Politik

Nahles bestreitet Deal - Mitglieder treten aus Sarrazin-Verbleib spaltet die SPD

"Wieder auf dem Boden der Meinungsfreiheit"? Sarrazin bleibt SPD-Mitglied.

"Wieder auf dem Boden der Meinungsfreiheit"? Sarrazin bleibt SPD-Mitglied.

(Foto: dpa)

Der Beschluss der SPD-Spitze, Ex-Finanzsenator Sarrazin nicht aus der Partei zu schmeißen, stößt nicht nur in der Basis auf Kritik und Unverständnis. Erste Mitglieder treten aus, einige Landesverbände sprechen von einer Fehlentscheidung. Vor allem Generalsekretärin Nahles steht unter Druck. Sie bestreitet, mit Sarrazin einen Deal geschlossen zu haben.

Der Verzicht der SPD-Führung auf Fortführung des Parteiausschlussverfahrens gegen den früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin hat in Einwandererverbänden Empörung ausgelöst. Der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (BAGIV), Mehmet Tanriverdi, kündigte in der "Berliner Zeitung" nach gut 15 Jahren Mitgliedschaft seinen Austritt aus der SPD an. "Ich bin zutiefst enttäuscht", sagte Tanriverdi, der auch SPD-Stadtverordneter in Gießen ist. Sarrazin werde offenbar aus wahltaktischen Gründen in der Partei gehalten. Sein Mandat in Gießen will Tanriverdi behalten.

Auch der Gründer des "Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten", Sergey Lagodinsky, kündigte laut "Süddeutscher Zeitung" seinen Austritt aus der SPD an. Am vergangenen Wochenende hatte bereits die Türkische Gemeinde in Deutschland zu Protesten gegen einen Verbleib Sarrazins in der SPD aufgerufen.

Basis bringt "Berliner Erklärung"

Sarrazin sollte eigentlich wegen seiner umstrittenen Integrationsthesen aus der SPD ausgeschlossen werden. Bundes- und Landespartei zogen aber ebenso wie weitere Beschwerdeführer überraschend ihre Ausschlussanträge zurück, nachdem Sarrazin in einer Erklärung die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als Fehlinterpretationen zurückgewiesen hatte. Doch Teile der Parteibasis laufen Sturm gegen einen Verbleib des ehemaligen Berliner Finanzsenators in der SPD. In einer im Internet veröffentlichten "Berliner Erklärung", die bislang von einigen hundert Menschen unterzeichnet wurde, heißt es: "Nicht nachvollziehbar erscheint vor allem der Zickzackkurs der Partei."

Angesichts der heftigen Kritik hat die SPD-Führung ihre Entscheidung erneut verteidigt. Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, Sarrazin habe "seine sozialdarwinistischen Äußerungen relativiert, Missverständnisse klargestellt und sich auch von diskriminierenden Äußerungen distanziert". Nahles hatte die Bundespartei vor der Schiedskommission vertreten. Im Deutschlandfunk sagte sie, mit der gütlichen Einigung ohne Ausschluss Sarrazins sei ein "kluger Weg" beschritten worden. Sarrazin habe sich "wieder auf den Boden der Meinungsfreiheit begeben, den man wohl aushalten muss in einer demokratischen Partei". Nahles betonte, dass es sich nicht um "einen Deal" gehandelt habe. Das rund fünfstündige Schiedsverfahren am Gründonnerstag sei fair abgelaufen.

Nahles droht indirekt

SPD-Generalsekretärin Nahles muss ihre Kehrtwende nun gut begründen.

SPD-Generalsekretärin Nahles muss ihre Kehrtwende nun gut begründen.

(Foto: dpa)

Nach einschlägigen Erfahrungen ganz überzeugt ist die SPD-Spitze aber auch nicht, ob Sarrazin seine Zusagen einhält, sich nun zu bessern. "Sicher kann man da nicht sein. Aber ich glaube, er weiß auch, was damit für ihn auf dem Spiel steht", stellte Nahles drohend in den Raum.

Am Abend hatte dann der Berliner Landesverband über Sarrazin beraten. Nahles forderte nach der Sitzung ein Ende der Debatte. "Die Parteispitze der SPD hat sich Sarrazins Thesen nicht zu eigen gemacht." Sie betonte, dass auch Meinungsunterschiede über den Verbleib Sarrazins in der SPD geblieben seien. Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Michael Müller berichtete, dass es in der Sitzung des Landesvorstands sowohl Verständis als auch Unverständnis und Kritik über die Einigung vor der Kreisschiedskommission gegeben habe. "Das Parteiordnungsverfahren ist beendet", sagte er. Es sei auch kein Instrument, um sich mit Sarrazin auseinanderzusetzen. Es bleibe dabei, dass die Berliner SPD für eine andere Integrationspolitik stehe als sie Sarrazin vorschwebe.

Der Vorsitzende der Berliner Jungsozialisten, Christian Berg, warf dem  Landesvorsitzenden Müller und dessen Stellvertreter Mark Rackles allerdings Führungsversagen vor. Er habe von der Partei Rückgrat erwartet und fordere eine weitere Auseinandersetzung mit Sarrazins Thesen zur Integrationspolitik.

Einige SPD-Mitglieder sind mit dem Verlauf des Ausschlussverfahrens gegen Sarrazin aber gar nicht einverstanden. Manche treten sogar aus.

Einige SPD-Mitglieder sind mit dem Verlauf des Ausschlussverfahrens gegen Sarrazin aber gar nicht einverstanden. Manche treten sogar aus.

(Foto: dapd)

Dagegen schlug der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck versöhnliche Worte an. "Jemand, der sich einsichtig zeigt, dem sollte man auch die Chance geben", sagte der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende der Ludwigshafener "Rheinpfalz". Der stellvertretende Parteichef Olaf Scholz befand den Verzicht auf weitere Verfahren in höheren Instanzen ebenfalls für "vernünftig". Sarrazin habe vor der Berliner Schiedskommission die Forderung des SPD-Vorstandes nach Klarstellung erfüllt, sagte der Hamburger Bürgermeister der "Süddeutschen Zeitung".

Kritik aus Hessen und Baden-Württemberg

Doch nicht nur durch die Basis geht ein Riss, auch durch die Parteiprominenz. Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel kritisierte die Entscheidung. "Ich hätte mir ein anderes Ergebnis des Verfahrens gewünscht, weil die sozialdarwinistischen Thesen von Thilo Sarrazin mit den Grundwerten der SPD unvereinbar sind", sagte er der "tageszeitung". Aus Sicht des Innenexperten der Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hat die Parteiführung kein gutes Bild abgegeben. "Das Denken Sarrazins hat in der SPD nichts zu suchen. Es liefert kein überzeugendes Bild ab, wenn der Parteivorstand sich anfangs so auf seinen Rausschmiss festgelegt hat und das jetzt alles zurücknimmt", sagte er dem Blatt. "Dabei haben natürlich taktische Erwägungen eine Rolle gespielt". Der Parteivorstand wisse, dass in der SPD das Denken Sarrazins weiter verbreitet sei, als es der Spitze lieb wäre.

Auch aus Baden-Württemberg kam deutliche Kritik. Sarrazins "dürre Erklärung ist unbefriedigend", sagte SPD-Landeschef Nils Schmid dem "Spiegel". "Sein biologistisches Geschwätz war der Kern unseres Vorwurfs, er verhalte sich parteischädigend. Davon hat er sich nicht distanziert." Seine Erklärung möge "gerade noch den Parteistatuten" entsprechen. "Aber den Geist unserer Programmatik trifft die Erklärung nicht", so Schmid. "Unsere mühselig aufgebaute Verankerung in der Einwanderer-Community droht Schaden zu nehmen", fügte er an.

1,27 Millionen Exemplare

Sarrazin selbst sprach von einem "Sieg der Vernunft" und der Diskussionskultur innerhalb der SPD. "Ich freue mich, dass wir zu einem einvernehmlichen Ergebnis gefunden haben. Schließlich bin ich seit 37 Jahren Mitglied der SPD und war dies stets mit Überzeugung", sagte er der "Welt".

Der mitunter unberechenbare Verfasser des Longsellers "Deutschland schafft sich ab", von dem bislang 1,27 Millionen Exemplare in 18 Auflagen vom Verlag ausgeliefert wurden, ist jedenfalls weiter auf meist gut besuchten Lesungen quer durch die Republik unterwegs. Sein Publikum erwartet dabei von ihm auch Provokantes. Schon am 3. Mai, wenn Sarrazin erstmals nach Abwendung des SPD-Rauswurfs in der Stadthalle von Waltrop im Ruhrgebiet auftritt, dürfte die SPD genau zuhören, ob der augenscheinlich geläuterte Parteifreund zu seinen eigenen Versprechungen steht.

Quelle: ntv.de, tis/dpa

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