"Wir haben ein Kriegsszenario"Lage auf Lampedusa eskaliert

Hunderte Flüchtlinge sitzen auf Lampedusa fest, ihre Lage wird immer bedrohlicher. Erst vernichtet ein Feuer Teile des Lagers, dann werfen Anwohner Steine auf die Tunesier, als sie gegen ihre Not protestieren. Die Polizei schlägt den Protest mit Knüppeln nieder, eine Lösung der andauernden Krise ist nicht in Sicht.
Auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ist der Streit zwischen Flüchtlingen und Einwohnern eskaliert: Als hunderte Tunesier mit dem Ruf "Freiheit, Freiheit" für ihren Transfer aufs Festland demonstrierten, bewarfen die Einwohner sie mit Steinen, berichteten italienische Medien. Mehr als ein dutzend Menschen wurden verletzt, als die Polizei mit Schlagstöcken gegen die Flüchtlinge vorging.
Die Lage auf der kleinen Insel hatte sich verschärft, nachdem in den vergangenen Tagen mehr als tausend Flüchtlinge aus Tunesien eingetroffen waren. Die Proteste begannen, als am Dienstagnachmittag eine Gruppe von Flüchtlingen in ihrem Aufnahmelager einen Brand legte, durch den drei Gebäude des Lagers zerstört wurden. Die Flüchtlinge fordern ihren Transfer aufs italienische Festland. Das Lager ist bereits einmal ein Raub der Flammen geworden. Im Februar 2009 zerstörte ein Brand große Teile der Anlage.
Bürgermeister alarmiert
Dutzende Bewohner belagerten das Büro von Bürgermeister Bernardino De Rubeis, dem sie zu große Nachsicht mit den Flüchtlingen vorwerfen. De Rubeis zeigte Journalisten einen Baseballschläger und sagte, er sei bereit, sich zu verteidigen. "Wir haben ein Kriegsszenario, der Staat muss umgehend Helikopter und Schiffe schicken, um die Tunesier wegzubringen", sagte der Bürgermeister. Auch der sizilianische Gouverneur Raffaele Lombardo sprach sich für die sofortige Evakuierung der Aufnahmelager aus.
Auf Lampedusa warten rund tausend tunesische Flüchtlinge auf die Erlaubnis zur Weiterreise in ein Aufnahmelager in Italien. Für sie wird nun nach einer neuen Unterbringungsmöglichkeit gesucht. Hunderte von ihnen hatten die Nacht in einem Stadion verbracht. Die auf der Insel gestrandeten Tunesier sollen eine Verlegung aus dem Lager auf das Festland verlangen, werden aber von den Behörden zurückgeschafft. Nach einem Abkommen zwischen Tunis und Rom müssen sie eigentlich in ihre Heimat zurückgebracht werden. Zurzeit werden etwa 100 Tunesier täglich zurückgeflogen, teilten die Behörden mit.
Italien und vor allem Lampedusa sind seit Beginn der Umwälzungen in Nordafrika erneut die bevorzugte Anlaufstelle für Zehntausende von Migranten und Flüchtlingen. Etwa 130 Kilometer von der tunesischen Küste entfernt, ist die nur 20 Quadratkilometer große Insel seit Jahren für viele verzweifelte Bootsflüchtlinge das Ziel.
Kritik an Frontex
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat unterdessen der EU-Grenzschutzagentur Frontex schwere Versäumnisse bei der Behandlung illegaler Einwanderer auc in Griechenland vorgeworfen. Frontex setze aufgegriffene Einwanderer wissentlich einer Behandlung aus, die gegen die Menschenrechte verstoße, kritisierte HRW in einer Erklärung. Die Menschenrechtsorganisation wirft den EU-Grenzschützern "Mittäterschaft" vor, da von ihnen aufgegriffene Einwanderer von den griechischen Behörden in überfüllten Auffanglagern unter "unmenschlichen und erniedrigenden" Bedingungen untergebracht würden.
Die rund 150 Kilometer lange Landesgrenze zwischen Griechenland und der Türkei ist für Flüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan, Irak und Somalia zum Haupteingangstor in die Europäische Union geworden. Von Januar bis November 2010 wurden dort nach Behördenangaben 32.500 Einwanderer ohne Papiere festgenommen. Mit Beginn des Frontex-Einsatzes sank die Zahl der illegalen Grenzübertritte nach Angaben der EU-Grenzschützer deutlich.
Die EU-Kommission wies die Vorwürfe zurück. Die Frontex-Grenzschützer könnten nicht für die Situation in den Unterbringungslagern verantwortlich gemacht werden, sagte ein Sprecher von Innenkommissarin Cecilia Malmström. Die Lager und die dortigen Zustände lägen allein in der Verantwortung der griechischen Behörden. Frontex hingegen sei für den Schutz der EU-Außengrenze zuständig. Der Sprecher räumte jedoch ein, dass auch die EU-Kommission die Zustände in manchen Lagern für "nicht hinnehmbar" halte.