Retter bei der Loveparade-Tragödie Traumatisierter Feuerwehrmann klagt an
01.09.2015, 08:22 Uhr
Ralf Strutz musste in seiner 25-jährigen Arbeit als Feuerwehrmann viel Leid mitansehen. Nie zuvor aber hat er so viel Todesangst in den Augen der anderen gesehen wie bei der Loveparade-Tragödie mit 21 Toten. Es war sein letzter Einsatz. Jetzt hofft er auf Gerechtigkeit.
Duisburg, der 24. Juli 2010. Die Bilder der Loveparade-Tragödie haben sich eingebrannt. Was unter dem fröhlichen Motto "The Art of Love" begann, endet in einer Katastrophe. Verzweiflung, Panik, Hilflosigkeit: "Mir ist das vorgekommen, als wenn ich mitten im Krieg gewesen bin", sagt Ralf Strutz gegenüber RTL. "Ich werde die Bilder nicht mehr los. Ich werde die ganze Loveparade nicht mehr los." Eine Kamikaze-Veranstaltung sei das gewesen.
Die Loveparade mit 21 Toten und mehr als 500 Verletzten war für Strutz, der 25 Jahre als Feuerwehrmann arbeitete, der letzte Einsatz. In seiner Laufbahn als Hauptbrandmeister hat er viele Unfallopfer reanimiert und viel Leid gesehen. Doch dieser Tag im Sommer vor fünf Jahren war zu viel für den heute 53-Jährigen. "Er hat noch nie in seinem Leben so viel Todesangst in den Augen der anderen gesehen", beschreibt Anwältin Bärbel Schönhof das Leid ihres Mandanten.
Seit dem Unglück kann Strutz nicht mehr arbeiten: "Ich habe mindestens eine Flasche Rotwein am Tag getrunken, um einfach die kommende Nacht zu überstehen." Er begab sich in psychologische Behandlung, die Ärzte diagnostizierten eine posttraumatische Belastungsstörung und Strutz wurde Frührentner.
Unsägliche Zeitlupen-Justiz
Für sein erlittenes Leid sieht er das Land und den Veranstalter in der Pflicht. Er fordert 90.000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz. Ab heute wird sein Fall in einem Zivilprozess verhandelt. Das Landgericht Duisburg rechnet mit einem enormen Andrang und öffentlichem Interesse. Fernsehteams aus aller Welt werden zur Berichterstattung erwartet - auch deshalb, weil es der erste Prozess überhaupt ist, der sich in öffentlicher Verhandlung mit der Loveparade-Katastrophe befasst.

Die Aufarbeitung der Loveparade-Katastrophe führt die Justiz an die Grenzen der Belastbarkeit. Seit fünf Jahren warten die Betroffenen, dass Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden.
(Foto: dpa)
Die strafrechtliche Aufarbeitung steckt auch fünf Jahre nach dem Unglück im Zwischenverfahren fest. Eine Zeitlupen-Justiz, die viele Opfer und ihre Familien quält. Noch immer hat das Landgericht nicht entschieden, ob es die Anklageschrift wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zulässt und es zu einer Hauptverhandlung kommt. Beschuldigt sind insgesamt zehn Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters.
17 Zivilverfahren sind vor dem Landgericht Duisburg anhängig, weitere Fälle laufen derzeit außergerichtlich. Im ersten Zivilprozess mit Feuerwehrmann Strutz geht es um die Frage: Gehört es zum normalen Berufsrisiko von Rettungsleuten, in solche Situationen wie bei der Loveparade zu geraten?
Die Panik im Tunnel
Strutz, der als Helfer eines übergeordneten Stabstellenführers im Einsatz war, war angesichts der vergleichsweise kurzen Planungszeit und den wenigen Informationen schon vor dem Unglück misstrauisch. Am frühen Nachmittag sah er auf einem großen Bildschirm im Lage-Besprechungsraum, wie sich die Menschenmassen in den Tunnel drängten, wie der Tunnel voller und voller wurde. Dann fielen die Kameras aus und Strutz wurde zum fünf Kilometer entfernten Karl-Lehr-Tunnel entsandt, um die Lage im Innern und an der Zugangsrampe zu erkunden und einen geeigneten Standort für Behandlungsplätze zu finden.
Da wusste Strutz noch nicht, was ihn erwartete. Er ging durch die Polizeikette in den Tunnel und stieß auf eine undurchdringliche Menschenmasse. Gegen 17.24 Uhr setzte er seine erste Meldung ab: Die Kreuzung Düsseldorfer Straße/Karl-Lehr-Straße sei "komplett dicht", Reiterstaffeln versuchten zu "deeskalieren". Es gebe "Ausschreitungen" und "Chaos". Da wusste er, dass es kein normaler Einsatz mehr war. "Das soll Berufsrisiko sein?", zweifelt seine Anwältin. Dafür sei ein Feuerwehrmann nicht da. "Das ist vergleichbar damit, dass man ihn in ein brennendes Haus schickt und vorher die Sauerstoffschläuche durchschneidet."
Quelle: ntv.de, mit dpa