschrieben.

Natürlich reagiert die Mehrheit der Italiener nicht im Entferntesten so intolerant. Heikel bleibt das Thema Homosexualität hierzulande aber weiter. Für die meisten ist es eine private Angelegenheit und dabei soll es auch bleiben. Italien hat erst 2016, als letztes unter den westeuropäischen Ländern, die gleichgeschlechtliche Partnerschaft gesetzlich anerkannt. Und zwar gegen den vehementen Widerstand des Vatikans und der konservativen Kreise innerhalb und außerhalb des Parlaments. Kein Wunder also, dass Maya de Leo, die den Kurs leiten wird, im Gespräch mit n-tv.de zugibt, dass "es in der Tat auch etwas Mut abverlangt hat, schon bei der Benennung des Fachs das Wort Homosexualität zu gebrauchen".

Auch die Medien haben, je nach politischer Orientierung, Stellung dazu genommen. Äußerst positive Kommentare las man dazu in den liberalen Zeitungen wie "La Stampa" und "La Repubblica", während sie in den rechtskonservativen Blättern vorwiegend kritisch ausfielen. Gerade solche Initiativen würden doch aus Homosexuellen eine andere Menschengattung machen, bemerkte die Tageszeitung "Il Giornale", die sich auch die Frage stellte, was man eigentlich unter Geschichte der Homosexualität verstehe: "Soll das heißen, dass man die Werke von Michelangelo studiert, aber die von Cimabue nicht? Dass man Proust liest und Flaubert beiseitelegt?".

Erforschung einer soziokulturellen Entwicklung

"Persönlich begrüße ich jede ernsthafte Debatte über das Thema, einmal abgesehen von der unsäglichen Aktion der Rechtsextremen", meint Antonio Pizzo, Professor für Theaterwissenschaft an der Turiner Universität im Gespräch mit n-tv.de. "Eine gleichgültige Toleranz wäre doch beängstigend." Es war seine Idee, dieses Studienfach einzuführen. Doch warum sollte man überhaupt Geschichte der Homosexualität studieren? "Und warum studiert man die Arbeiterbewegung oder die Frauenbewegung?" erwidert Pizzo. "Es ist an der Zeit, dass man sich auch in Italien auf akademischer Ebene mit dem Thema LGBT-Gemeinschaft auseinandersetzt, diese Gruppe als wichtigen Bestandteil unserer Gesellschaft anerkennt, ihre Geschichte und soziokulturelle Entwicklung erforscht sowie ihren Beitrag zur Modernisierung unseres Landes."

Und genau damit befasst sich der neue Studienkurs. "Anhand von Filmen, Literatur und Kunst erkunden wir die Wahrnehmung der Homosexualität seitens der Gesellschaft im Laufe der letzten drei Jahrhunderte und gleichzeitig die Entstehung und Entwicklung der LGBT Gemeinschaft in Amerika und Europa", erklärt die Historikerin de Leo. Auch Klischees stellten in ihrem Fachbereich ein nützliches Werkzeug dar. "Denn damit hinterfragen wir, wie es zu gewissen Vorurteilen überhaupt gekommen ist. Nehmen die zwei am meisten verbreiteten, dass Schwule alle feminin sind oder dass Homosexualität eine Krankheit ist, wie die Psychiatrie im 19. Jahrhundert behauptete. Eine These, die sich, wie wir wissen, bis in die 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein durchsetzte."

Für den Kurs wird es sechs ECTS, also Studien-Punkte geben. Am Ende steht eine mündliche Prüfung. In sozialen Medien schrieben einige User, die Universität habe jetzt einen Sonderkurs für Schwule und Lesben eingerichtet. "Das ist Quatsch" kontert Pizzo. "Als ich vor Kurzem ein Theaterstück inszenierte, in dem es um LGBT-Themen ging, haben sich auch viele heterosexuelle Studenten gemeldet und zeigten sich dann auch sehr interessiert und engagiert." Natürlich sei so ein Studienfach für ein Land, das noch immer an so manchem Stereotyp festhält, vielleicht sogar eine Provokation und auf jeden Fall ein großer Schritt, gibt Pizzo zu: "Aber irgendwann muss ihn auch jemand machen."

Quelle: ntv.de

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