Politik

Regelungen teilweise verfassungswidrig Karlsruhe kippt Sicherungsverwahrung

Das Bundesverfassungsgericht erklärt die bisherige Praxis der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig. Nun steht die Politik unter Zugzwang: Bis 2013 muss der Umgang mit gefährlichen Straftätern neu geregelt werden. Bis dahin gelten Übergangsbestimmungen, die eine weitere Inhaftierung von Risiko-Tätern möglich machen.

Der Zweite Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung.

Der Zweite Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung.

(Foto: dpa)

Das Bundesverfassungsgericht hat alle bestehenden Regelungen zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Die geltende Praxis verletzt die Menschenrechte, entschied das Gericht in Karlsruhe. Extrem gefährliche Straftäter dürfen aber zum Schutz der Bevölkerung bis zu einer Neuregelung weiter eingesperrt bleiben. In sogenannten Altfällen muss die besondere Gefährlichkeit der Betroffenen bis Jahresende geprüft werden, erklärte der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, bei der Verkündung des Richterspruchs.

Laut Urteil verstößt die Gesetzesreform vom Dezember 2010 ebenso wie die früheren Regelungen zur rückwirkenden Verlängerung sowie zur nachträglichen Anordnung der zuvor auf zehn Jahre befristeten Sicherungsverwahrung gegen das Freiheitsrecht der Betroffenen. Das Gericht begründete dies damit, dass sich die Sicherungsverwahrung, die nur dem Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tätern dient, nicht deutlich genug von einer Strafhaft unterscheidet. Dieses sogenannte Abstandsgebot hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg im Dezember 2009 eingefordert.

Der Gesetzgeber wurde mit weitreichenden Vorgaben verpflichtet, die Sicherungsverwahrung bis Mai 2013 grundlegend zu reformieren und ein "freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept" zu entwickeln. Die Betroffenen müssen demnach etwa durch qualifizierte Fachkräfte so intensiv therapeutisch betreut werden, dass sie "eine realistische Entlassungsperspektive" haben. Ihr Leben in Verwahrung muss zudem so weit wie möglich "den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst" und ihnen familiäre und soziale Außenkontakte ermöglicht werden.

Gefährliche Täter bleiben hinter Gittern

Das Gericht ordnete eine Übergangsregelung an. Laut Urteil können Täter weiter festgehalten werden, von denen eine "hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten" ausgeht und die zudem an einer "zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung" leiden. Von den verbliebenen rund 70 Altfällen, die sich nach früheren Regelungen derzeit noch in Sicherungsverwahrung befinden, dürften nun viele bis Jahresende auf freien Fuß kommen.

Die Gerichte müssen diese Fälle "unverzüglich" prüfen. Andernfalls müssten die Betroffenen bis Ende dieses Jahres freigelassen werden, so Voßkuhle. Das gilt entsprechend für Straftäter, bei denen die Verwahrung erst nachträglich angeordnet wurde.

Die Richter verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass auch nach Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine nachträglich verlängerte oder angeordnete Sicherungsverwahrung nur unter der Voraussetzung einer psychischen Störung zulässig ist. Das seit Januar geltende Therapieunterbringungsgesetz greift diesen Gedanken den Richtern zufolge bereits auf. Auf dessen Grundlage könnten dann psychisch gestörte und weiterhin gefährliche Rückfalltäter in therapeutischen Einrichtungen verwahrt werden.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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