Politik

"Quellen voll ausschöpfen" Eichel: Steuererhöhungen kein Tabu

Ex-Finanzminister Eichel wirft der Bundesregierung vor, Ausgaben nicht ordentlich finanziell abgesichert zu haben.

Ex-Finanzminister Eichel wirft der Bundesregierung vor, Ausgaben nicht ordentlich finanziell abgesichert zu haben.

(Foto: REUTERS)

Finanzminister Steinbrück ist mit seinem Kurs der Haushaltskonsolidierung gescheitert, die Bundesregierung muss bis Ende 2013 eine Rekordverschuldung von 310 Milliarden Euro verantworten. Sein Vorgänger Hans Eichel hat großes Verständnis für Steinbrück. "Das sind keine Zeiten der Haushaltskonsolidierung", sagt der ehemalige Finanzminister im Interview mit n-tv.de. Um den Schuldenberg abzutragen, solle die Bundesregierung den Betrug bei der Umsatzsteuer stärker bekämpfen und alle Steuerschlupflöcher schließen. Falls das nicht helfe, schließt Eichel auch Steuererhöhungen als letztes Mittel nicht aus.

n-tv.de: Herr Eichel, die Bundesregierung muss eine zusätzliche Rekord-Neuverschuldung von 310 Milliarden Euro bis 2013 verantworten. Damit ist auch Peer Steinbrück als Bundesfinanzminister an dem Ziel der Haushaltskonsolidierung gescheitert. Ist Deutschland zum Schuldenmachen verdammt?

Hans Eichel: Nein. Aber wenn die Konjunktur so stark einbricht – und das ist in diesem Fall noch viel schlimmer, als ich es als Minister erlebt habe – dann sind das keine Zeiten der Haushaltskonsolidierung. Es war auch richtig von der Bundesregierung, aktiv gegenzusteuern, um die Krise nicht zu lang und zu tief werden zu lassen. Aber in guten Zeiten muss noch viel mehr konsolidiert werden, als das bisher geschehen ist.

Fühlen Sie sich an Ihr eigenes Schicksal erinnert, als sie 2003 Ihr Scheitern bei der Haushaltskonsolidierung einräumen und eine extreme Verschuldung in Kauf nehmen mussten?

Es ist eine eindeutige Lehre: Über die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte wird in den Boom-Phasen entschieden, nicht in den Phasen des Abschwungs. Man darf einem Abschwung nicht hinterhersparen – dann verschärft man das Problem.

Hat es die Bundesregierung versäumt, in wirtschaftlich guten Zeiten ordentlich zu sparen?

Das würde ich nicht sagen. Aber einige Ausgaben hätten von Anfang an mit langfristiger Finanzierung unterlegt werden müssen. Zum Beispiel der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung. Dabei geht es um die Mitversicherung von Kindern, ohne dass für sie gesonderte Beiträge gezahlt werden müssen. Ein für sich genommen vernünftiger Beschluss. Aber es war ein Fehler, das nicht mit einer entsprechenden Mehrwertsteuererhöhung oder einer anderen Steuererhöhung zu verbinden, um für die Finanzierung eine langfristige Basis garantieren zu können.

"Man fühlt sich natürlich nicht gut": Eichel weiß, was Steinbrück mitmacht.

"Man fühlt sich natürlich nicht gut": Eichel weiß, was Steinbrück mitmacht.

(Foto: dpa)

Wie fühlt man sich in einer solchen Situation, als Minister für eine Rekordverschuldung verantwortlich zu sein?

Man fühlt sich natürlich nicht gut. Peer Steinbrück hat intensiv auf einen Haushalt 2011 ohne neue Schulden hingearbeitet, so wie ich es damals für das Jahr 2006 angestrebt hatte. Aber der Finanzminister ist nicht für das auf und ab der Konjunktur verantwortlich. Deshalb ist man, wenn man ansonsten seine Arbeit richtig gemacht hat, mit sich im Reinen.

Neben wegbrechenden Steuereinnahmen muss Steinbrück mit den Schulden vor allem die Konjunkturpakete der Bundesregierung, das krisenbedingte Kurzarbeitergeld und die Bundesagentur für Arbeit finanzieren. Ist die Neuverschuldung sinnvoll, weil sie die Krise bekämpft?

Bei einem so dramatischen Einbruch der Konjunktur, wie wir ihn gerade erleben, muss man gegensteuern. Nehmen wir den Fall der Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes: Ohne die Verlängerung sähe die Situation am Arbeitsmarkt bereits viel schlechter aus, und die Bereitschaft der Konsumenten, in Deutschland zu kaufen, wäre zudem viel geringer. Sie hat sich ja sogar noch leicht verbessert. Das heißt, wir hätten insgesamt eine viel schärfere Wirtschaftskrise. Deshalb ist die Maßnahme richtig.

Gibt es in den Konjunkturpakten auch Maßnahmen, die Sie nicht für sinnvoll halten?

Ich halte steuerliche Maßnahmen für weniger sinnvoll als investive. Die vernünftigsten Beschlüsse in den Paketen sind alle Investitionen, vor allem die für Forschung und Entwicklung, für Kinderbetreuung, Schule und Bildung, für Wärmedämmung an Gebäuden und für Verkehrsinfrastruktur.

Die Große Koalition gibt vor der Bundestagswahl großzügiger Geld aus, etwa um den Rentnern als wichtige Wählergruppe etwas Gutes zu tun. Welchen Anteil an der Neuverschuldung trägt der Wahlkampf?

Der Vorgänger und sein Nachfolger: Gerade in Wahlkampfzeiten müssen Finanzminister ihr Geld zusammenhalten.

Der Vorgänger und sein Nachfolger: Gerade in Wahlkampfzeiten müssen Finanzminister ihr Geld zusammenhalten.

(Foto: AP)

Wahlkämpfe sind immer gefährliche Zeiten für solide Staatsfinanzen. Auf der einen Seite kommen aus der Gesellschaft immer mehr Forderungen und immer mehr Lobby-Gruppen sagen sich: Das ist die Zeit, in der wir unsere Ansprüche am leichtesten durchsetzen können. Und leider ist die Politik nicht immer standfest genug, um dann Nein zu sagen. Der Konkurrenzkampf der Parteien führt dazu, dass leichtfertiger Zusagen gemacht werden, die besser nicht gemacht worden wären. Deshalb ist es wichtig, in der jetzigen Situation deutlich zu machen, dass alles, was an Zugeständnissen gemacht wird, später auch bezahlt werden muss.

Zugespitzt gesagt: Drei Jahre wird eisern gespart -  und dann ist Wahljahr: Ist es nicht zwangsläufig so, dass spätestens im Bundestagswahlkampf die Hemmungen zum Geldausgeben sinken und damit der Konsolidierungskurs eines jeden Finanzministers zerstört wird?

Zerstört werden muss er nicht, aber dass ein solcher Kurs in Wahlkampfzeiten in Gefahr gerät, ist klar. Das ist übrigens nicht in allen Ländern so. Ich empfehle einen Blick nach Skandinavien, wo mit leichtfertig gegebenen Steuersenkungsversprechen keine Wahlen gewonnen werden. Ich wünsche mir, dass auch wir in der Öffentlichkeit ein viel größeres Bewusstsein dafür entwickeln, was solide Finanzen erfordern.

Aber gerade auch Ihre eigene Partei ist dabei sehr anfällig für Forderungen.

Nein, die SPD ist da weniger anfällig als andere Parteien. Die Union zieht mit Steuersenkungsversprechungen in der Höhe von 20 Milliarden Euro in den Wahlkampf. Die SPD hat zwar auch bei niedrigeren Einkommen Erleichterungen versprochen, will das aber durch Belastung der höheren Einkommen gegenfinanzieren.

Die Probleme, die sich aus der Neuverschuldung ergeben, werden durch einen zweiten Aspekt verschärft: Wegen der beschlossenen Schuldenbremse muss der Bund bis 2013 allein 35 Milliarden Euro einsparen. Schränkt die Schuldenbremse damit nicht den Spielraum des Finanzministers unnötig ein?

Viel wichtiger ist die Frage, ob wir wegen des Europäischen Wachstums- und Stabilitätspakts aus Brüssel genug Zeit bekommen werden, unter die Defizitgrenze von drei Prozent zurückzukehren. Insofern ist der Pakt möglicherweise noch härter als die Schuldenbremse, die zu Recht beschlossen worden ist. Das heißt ja auch nicht, dass deswegen an den Zukunftsausgaben gespart werden muss. Das ist eine Frage des Gestaltungswillens der Bundesregierung. Aber damit ist endgültig jedes Steuersenkungsversprechen zur Illusion geworden.

Bis 2016 darf der Bund wegen der Bremse nicht mehr Schulden als 0,35 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aufnehmen. Wie soll das finanziert werden?

Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten: Steuererhöhungen, Ausgabensenkungen oder Inflation. Inflation ist in der Regel ein ziemlich unsoziales Element. Bei den Ausgabenkürzungen muss man sehr darauf achten, dass sich das nicht auch unsozial und vor allem zukunftsfeindlich auswirkt. Ich kann mir etwa nicht vorstellen, dass man bei Bildung und Forschung kürzt. Im Gegenteil: Diese Bereiche sind noch unterfinanziert. Also wird man vor allem und zuerst die Steuerquellen voll ausschöpfen müssen. Das heißt, den Betrug bei der Umsatzsteuer noch viel härter zu verfolgen und den Kampf gegen die Steuerflucht und die Steuerhinterziehung massiv zu verstärken. Wenn das erfolgreich wäre, müsste man vielleicht nicht über Steuererhöhungen reden.

Das heißt, es wäre durchaus ein richtiger Schritt, wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vorgeschlagen hat, die Mehrwertsteuer anzuheben?

Hans Eichel war von 1999 bis 2005 Finanzminister der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder. Der 67-jährige Eichel ist ausgebildeter Gymnasiallehrer und war Oberbürgermeister seiner Geburtsstadt Kassel sowie von 1991 bis 1999 Ministerpräsident von Hessen.

Hans Eichel war von 1999 bis 2005 Finanzminister der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder. Der 67-jährige Eichel ist ausgebildeter Gymnasiallehrer und war Oberbürgermeister seiner Geburtsstadt Kassel sowie von 1991 bis 1999 Ministerpräsident von Hessen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Erst wenn die übrigen Quellen voll ausgeschöpft sind und dennoch eine große Lücke bleibt. Es ist traurig, dass die Union den richtigen Kampf von Peer Steinbrück gegen die Steuerflucht nicht voll unterstützt, ihn vielmehr noch versucht zu bremsen. Man sollte alles tun, um Steuererhöhungen zu vermeiden, aber dann muss man eben bei Steuerhinterziehung und –betrug hart zugreifen. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit: Es kann nicht sein, dass eine Mehrheit hinterher mehr Steuern zahlen muss, weil Betrüger und eine Minderheit bei den Wohlhabenden sich ihrer Steuerpflicht entziehen.

Welcher Kurs führt Ihrer Ansicht nach langfristig aus den Schulden?

Ersten muss man strikte Ausgabendisziplin üben und zweitens die genannten Steuerquellen voll ausschöpfen. Aber man darf nicht an den Zukunftsfeldern Kinderbetreuung, Bildung, Forschung und Entwicklung und Klimaschutz sparen. Zudem sind keine größeren Einsparungen im Sozialbereich vorstellbar, weil sie diese Gesellschaft auseinanderdriften ließen. Wenn das nicht reicht, müssen die stärkeren Schultern eben mehr tragen. Schließlich: Es geht nicht nur darum, die Schulden zu verringern. Es geht auch darum, für die  Zukunftsaufgaben das Geld zu haben.

Welchen Tipp geben Sie dem nächsten Finanzminister, der im Herbst vor dem gigantischen Schuldenberg steht?

Ich gebe überhaupt keine öffentlichen Ratschläge an Nachfolger, das habe ich noch nie getan.

 

Mit Hans Eichel sprach Till Schwarze

Quelle: ntv.de

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