Schwere Vorwürfe gegen die EU Erdogan: "Das Volk will die Todesstrafe"
26.07.2016, 07:18 Uhr
Der Präsident will auf sein Volk hören: Recep Tayyip Erdogan.
(Foto: imago/Xinhua)
Mit großer Härte geht der türkische Präsident Erdogan gegen politische Gegner vor. Für Putschisten ist gar die Todesstrafe im Gespräch. Das Volk verlange nach ihr, begründet Erdogan deren mögliche Wiedereinführung. An der EU übt er scharfe Kritik.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe infolge des Putschversuches mit dem Volkswillen begründet. "Wenn wir uns in einem demokratischen Rechtsstaat befinden, hat das Volk das Sagen. Und das Volk, was sagt es heute? Sie wollen, dass die Todesstrafe wieder eingeführt wird", sagte er der ARD. Die Regierenden dürften nicht einfach sagen, dass interessiere sie nicht.
Schon gleich nach dem Umsturzversuch am 15. und 16. Juli hatte Erdogan angekündigt, der Wiedereinführung der Todesstrafe zuzustimmen, sollte das Parlament eine solche Verfassungsänderung beschließen. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin meinte vergangenen Donnerstag, er hielte die Hinrichtung der Putschisten für "eine faire Strafe".
Zu möglichen negativen Folgen für die Türkei in ihrem Verhältnis zur EU sagte Erdogan: "Nur in Europa gibt es keine Todesstrafe. Ansonsten gibt es sie fast überall." EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte Erdogan zuvor erneut gewarnt, die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union würden sofort gestoppt, falls die Türkei die Todesstrafe wieder einführe.
"Europäischen Regierenden sind nicht aufrichtig"
Erdogan warf der EU vor, sie habe in der Flüchtlingspolitik ihr Wort gebrochen und Vereinbarungen gegenüber der Türkei nicht eingehalten. "Die europäischen Regierenden sind nicht aufrichtig", sagte der islamisch-konservative Politiker in dem ARD-Interview. So habe die EU der Türkei drei Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen zugesagt. Bisher seien jedoch nur symbolische Summen eingetroffen. Konkret sprach er von ein bis zwei Millionen Euro.
Im Zentrum des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei steht ein Tauschhandel. Die EU schickt Flüchtlinge und andere Migranten, die seit dem 20. März illegal in Griechenland eingereist sind, zurück in die Türkei. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling darf seit dem 4. April ein anderer Syrer aus der Türkei legal und direkt in die EU einreisen. Erdogan sagte: "Wir stehen zu unserem Versprechen. Aber haben die Europäer ihr Versprechen gehalten?"
"Wir konnten schnell reagieren"
Erneut forderte Erdogan die versprochene Visa-Freiheit für Türken, die in die EU reisen wollen. Dies sei bisher nicht geschehen. Die Visumpflicht für türkische Staatsbürger sollte ursprünglich ab Juli aufgehoben werden. Dieser Termin hat sich aber verschoben, weil die Türkei noch nicht alle 72 Bedingungen erfüllt hat, darunter die Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze.
Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour forderte die Bundesregierung zu deutlichen Worten gegenüber der türkischen Regierung auf. "Es ist jetzt möglicherweise die letzte Möglichkeit, klar und deutlich zu sagen, was alles schief läuft in der Türkei, weil es demnächst möglicherweise eine Diktatur gibt, und da brauch man gar nicht mehr die Stimme zu erheben", sagte er der ARD. Die Demokratie in der Türkei sei ernsthaft bedroht.
Prominente Journalistin festgenommen
Unterdessen erfasste die Festnahmewelle in der Türkei auch Journalisten. Die Staatsanwaltschaft ordnete die Festnahme von 42 Journalisten an, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, die Ermittlungen richteten sich gegen Medien aus dem Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen. Auch die prominente regierungskritische Journalistin Nazli Ilicak wurde laut einem Bericht festgenommen. Die Polizei habe Ilicak im Ferienort Bodrum an der Ägäisküste in Gewahrsam genommen, meldete DHA. Ilicak war Ende 2013 von der regierungsnahen Zeitung "Sabah" entlassen worden, als sie im Rahmen von Korruptionsermittlungen den Rücktritt mehrerer Minister der Regierungspartei AKP forderte. Die Regierung hält die damaligen Korruptionsermittlungen für ein Gülen-Komplott.
Erdogan verteidigte sein hartes Vorgehen gegen seine politischen Gegner. Es gebe eine ernstzunehmende Organisation und die Identitäten ihrer Mitglieder seien bekannt, sagte er mit Blick auf die Gülen-Bewegung. "Weil sie bekannt sind, konnten wir schnell reagieren", sagte der Präsident.
Die Regierung macht Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Seitdem sind nach offiziellen Angaben mehr als 13.000 Verdächtige festgenommen worden, knapp 6000 davon sitzen in Untersuchungshaft. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu wurden mehr als 45.000 Staatsbedienstete suspendiert. Die Maßnahmen haben international Kritik ausgelöst. Ob er eine Verlängerung des dreimonatigen Ausnahmezustands anstrebe, ließ er offen. "Wenn es eine Normalisierung gibt, brauchen wir keine zweiten drei Monate", sagte der Staatschef.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP