"Es wird ein Makel bleiben" Barroso macht weiter
16.09.2009, 12:49 UhrDas Europaparlament gibt grünes Licht für eine zweite fünfjährige Amtszeit des EU-Kommissionspräsidenten Barroso. Für den Portugiesen stimmen vor allem Christdemokraten, Konservative und Liberale. Grüne und Linke votieren gegen ihn.
Der konservative Barroso "erkaufte" sich die Mehrheit im Parlament bei seinen Kritikern mit Zugeständnissen.
(Foto: REUTERS)
Nach monatelangem Streit im Europäischen Parlament kann EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso seine zweite Amtszeit antreten. Das Parlament stimmte in Straßburg mit 382 Stimmen für den Kandidaten der 27 EU-Mitgliedstaaten. Der Christdemokrat wurde von seiner Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei, von den EU-skeptischen Konservativen und großen Teilen der Liberalen unterstützt. Barroso führt die Kommission, die in der EU eine Schlüsselrolle spielt, bereits seit Ende 2004. Zur Wiederwahl war nur eine einfache Mehrheit erforderlich.
Für ihn stimmten bei dem geheimen Votum eigenen Angaben zufolge vor allem Christdemokraten, Konservative und Liberale. 219 Abgeordnete, vor allem Grüne und Linke, votierten gegen Barroso. 117 Parlamentarier, die meisten Sozialdemokraten, enthielten sich.
Barroso sagte, er sei stolz auf den großen Rückhalt. "Ich habe eine gestärkte Autorität." Er werde dieses politische Kapital nutzen, um nationale Egoismen zu bekämpfen. "Wir können nur gemeinsam in der Globalisierung bestehen." Kritik, er habe die absolute Mehrheit nur mit den rund 40 Stimmen der konservativen EU-skeptischen Fraktion erreicht, wies Barroso zurück. Er habe ein pro-europäisches Programm präsentiert, deshalb könnten alle, die für ihn stimmten, nicht gegen Europa sein. EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek äußerte sich erleichtert: "Wir haben jetzt kein politisches Vakuum."
Freude bei der Union
Die Union begrüßte die Wiederwahl Barrosos als "logische Konsequenz" des Wahlsiegs der Europäischen Volkspartei bei der Europawahl. "Damit ist die Handlungsfähigkeit der Kommission fugenlos sichergestellt", sagte EVP-Vizepräsident Peter Hintze (CDU). Die CDU/CSU ist Teil der EVP. Auch die Liberalen begrüßten Barrosos Wahl. Eine "rot-rot-grüne Blockade" sei gescheitert, heißt es in einer Erklärung des deutschen FDP-Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff.
Grüne zufrieden mit Diskussion
Zufrieden - allerdings mit der Diskussion um die Wiederwahl Barrosos – äußerten sich die Grünen im EU-Parlament. "Wir haben ihn in eine politische Auseinandersetzung gezwungen und auf diese Weise die Wahl politisiert", sagte die Ko-Vorsitzende der Grünen im Parlament, Rebecca Harms. Sie verwies darauf, dass Barroso bereits im Juli "ohne Diskussion" gewählt werden sollte. "Barroso hat allen etwas versprochen, das muss er jetzt auch einlösen", sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Daniel Cohn-Bendit.
Sozialdemokraten erwarten nichts
Die Sozialdemokraten im Europaparlament zeigten sich enttäuscht. Der Fraktionsvorsitzende Martin Schulz sagte, es sei ein "Armutszeugnis", dass der Kommissionspräsident auch mit den Stimmen von Euroskeptikern gewählt sei: "Ich erwarte nichts von ihm."
"Es wird ein Makel bleiben, dass er die Euroskeptiker für seine Wiederwahl gebraucht hat", meinte der SPD-Europaparlamentarier Jo Leinen.
Mehrheit mit Zugeständnissen erkauft
Nach Ansicht seiner Unterstützer hat sich Barroso im Kampf gegen die Wirtschaftskrise und für den Klimaschutz bewährt. Barroso sagte, er werde sich sofort wieder diesen beiden Herausforderungen zuwenden. "Für mich ist der G20-Gipfel jetzt die wichtigste Frage", sagte er zur künftigen Zusammensetzung der Kommission. Die Kritiker im EU-Parlament hielten ihm vor, sich zu wenig gegen die Mitgliedstaaten durchzusetzen. Die Grünen warfen ihm Versagen beim Klimaschutz vor. Sozialisten und Linke prangerten an, die Barroso-Kommission habe eine unsoziale Politik betrieben und den Binnenmarkt zu radikal liberalisiert. Doch einen Gegenkandidaten gab es nicht.
Mit der Wahl geht ein monatelanges Ringen Barrosos mit seinen Kritikern zu Ende. Die zunächst für Juli geplante Bestätigung durch das Europäische Parlament musste von der Tagesordnung genommen werden, weil Barroso damals keine Mehrheit hatte. Dies erreichte er jetzt mit Zugeständnissen in seinem Programm für die kommenden fünf Jahre, die vor allem liberale Parlamentarier umstimmten. So kam er etwa ihrer Forderung nach, einen Kommissarsposten für Grundrechte zu schaffen.
Postenschacher um die Kommission
Die fünfjährige Amtszeit Barrosos und der gesamten EU-Kommission endet am 31. Oktober. Die Kommission hat das alleinige Recht, Gesetze in der EU vorzuschlagen und wacht über die Einhaltung des EU-Rechts.
Der ehemalige portugiesische Ministerpräsident kann sich bald daran machen, seine neue Kommission zusammenzustellen. Doch steht erst nach der Volksabstimmung über den EU-Vertrag von Lissabon in Irland am 2. Oktober fest, welche rechtliche Grundlage gilt. Sollte der Lissabon-Vertrag in Kraft treten, behält jedes Mitgliedsland einen Kommissarsposten. Fällt er durch, gilt der Vertrag von Nizza weiter. Nach diesem muss die Kommission um mindestens eine Stelle verkleinert werden. Während andere Mitgliedsstaaten hinter den Kulissen bereits ihre Anwärter in Position bringen, hat sich die Bundesregierung vor der Bundestagswahl auf keinen Kandidaten für die Nachfolge des Sozialdemokraten Günter Verheugen festgelegt.
Quelle: ntv.de, hdr/AFP/dpa/rts