Millionen Kinder bedroht Pakistan vor einer Hungerkrise
16.08.2010, 15:51 Uhr
(Foto: AP)
Die Notunterkünfte stehen im Schlamm, es gibt keinen Strom - dafür Schwüle und Gestank von Fäkalien. Unter der allgemeinen Not geht das Schicksal von Kindern unter. Dabei sind es die Schwächsten, die am meisten gefährdet sind: Bis zu 3,5 Millionen von ihnen sind durch Krankheiten und Hunger akut bedroht.
Sie haben die schwersten Überschwemmungen in Pakistan seit Jahrzehnten überstanden und kämpfen nun ums Überleben: Rund 3,5 Millionen Kindern drohen wegen verschmutzten Trinkwassers tödliche Krankheiten, wie das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) mitteilte. Während sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf eine Cholera-Epidemie vorbereitete, gab es erste Warnungen vor einer Hungerkrise.
Kinder sind immer "verwundbar"
Bis zu 3,5 Millionen Kinder seien einem "starken Risiko ausgesetzt", durch schmutziges Wasser tödlich zu erkranken, teilte OCHA-Sprecher Maurizio Giuliano mit. Sie seien vor allem von bakteriellen Darminfektionen, Hepatitis, Typhus und Durchfall bedroht. Kinder seien immer "verwundbar", sie könnten ihren Durst nicht kontrollieren und schreckten auch vor eindeutigem Schmutzwasser nicht zurück, sagte UNICEF-Sprecher Sami Abdul Malik.
Von der Überschwemmungskatastrophe in rund einem Viertel des Landes sind 20 Millionen Menschen direkt oder indirekt betroffen. Sechs Millionen Kinder haben in den vergangenen drei Wochen ihre Eltern verloren, sind nach UN-Angaben erkrankt oder ohne Obdach - die Not ist nach den Worten von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ohne Beispiel. Er habe schon viele Naturkatastrophen in der ganzen Welt gesehen, "aber nichts ist wie das hier", sagte der UN-Chef in Islamabad nach einem Besuch des Katastrophengebiets. Die Hilfe der internationalen Gemeinschaft müsse unbedingt verstärkt werden.
Erste Kinder verhungert
Zahlreiche Hilfsorganisationen sind weiterhin vor allem damit beschäftigt, die Überlebenden mit Trinkwasser und Lebensmitteln zu versorgen. Nach Einschätzung der Hilfsorganisation CARE steht Pakistan "unmittelbar vor einer Hungerkrise". Eine "Kraftanstrengung ohne Beispiel" sei nötig, um das Schlimmste zu verhindern. Die Verteilung von Essen und Trinken sei bisher "vollkommen unzureichend", klagte CARE. Die ersten Kinder seien bereits verhungert: "Das ist ein schreckliches Warnzeichen für die kommenden Wochen."
Vorbereitungen auf Cholera-Ausbruch
Die WHO stellte sich bereits auf einen Ausbruch der Cholera ein. Es würden derzeit Vorbereitungen getroffen, um in diesem Fall 140. 000 Menschen helfen zu können, sagte OCHA-Sprecher Giuliano. Bisher bestätigte die UNO nur einen Erkrankungsfall - ein Helfer sagte hingegen, dass bereits mehrere Menschen an der Infektionskrankheit gestorben seien. Im Nordwesten des Landes litten bereits mindestens 36.000 Menschen an Durchfall, einem möglichen Symptom für Cholera.
Die Lage in den Katastrophengebieten drohte sich weiter zu verschlimmern: In der südlichen Provinz Sindh fiel in der Nacht zum Montag erneut Dauerregen und überschwemmte mehrere Zeltlager von Überlebenden. Auch in anderen Regionen hielt der Regen an. Viele Menschen machten ihrer Wut über die nach ihrer Ansicht allzu zögerliche Hilfe der Regierung Luft: Hunderte blockierten aus Protest eine Straße von der Provinz Punjab in die Hafenstadt Karachi, gaben sie kurz darauf aber wieder frei.
Merkel äußert Mitgefühl

Die Ernte ist zerstört, die Infrastruktur zusammengebrochen; der Wiederaufbau wird Jahre dauern.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) blicke "mit großer Sorge und Anteilnahme" nach Pakistan, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Bilder aus dem Land seien "schockierend". Deutschland hatte seine Soforthilfe von 10 auf 15 Millionen Euro aufgestockt.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy regte angesichts der Überschwemmungen erneut eine Art europäische Eingreifmission für Naturkatastrophen an. Diese solle durch "nationale Mittel der Mitgliedsstaaten" finanziert werden, schlug Sarkozy in einem Brief an EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor.
Millionenkredit von der Weltbank
Unterdessen hat die Weltbank der Bitte der pakistanischen Regierung nach einem Darlehen über 900 Millionen Dollar (rund 702 Millionen Euro) entsprochen. Die Auswirkungen der Katastrophe auf die Wirtschaft des asiatischen Landes würden als "gewaltig" eingeschätzt, so die Institution in Washington. Nach ersten Erkenntnissen hätten die Fluten neben Straßen, Brücken und landwirtschaftlichen Flächen rund 723.000 Wohnhäuser zerstört oder beschädigt.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa