Gewalt am 30. September Scharfe Kritik an Minister Rech
02.10.2010, 15:20 Uhr
Die Bagger arbeiten weiter.
(Foto: dpa)
Polizeiexperten machen die baden-württembergische Landesregierung für den harten Polizeieinsatz am Donnerstag verantwortlich. Baden-Württembergs Innenminister Rech äußert sich missverständlich über Rücktrittsabsichten und lässt anschließend dementieren. Die CDU erwartet weitere Gewalt in Stuttgart.
Für das harte Vorgehen der Polizei bei der Demonstration gegen den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs am Donnerstag ist nach Ansicht des Polizeiwissenschaftlers Thomas Feltes die baden-württembergische Landesregierung verantwortlich. Vieles spreche dafür, dass bei dem Einsatz von Anfang an keine Deeskalation geplant war, sagte der ehemalige Rektor der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen der "Stuttgarter Zeitung".
Ähnlich äußerte sich der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer (Grüne): "Das war kein Unfall, kein Versehen und auch nicht der Schwarze Block. Das war kalkulierte Gewalt, um die Wahl im Frühjahr zu beeinflussen", sagte Palmer der "Frankfurter Rundschau".
"Sehr aggressive Linie"

Der Schlossgarten wird zur Baustelle. Bislang wurden 25 der etwa 280 für den Bahnhofsbau zu fällenden Bäume beseitigt.
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Feltes kritisierte den aus seiner Sicht überzogenen Wasserwerfereinsatz und verwies darauf, dass er grundlos in die Menschenmenge hinein gerichtet gewesen sei. "Dass die Polizei gleich mit Wasserwerfer angerückt ist, war darauf angelegt, Stärke zu zeigen", sagte der Polizeiwissenschaftler. "Man hat das Gefühl, die Politik wollte diesen Konflikt", sagte Feltes. Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech fahre eine "sehr aggressive Linie".
Auch der Münchner Polizei-Psychologe Georg Sieber verurteilte das harte Vorgehen: "Die Eskalation ist durch den Polizeieinsatz erzeugt worden", sagte Sieber der Münchner Zeitung "tz".
Rech denkt doch nicht an Rücktritt
Rech ließ derweil klarstellen, dass er keineswegs an Rücktritt denke. Im Deutschlandfunk hatte der CDU-Politiker auf die Frage nach einem möglichen Rückzug gesagt: "Wenn die Polizei unverhältnismäßig gehandelt hat, dann muss das natürlich auch Konsequenzen haben. Da scheue ich mich persönlich vor keinerlei Konsequenzen, auch wenn ich den Einsatz von Wasserwerfern nicht angeordnet habe."
Eine Sprecherin des Politikers sagte danach, "Innenminister Rech schließt einen Rücktritt aus".
In dem Interview sagte Rech weiter: "Zunächst habe ich mich vor die Polizei zu stellen, bis das Gegenteil vorliegt." Er räumte allerdings ein, dass es noch keine handfesten Beweise für die angebliche Gewalt von Seiten der Demonstranten gebe. Die Videoaufnahmen würden nun ausgewertet.
Erst Pflastersteine, dann "Wurfgeschosse"
Die Einsatzkräfte waren am Donnerstag bei der Räumung des Stuttgarter Schlossgartens mit Wasserwerfer und Pfefferspray gegen Demonstranten vorgegangen. Dabei wurden nach Angaben der Behörden 130 Demonstranten verletzt. Nach Angaben der Demonstranten gab es weitere 280 Verletzte. Darunter waren zahlreiche Schüler und Rentner. Rech dazu: "Ich verlasse mich weiterhin darauf, dass die Polizei richtig gehandelt hat."

Freitagabend in Stuttgart: Bis zu 100.000 Demonstranten fordern den Rücktritt von Mappus und Rech.
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Die Beamten seien mit Wurfgeschossen attackiert worden; angeblich sei auch ein Stuhl geflogen. "Die Polizei wurde massiv attackiert." Rech hatte schon am Donnerstag behauptet, die Demonstranten hätten Pflastersteine geworfen, dies später aber als Falschinformation zurückgezogen. Berichten zufolge waren die Demonstranten weder Stühle noch Steine, sondern Kastanien und vereinzelt Plastikflaschen.
Die baden-württembergische CDU befürchtet weitere Gewalt bei den Protesten gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. Der Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg, Thomas Strobl, sagte dem "Tagesspiegel": "Wir werden wohl in den nächsten Tagen weitere von starker Aggressivität und Gewalt begleitete Proteste haben." Strobl verteidigte den jüngsten Einsatz von Gewalt durch die Polizei. Man dürfe Ursache und Wirkung nicht verwechseln. "Denn die Aggression ging von den Demonstranten aus." Die Beamten hätten mit Maß und Verhältnismäßigkeit reagiert.
Bis zu 100.000 auf der Straße
Proteste am Freitagabend blieben friedlich. Es war die bislang größte Demonstration gegen das umstrittene Bahnprojekt. Die Polizei sprach von 50.000 Teilnehmern, nach Angaben der Projekt-Gegner waren es zeitweise 100.000. Nach der Eskalation vom Donnerstag mit vielen Verletzten hielt sich die Polizei auffällig zurück.
Der baden-württembergische Grünen-Landtagsabgeordnete Werner Wölfle forderte eine Entschuldigung von Ministerpräsident Stefan Mappus für die Eskalation am Donnerstag. "So sähe die passende Reaktion aus. Wenn Innenminister Heribert Rech zurücktritt, wäre er nur ein Bauernopfer", sagte er. "Der Ministerpräsident trägt die Verantwortung."
Grüne freuen sich auf den März
Über einen möglichen Rücktritt des Innenministers sagte Wölfle: "In sechs Monaten ist Rechs Amtszeit eh vorbei." Am 27. März 2011 wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag. Umfragen zufolge muss Mappus auf eine Koalition mit der SPD hoffen, wenn er sein Amt behalten will.
Grünen-Chef Cem Özdemir entschuldigte sich derweil bei Mappus für die Äußerung, Mappus wolle Blut sehen. Der "Passauer Neuen Presse" sagte Özdemir zugleich: "Wer auf ältere Damen und Kinder einprügeln lässt, hat jedes Recht auf den Anspruch eines christlichen Landesvaters verwirkt." Im März werde Mappus bei der Landtagswahl abgewählt werden, dann werde auch sein Innenminister Rech gehen.
Quelle: ntv.de, hvo/rts/dpa