Politik

Der erste Bundeskanzler und sein widerwilliger Rücktritt "Adenauers Ende war tragisch"

Konrad Adenauer war der erste und bisher älteste deutsche Kanzler. Bis zum Alter von 87 Jahren regierte er das Land.

Konrad Adenauer war der erste und bisher älteste deutsche Kanzler. Bis zum Alter von 87 Jahren regierte er das Land.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Die schweren Anfangsjahre der Bundesrepublik prägt Konrad Adenauer wie kein anderer. Wilhelm von Sternburg erinnert sich im Interview mit n-tv.de an den ersten Bundeskanzler, seinen Rücktritt und das schwierige Verhältnis zu Nachfolger Ludwig Erhard.

Konrad Adenauer wurde 1876 in Köln geboren.

Konrad Adenauer wurde 1876 in Köln geboren.

(Foto: imago stock&people)

n-tv.de: Adenauer war 14 Jahre lang deutscher Bundeskanzler. Was bleibt von seiner Ära?

Wilhelm von Sternburg: Es lag nicht immer an Adenauers Person, aber es war sicherlich eine sehr glückliche Zeit in der deutschen Geschichte. Nach der Katastrophe des Dritten Reiches und des verlorenen Krieges kam während seiner Kanzlerschaft zwischen 1949 und 1963 ein so nicht zu erwartender Wiederaufstieg Deutschlands. Daran hat Adenauer als Politiker einen guten Anteil.

Adenauer gilt als Vater des Wirtschaftswachstums und der Westbindung. Hätte ein anderer, etwa ein sozialdemokratischer Kanzler, Deutschland nicht so schnell zurück auf die Erfolgsspur geführt?

Man weiß nie, wie Geschichte verlaufen wäre, wenn bestimmte Personen nicht agiert hätten. Ob es Kurt Schumacher, Adenauers großer Konkurrent von der SPD, besser gemacht hätte, lässt sich nicht beantworten. Aber rückblickend muss man sagen: Besser hätte diese Zeit kaum verlaufen können. In der deutschen Geschichte war Adenauer der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt.

Warum?

Er war ein Pragmatiker und konnte Machtbewusstsein, Zynismus und Vision sehr gut verbinden. Alle seine politischen Gegner hat Adenauer, der sehr von sich überzeugt war, mit eisernem Machtwillen zu besiegen versucht. Er war immer voller Skepsis gegenüber den Menschen und vor allem gegenüber den Deutschen. Im Dritten Reich hatte er erlebt, zu was Deutschland fähig war.

Adenauer ist sehr populär bei den Deutschen. Woran liegt das?

Während er regierte, war er gar nicht so populär. Adenauers Popularität ist erst nach seinem Tod in die heutige Dimension gewachsen. Zu Regierungszeiten war er ein umstrittener und umkämpfter Politiker. Die Westbindung, sein Engagement mit den Alliierten, die Wiederaufrüstung, der deutsche Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft: Adenauer ging zwischen 1949 und 1955 einen Weg, den die meisten Deutschen erst einmal gar nicht mitgehen wollten.

1961 forderte die FDP die Umbesetzung an der Spitze der Bundesregierung und wollte Erhard als Kanzler. Warum?

Adenauers Kräfte ließen nach. Er war zu der Zeit schon ein Greis und weit über 80 Jahre alt. Das sich abzeichnende Ende des kalten Krieges, hat er mit Blick auf die deutsche Teilung immer mit äußerster Skepsis gesehen. Das führte dazu, dass ein gewisser Starrsinn seine Politik bestimmte. Bei seinem Koalitionspartner, der FDP, sorgte das zunehmend für Ablehnung. Im Wahlkampf wollten die Liberalen etwas machen, das die Stimmung im Volk trifft, ohne die konservativ-liberale Regierung zu gefährden. Man entschied sich für eine Kampagne gegen den in seinem Ansehen sinkenden Adenauer. Also forderte man: Nur ohne Adenauer, Ludwig Erhard ist der künftige Mann! Warum Erhard? Weil er der Mann des Wirtschaftswunders war.

Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard.

Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard.

(Foto: imago stock&people)

Adenauer blieb trotzdem im Amt und setzte durch, noch zwei weitere Jahre Kanzler zu bleiben.

Adenauer setzte sich mit seinem Machtinstinkt wie immer durch. Es war eine fatale Niederlage für die FDP, aber glücklich geworden ist Adenauer damit nicht. Die letzten Jahre waren eine Demütigung für ihn. Die Parteien und die Bevölkerung hatten den Mann satt, der die deutsche Politik so lange geprägt hatte. Die Deutschen wollten nicht mehr seine Thesen wie "keine Experimente", "keine Reformen" oder "der Böse sitzt drüben bei den Russen", sondern eine neue und nach vorne blickende Politik.

Warum stand Adenauer nach 1961 zunehmend in der Kritik?

Es gab drei Punkte: Die "Spiegel"-Affäre war ein Desaster für das Rechtsempfinden in Deutschland. Außerdem reagierte Adenauer sehr schlecht auf den Mauerbau in Berlin. Walter Ulbricht baute die Mauer, aber Adenauer saß in Bonn und rührte sich nicht. Währenddessen stand Brandt als Regierender Oberbürgermeister Berlins im Zentrum der Berichterstattung. Erst sehr spät erkannte Adenauer, dass er als Kanzler natürlich nach Berlin muss, um mit den Menschen zu sprechen und ihnen Mut zu machen. Dass er das versäumte, schadete seinem Ansehen. Dazu kam, dass es in Amerika mit John F. Kennedy plötzlich einen strahlenden, jungen Präsidenten gab. Adenauer konnte überhaupt nicht mit diesem Politiker, der versuchte, eine neue Politik mit der Sowjetunion zu führen.

Der Autor Wilhelm von Sternburg schrieb 2005 eine Biografie über Konrad Adenauer.

Der Autor Wilhelm von Sternburg schrieb 2005 eine Biografie über Konrad Adenauer.

Adenauer trat im Oktober 1963, zur Mitte der Legislaturperiode, zurück.

Sein Rückzug war zutiefst widerwillig. Adenauer war ein Homo Politicus. Ein Leben jenseits der Politik war für ihn nicht vorstellbar. Er wurde zum Rücktritt gezwungen und versuchte das noch mit vielen Tricks zu verhindern. Plötzlich wollte er Bundespräsident werden. Aber nach seiner Auffassung musste der Präsident viel größere Machtbefugnisse haben. Es ist ihm nicht gelungen. Eigentlich war Adenauers Ende relativ tragisch.

Weil der Abschied ihm so schwerfiel?

Adenauer hat den Machtverlust nie überwunden. Das ist das Schicksal vieler großer Politiker, deren Leben so im Zeichen von Machtbewusstsein und "Man kann etwas verändern" gestanden hat. Macht ist wie eine Droge, bei Adenauer war sie das auf ganz besondere Weise. Als ihm das Amt genommen wurde, wurde er zum pessimistischen Deuter der deutschen Zukunft. Für seinen Nachfolger Erhard hatte Adenauer fast nur schlechte Worte übrig und diffamierte ihn stark. Im Prinzip erstarrte er geistig.

Das Verhältnis zwischen Adenauer und Erhard galt als schlecht. Ist das normal zwischen einem Kanzler und seinem Nachfolger?

Es ist immer schwierig zwischen Politikern, die miteinander konkurrieren. Adenauer störte die ungeheure Popularität Erhards. Der war als angeblicher Schöpfer der sozialen Marktwirtschaft und der Währungsreform eines der großen Idole der Deutschen. Erhard war jünger und wurde von der CDU, also von Adenauers eigener Partei, als Nachfolger erkoren. Beide waren auch als Typus sehr unterschiedlich. Der asketische Katholik und Disziplin-Mensch Adenauer und dann der rundliche Zigarren rauchende und ewig optimistische Franke Erhard. Aber bei Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt war das Verhältnis später nicht viel einfacher. Macht wittert immer Konkurrenz.

Mit Wilhelm von Sternburg sprach Christian Rothenberg

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Quelle: ntv.de

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