Folgenreiche Proteste Arabische Welt erschüttert
27.01.2011, 16:42 Uhr
Der Flächenbrand erfasst Jemen.
(Foto: REUTERS)
Von Marokko im Westen bis zum Jemen im Südosten, die Revolution in Tunesien hat die arabische Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Die Proteste spiegeln auch die Grenzen des Einflusses der Weltmacht USA in der Region wider.
Ausgelöst vom raschen Sturz des tunesischen Präsidenten Zine al Abidine Ben Ali gehen in vielen Ländern die Menschen auf die Straßen. Ursache ist stets eine Mischung aus wirtschaftlicher Not bis hin zur Nahrungsmittelknappheit und jahrelang aufgestauter Frustration über eine Machtelite, die ihre Herrschaft und Pfründe autokratisch sichert und nötigenfalls brutal von Polizei und Armee sichern lässt.
Die Revolten – und zusätzlich der Machtwechsel im Libanon – haben auch weitreichende Auswirkungen auf das politische Machtgleichgewicht in einer geostrategisch bedeutsamen Region. Im Folgenden einige Aspekte der Krise:
Proteste weiten sich massiv aus
In TUNESIEN fingen sie mit der Selbstverbrennung eines Mannes aus Protest gegen Behördenwillkür an. Binnen dreier Wochen wuchs daraus ein Volkszorn, der den seit Jahrzehnten herrschenden Ben Ali ins Exil trieb. Die Proteste für weiterreichende Reformen halten an.
Im benachbarten ALGERIEN gab es zu Beginn des Monats in vielen Städten, darunter der Hauptstadt Algier, tagelange Unruhen, ausgelöst durch eine Anhebung der Lebensmittelpreise. In der vergangenen Woche zündeten sich mindestens vier Menschen aus Protest selbst an. Um die Lage zu entschärfen, beschloss die Regierung eine Erhöhung der Weizenlieferungen an die Provinzen.
In JORDANIEN kam es im Zuge der tunesischen Revolution zu Kundgebungen gegen die Führung. In der südjordanischen Stadt Karak skandierten Hunderte Parolen gegen Ministerpräsident Samir al-Rifai. Auch hier reagierte die Regierung eilig mit der Senkung der Preise für Benzin und einiger Grundnahrungsmittel.
Im JEMEN demonstrierten Tausende gegen die Regierung und forderten einen Machtwechsel. Das Land ist ein Verbündeter der USA. Präsident Salih arbeitet mit den USA bei der Bekämpfung der Al-Kaida-Terroristen zusammen, die sich in einigen Regionen des Jemen versteckt halten. Er ist seit 1978 im Amt.
Seit Tagen springen die Funken auch nach ÄGYPTEN über, dem wohl wichtigsten Land der Region:
Götterdämmerung in Ägypten
Präsident Husni Mubarak sieht sich mit den heftigsten Protesten seit Jahrzehnten, vielleicht seit Beginn seiner Herrschaft vor 30 Jahren konfrontiert. Erstmals werden auch Forderungen nach Demokratie gestellt. Der ökonomisch motivierte Protest der armen Bevölkerung mischt sich mit dem Verlangen junger und gebildeter Schichten nach Demokratie zu einem für Mubarak gefährlichen Cocktail. Dieser setzt auf Gewalt der Sicherheitsorgane und ein Minimum an Meinungsfreiheit.
Bei der jahrzehntelangen Unterdrückung der islamistischen Muslimbrüder hat der Westen aus Furcht vor einer Islamisierung lange ein Auge zugedrückt. "Mubarak hat sich noch nie derartigen Protesten ausgesetzt gesehen, es sieht ziemlich schlecht aus für ihn", schätzt der Analyst Issandr El Amrani die Lage ein. Nach seiner Meinung verschlechtern die Proteste die Chancen von Mubarak-Sohn Gamal, Kandidaten für die Nachfolge seines Vaters bei der Wahl im Herbst zu werden. Die Macht des Familienclans scheint ernsthaft bedroht.
Doch die Lage ist anders als in Tunesien: Mubarak stützt sich auf eine loyale Armee und der Westen hat wenig Interesse, den engen Verbündeten aufzugeben und das Land möglicherweise in die Hände von Islamisten fallenzulassen. Der Druck zu einer stärkeren Demokratisierung dürfte aber steigen.
Bedeutung für den Nahost-Konflikt
Mubarak gilt als wichtigster arabischer Vermittler im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Bei allen bisherigen Friedensverhandlungen kam ihm eine Schlüsselrolle zu. Ägypten war das erste Land, das einen Friedensvertrag mit Israel schloss und es unterhält gleichzeitig enge Beziehungen zu den arabischen Schlüsselstaaten und den Palästinensern. Das Land besitzt eine fast 300 Kilometer lange Grenze zu Israel - und zum Gaza-Streifen.
Wie gefährlich es für den jüdischen Staat ist, sollten Radikale das Nachbarland beherrschen, zeigt ein Vorfall vom vergangenen August: Vom ägyptischen Sinai aus feuerten Hamas-Extremisten Raketen auf die israelische Touristenmetropole Eilat am Roten Meer. Sollte die an Ägypten zurückgegebene Sinai-Halbinsel Operationsgebiet von Extremisten werden, würde Israel eine der längsten und zugleich bislang ruhigsten Grenzen gegen einen 300 Kilometer langen Sicherheits-Albtraum tauschen. Im Norden fühlt sich der jüdische Staat zudem durch die Machtübernahme der Hisbollah bedroht, die Israel vernichten will. Sollte im Osten das Haschemiten-Königreich in Jordanien stürzen, wäre Israel von Feinden umzingelt.
Quelle: ntv.de, rts