Größte Proteste seit zehn Jahren Orthodoxe Juden demonstrieren
17.06.2010, 21:16 Uhr
(Foto: REUTERS)
Zehntausende strengreligiöse Juden protestieren gegen ein Urteil, wonach eine Schule für Kinder aschkenasischer Juden auch Kinder sephardischer Juden unterrichten soll. Einige Eltern müssen die Weigerung, ihre Kinder zur Schule zu schicken, mit Haft büßen. Paradoxerweise gehen Vertreter beider ultra-orthodoxer Gemeinschaften gemeinsam auf die Straße.
Aus Protest gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofs sind etwa 120.000 ultra-orthodoxe Juden in Israel auf die Straße gegangen. Es waren die größten religiösen Proteste seit mehr als zehn Jahren, die liberale Zeitung "Haaretz" bezeichnete sie als den bisher "dramatischsten Zusammenstoß zwischen Staat und Religion". Tausende Polizisten waren in erhöhter Alarmbereitschaft.
Hintergrund der Proteste war ein Entschluss des Obersten Gerichts, wonach eine Mädchenschule für aschkenasische Juden in der ultra-orthodoxen Siedlung Immanuel im Westjordanland auch Kinder sephardischer Juden aufnehmen muss. Aus Protest gegen die Entscheidung schickten mehrere Eltern ihre Kinder nicht mehr auf die Schule. Daraufhin verurteilte Israels höchstes Gericht die 86 Väter und Mütter wegen der Verletzung der allgemeinen Schulpflicht zu zwei Wochen Haft. Die Richter urteilten, die Trennung der Schüler sei rassistisch. Dagegen argumentieren die Eltern, die aus Europa stammenden aschkenasischen Juden und die aus arabischen Ländern stammenden sephardischen Juden verfolgten verschiedene religiöse Bräuche.
Paradoxerweise gingen Vertreter beider ultra-orthodoxer Gemeinschaften gemeinsam auf die Straße. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich mindestens 100.000 Menschen an der Kundgebung in West-Jerusalem, 20.000 demonstrierten demnach in dem mehrheitlich ultra-orthodoxen Ort Bnei Brak bei Tel Aviv. Beide Gemeinschaften erkennen die Autorität des Obersten Gerichts nicht an. Auf Spruchbändern stand "Die Thora regiert", Redner bekräftigten immer wieder: "Die Thora steht über den bürgerlichen Gesetzen". 1999 hatte eine halbe Million ultra-religiöser Juden in Jerusalem gegen die "Diktatur" der Obersten Richter demonstriert.
Die verurteilten Eltern fanden sich unterdessen in der Justizvollzugsanstalt von Jerusalem ein. Von dort aus sollten sie auf die verschiedenen Gefängnisse im Land verteilt werden.
Die Kundgebungen fachten den schwelenden Konflikt zwischen laizistischen und ultra-orthodoxen Israelis weiter an. Die wichtigsten Zeitungen reagierten mit scharfen Kommentaren. Über die vom Fernsehen live übertragenen Proteste ging die Nachricht von einer Lockerung der Gaza-Blockade fast unter. Die laizistischen Israelis werfen den Ultra-Orthodoxen vor, das ganze Land ihren Regeln zu unterwerfen.
Quelle: ntv.de, AFP