Süd-Nord-Gefälle im Schulvergleich Herkunft bestimmt Bildung
23.06.2010, 10:14 Uhr
(Foto: APN)
Vor zehn Jahren hat der erste PISA-Test Bildungs-Deutschland auf den nüchternen Boden der Tatsachen zurückgeholt. Der neueste Schulbildungsvergleich zeigt: Positiv verändert hat sich kaum etwas. Die Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist sogar eher größer als kleiner geworden.
Bei einem neuen Schul-Leistungsvergleich hat Bayern erneut am besten abgeschnitten: In dem von der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgelegten Ländervergleich wiesen die bayerischen Schüler die besten Leistungen auf. Schlusslicht in fast allen Disziplinen ist Bremen.
Süd-Nord-Gefälle bleibt
Für den neuen Bundesländer-Vergleich wurden die Leistungen von Neuntklässlern in den Fächern Deutsch und Englisch getestet. Sieger sind erneut die Schüler aus Bayern und Baden-Württemberg. Aber auch Sachsen und Rheinland-Pfalz konnten sich in der Spitzengruppe platzieren. Am Ende der Rangliste beim Lesen standen Hamburg, Berlin und Bremen. Schlusslichter in Englisch waren Brandenburg und Bremen. Lesen und Textverständnis gelten als die wichtigste Schlüsselkompetenz für das weitere Lernen.
Spitzenländer am unsozialsten
Nach der neuen Untersuchung ist die Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland in den vergangenen Jahren eher größer als kleiner geworden. So hat ein Kind aus der Oberschicht gegenüber einem Schüler aus einer Facharbeiterfamilie auch bei gleicher Lesekompetenz eine 4,5 mal so große Chance, ein Gymnasium zu besuchen. Besonders ausgeprägt ist dieses soziale Bildungsgefälle in den Spitzenländern Baden-Württemberg und Bayern. Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle räumte Defizite bei der Chancengerechtigkeit ein. Die Staatsregierung setze auf individuelle Förderung, um soziale Nachteile von Kindern aus sozial schlechter gestelllten Haushalten und Zuwandererfamilien zu verbessern.
Grundlage für die Studie waren die nach dem schlechten Abschneiden Deutschlands bei der internationalen PISA-Schulstudie in allen Bundesländern eingeführten Bildungsstandards. Diese wurden nun vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Berliner Humboldt-Universität überprüft. Die Bildungsstandards beschreiben, was ein Schüler am Ende einer jeweiligen Jahrgangsstufe können muss. Die neue Untersuchung löst den bisherigen PISA-Bundesländer-Vergleich ab.
Fehlanzeige bei Lehrerfortbildung
Die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warf den Kultusministern vor, sich nur unzureichend um die Förderung der Lesekompetenz gekümmert zu haben. "Seit 10 Jahren geschieht kaum etwas mit System", sagte Marianne Demmer. Zwar gebe es mittlerweile eine Sammlung von 90 Seiten Literaturhinweisen und über 100 Projekten in den Bundesländern." Eine jüngste Online-Befragung unter den Lehrern habe jedoch gezeigt, dass drei Viertel der Pädagogen die Förderkonzepte gar nicht oder nur vom Hörensagen kennen. Demmer: "Es blühen 1000 bunte Blumen, aber bei Investitionen in die Lehrerfortbildung ist Fehlanzeige."
Der deutsche PISA-Forscher Jürgen Baumert hat eine "konsequente Frühförderung" und noch mehr individuelle Hilfen für sogenannte Risiko-Schüler verlangt. Kinder aus Migrantenfamilien und aus bildungsfernen Schichten benötigten noch mehr Unterstützung, sagte Baumert dem Berliner "Tagesspiegel".
Mentalitätswandel durch PISA
Positiv sieht Baumert, dass regelmäßig vorgelegten Schultests einen Mentalitätswandel in Politik und Öffentlichkeit bewirkt haben. "Die Aufmerksamkeit für Bildung ist größer und differenzierter geworden und die deutsche Überheblichkeit hat einen Dämpfer erhalten."
Quelle: ntv.de, dpa