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Warum kommen so viele junge Dschihadisten aus Belgien? Perspektivlosigkeit und Alltags-Rassismus treiben junge Männer in die Arme der Extremisten. Doch es gibt noch einen weiteren, belgischen Grund.
Wieder einmal Belgien. Nach den Anschlägen in Paris verfolgen die französischen Ermittler mehrere Spuren, die in das Benelux-Land führen. Insbesondere in den Brüsseler Stadtteil Molenbeek, der als Islamistenhochburg gilt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Junge Leute wachsen ohne Perspektive auf, sie erleben Alltagsrassismus und Kriminalität. Doch solche Probleme gibt es nicht nur in Belgien - es gibt sie in vielen europäischen Städten, auch in Deutschland. Sei es in Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh. Damit sich ein junger Mann radikalisiert, muss etwas anderes hinzukommen.
Der Funke, der diesen sozialen Sprengstoff explodieren lassen kann, heißt Salafismus. Die besonders rückwärtsgewandte, alles Moderne verteufelnde islamistische Ideologie ist in Belgien besonders stark präsent. Klare Regeln, klare Feindbilder und klare Versprechungen über das Paradies sind das Gegenbild zum chaotischen und gefährlichen Alltag der jungen Leute. Salafistische Prediger wie Muhammad al-Arifi treten als Wohltäter auf, gelten als Stars einer kleinen, aber gefährlichen Szene, die mit Postern für ihre Auftritte werben. Häufig kommen diese Prediger aus Saudi Arabien. Das hat Gründe.
Seit Jahrzehnten pflegt Belgien gute Beziehungen zu Saudi Arabien. Das war lange kein Problem, da die Golf-Monarchie in erster Linie als wichtiger Stabilitätsfaktor im Nahen Osten und als willkommener Öllieferant galt. Doch seit dem Aufkommen des weltweiten Terrorismus kommen Fragen auf. Denn von Al-Kaida bis zum IS oder Boko Haram - stets propagieren die Terroristen salafistisches Gedankengut. Sie verteufeln alles Moderne und möchten so leben wie einst der Prophet im Frühmittelalter. Um ihre Vorstellungen durchzusetzen, machen sie allerdings eine Ausnahme und bedienen sich moderner Waffen und Bomben.
Dutzende Enthauptungen bei Saudis
Die Strenge der Lehre ist eine Spezialität Saudi Arabiens. Denn während die Welt fassungslos die Berichte über Enthauptungen und andere Gräueltaten des IS wahrnimmt, übersehen viele, dass der Wüstenstaat ebenfalls jährlich Menschen öffentlich enthaupten lässt. Frauen haben kaum Rechte, es war eine kleine Sensation als sich erste Bürgerinnen des Landes ein Auto fahren durften. Über verschiedene Organisationen wie der "Muslim World League" oder der "World Assembly of Muslim Youth" haben die steinreichen Herrscher versucht, ihre Lehre in der muslimischen Welt, aber auch in Europa zu verbreiten. Sie förderten den Bau von Moscheen und stellten auch gleich das vorgestrige und ultra-strenge Personal dazu. So entstand ein geistiger Nährboden für Radikale.
Ein Hotspot der saudischen Missionstätigkeit ist Belgien. Dort ist der Salafismus besonders stark, weil das Land seit Jahrzehnten saudische Extremisten gewähren lässt. Dies geht auf eine Vereinbarung des belgischen Königs Baudouin und dem saudischen König Saud nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Damals ermöglichte es der belgische Monarch den Wahabiten, das religiöse Geschehen in den muslimischen Gemeinden zu prägen. Die Tragweite dürfte ihm kaum bewusst gewesen sein - erst Jahrzehnte später sollte dies zum Problem werden.
"In Belgien treten die muslimischen Extremisten viel offener auf", zitierte die "Süddeutsche Zeitung" Anfang des Jahres einen Mann aus Verviers, der zuvor 20 Jahre in Dortmund gelebt hatte. "In Deutschland kommt die Polizei schon bei Kleinigkeiten, hier können die machen, was sie wollen." Dazu passt, dass Polizisten und Streetworker in Molenbeek über Personalmangel klagen und "am Ende ihrer Kräfte sind", wie die "taz" berichtete. Der französische Islamismus-Experte Alain Chouet sagte dem "Tagesspiegel", dass salafistische Imame in den 22 Moscheen Molenbeeks großen Einfluss gewonnen hätten. Für ihn ist der Brüsseler Stadtteil das Zentrum des salafistischen Islams in Belgien. Die Konsequenz: Aus dem Elf-Millionen-Einwohner-Land Belgien zogen 500 Männer in den Krieg nach Syrien, aus dem mehr als siebenmal größeren Deutschland waren es 700.
8000 Salafisten in Deutschland
Doch auch hierzulande sind die Salafisten aktiv. Der Verfassungsschutz warnt vor ihren Aktivitäten auch unter den Flüchtlingen. Sie praktizieren ihre ganz eigene Willkommenskultur. "Wir beobachten, dass Salafisten als Wohltäter und Helfer auftreten, gezielt den Kontakt suchen, in einschlägige Moscheen einladen, um Flüchtlinge für ihre Sache zu rekrutieren", sagte der Chef der Behörde, Hans-Georg Maaßen, der "Rheinischen Post". In Deutschland gibt es eine Islamistenszene von gut 40.000 Menschen, knapp 8000 von ihnen hängen dem Salafismus an, von denen ein Teil gewaltbereit ist. Im Visier der Extremisten sind vor allem junge Leute, nicht nur unter den Flüchtlingen.
Der Verfassungschutz und andere Experten weisen immer wieder daraufhin, dass es auch einen Anschlag in Deutschland geben könnte. Frankreich hat jedoch die sehr viel aggressivere Dschihadistenszene, wie Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Deutschlandfunk sagte. Frankreich sei für den IS der größere Gegner, auch wegen seiner Luftangriffe in Syrien. Dennoch ruft Verfassungsschutzchef Maaßen dazu auf, radikale Jugendliche zu melden. Dafür wurde ein Hinweistelefon (0221/792-33 66) und eine E-Mail-Adresse (HiT@bfv.bund.de) freigeschaltet.
Die volle Unterstützung haben Polizei und Verfassungsschutz auch von den acht deutschen muslimischen Verbänden. "Unsere Verantwortung endet nicht an der Moscheetür", sagte der Generalsekretär des Islamrats Bekir Altas am Montag in Köln. Die Verbände kündigten an, sich noch stärker gegen extremistisches Gedankengut einzusetzen und wollen am Freitag unter dem Motto "Steh auf gegen Hass und Gewalt" demonstrieren und der Opfer von Paris gedenken.
Quelle: ntv.de