Antisemitismus-Vorwürfe gerechtfertigt?Politiker verteidigen Augstein

Was haben die ägyptischen Muslimbrüder, das iranische Regime und der deutsche Verleger Jakob Augstein gemeinsam? Nach Ansicht des Simon-Wiesenthal-Zentrums zählen sie zu den schlimmsten Antisemiten auf der Welt. Augstein wehrt sich - mit Unterstützung von Politikern aus CDU und Linken.
Politiker von CDU und Linken haben den Journalisten und Verleger Jakob Augstein gegen Antisemitismus-Vorwürfe in Schutz genommen. Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Simon-Wiesenthal-Zentrum hatte den Herausgeber und Chefredakteur der linken Wochenzeitung "Freitag" wegen Israel-kritischer Äußerungen auf einer Rangliste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt auf Platz neun gesetzt. In seiner Spiegel-Kolumne hatte Augstein in den vergangenen Monaten nicht nur Kritik an der israelischen Siedlungspolitik geübt, sondern auch das umstrittene Israel-Gedicht von Günter Grass verteidigt.
Das Wiesenthal-Zentrum verteidigte die Rangliste, die von den ägyptischen Muslimbrüdern und dem iranischen Regime angeführt wird. Als Beleg für die Aufnahme Augsteins listet die nach dem Holocaust-Überlebenden und Nazi-Jäger Simon Wiesenthal benannte Organisation Israel-kritische Zitate Augsteins auf. Zudem zitiert sie den aus einer jüdisch-polnischen Familie stammenden Publizisten Henryk M. Broder mit den Worten, Augstein sei ein "lupenreiner Antisemit", ein Überzeugungstäter, der die Chance auf eine Karriere bei der Gestapo nur verpasst habe, weil er nach dem Krieg geboren sei.
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner und Linksfraktionschef Gregor Gysi kritisierten die Entscheidung. Augstein selbst sprach von Diffamierung. Klöckner sagte, wenn jemand in einer freien Gesellschaft Regierungen kritisiere, sei das sein gutes Recht. "Wenn man daraus Antisemitismus ableitet, dann ist das sehr gewagt." Ähnlich äußerte sich Gysi. Augstein sei ein herausragender kritischer Journalist, der teils berechtigte, teils unberechtigte Kritik an der Politik der israelischen Regierung übe. "Deshalb aus ihm einen Antisemiten schmieden zu wollen, geht völlig fehl und unterstützt den schleichenden Antisemitismus."
Die Grenze der Dämonisierung
Der Sohn des "Spiegel"-Gründers Rudolf Augstein zollte dem Wiesenthal-Zentrum, das sich vor allem dem Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus verschrieben hat, zwar seinen Respekt, fügte aber hinzu: "Umso betrüblicher ist es, wenn dieser Kampf geschwächt wird. Das ist zwangsläufig der Fall, wenn kritischer Journalismus als rassistisch oder antisemitisch diffamiert wird."
Der für die Erstellung der Rangliste zuständige Mitarbeiter des Wiesenthal-Zentrums, Rabbi Abraham Cooper, blieb bei seiner Auswahl. "Wenn jemand in dieser Position ein Bild zeichnet, wonach zehn Prozent der jüdischen Bevölkerung in Israel, die ja auch eine religiöse Bevölkerung ist, von den Deutschen genauso gesehen werden sollten wie islamische Extremisten und Terroristen, dann ist das nicht nur komplett unrichtig und falsch, sondern dann überschreitet er die Grenze, was Dämonisierung angeht", zitierte ihn die ARD.
Der Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland, Klaus Holz, warf dem Wiesenthal-Zentrum dagegen vor, den Antisemitismus-Vorwurf zu einer "pauschalen Keule" zu machen. Den Augstein-Kritiker Broder bezeichnete er laut Deutschlandradio Kultur als "Pöbler". Viele Intellektuelle duckten sich bei solchen Debatten weg und räumten damit das Feld für "die Broders dieser Welt", sagte Holz.