Politik

"Das ist überhaupt nichts Besonderes" Schattenhaushalt wohl größer als gedacht

Von "finanzpolitischer Trickserei", "Bilanzfälschung" und dem "größten haushaltspolitischen Betrug" ist die Rede: Der Plan von Union und FDP, die Milliardendefizite der Sozialversicherungen in einen Schattenhaushalt auszulagern, stößt auf scharfe Kritik. Dabei könnte das Volumen dieses Sonderfonds möglicherweise sogar noch steigen.

Union und FDP wollen ihre Beratungen über einen Koalitionsvertrag bis zum Wochenende abgeschlossen haben.

Union und FDP wollen ihre Beratungen über einen Koalitionsvertrag bis zum Wochenende abgeschlossen haben.

(Foto: dpa)

Der von Union und FDP geplante Schattenhaushalt zum Stopfen der Löcher in den Sozialkassen könnte weitaus größer ausfallen als bisher bekannt. Aus Kreisen der Union und FDP hieß es, das Volumen werde eher bei 60, möglicherweise sogar bei 70 Milliarden Euro liegen, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.

Spitzenvertreter verteidigten unterdessen das Vorhaben zur Einrichtung eines Sonderfonds gegen massive Kritik und betonten, das Geld solle nicht verschleiert werden. "Das ist überhaupt nichts Besonderes", sagte Unionsfraktionschaf Volker Kauder. Es gebe bereits Fonds zum Beispiel für die Rettungsmaßnahmen der Wirtschaft. Alles was den öffentlichen Bereich des Bundes angehe, befinde sich aber im Haushalt.

FDP-Vize Rainer Brüderle sagte, Schattenhaushalte habe es schon immer gegeben, beispielsweise nach der deutschen Einheit. Die "Erblast" der bisherigen Koalition müsse klar sein. "Wir machen jetzt die Schlussbilanz, die (SPD-Finanzminister Peer) Steinbrück verweigert hat. Das schafft Transparenz", sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Damit werde auch deutlich, welche Kosten durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bedingt seien. Mit Blick auf den in diesem Zusammenhang diskutierten Schattenhaushalt sagte Niebel: "Der Fonds ist erst beschlossen, wenn alles beschlossen ist."

Opposition: Schmutzige Trickserei

Politiker von SPD und Grünen hatten die Pläne von Union und FDP scharf kritisiert, das Milliardendefizit der Sozialversicherungen in einen Sonderfonds - den so genannten Schattenhaushalt - zu verschieben. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) bezeichnete das Vorhaben als "eine neue Qualität finanzpolitischer Trickserei".

Müssen sich scharfe Kritik gefallen lassen: Merkel und Westerwelle.

Müssen sich scharfe Kritik gefallen lassen: Merkel und Westerwelle.

(Foto: dpa)

Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) sprach von "Bilanzfälschung" und fügte hinzu: "Wenn ich in meinem Unternehmen auf diese Weise bilanzieren würde, wäre ich wegen Konkursverschleppung dran." Der Grünen-Haushaltsexperte Alexander Bonde sagte: "Das ist der größte haushaltspolitische Betrug in der deutschen Geschichte."

DIHK: Schulden dürfen nicht versteckt werden

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, sagte, Schulden dürften "nicht versteckt werden". "Wir sollten dazu stehen, dass es Schulden infolge der Krise gibt", fügte er hinzu.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, bezeichnete den geplanten Schattenhaushalt als schwarze Kasse. "Damit stellt sich die Koalition einen Blankoscheck für haushaltspolitisches Fehlverhalten in den nächsten Jahren aus", so Zimmermann. Union und FDP würden mit diesem Vorhaben ihr finanzpolitisches Ansehen von Anfang an ruinieren. "Die neue Haushaltsparty auf die große Wirtschaftskrise buchen zu wollen, ist ganz schön kühn," kritisierte Zimmermann.

Koch über Vorstellungen der FDP "äußerst besorgt"

In den Unionsländern wuchs unterdessen der Widerstand gegen die geplanten Steuersenkungen der schwarz-gelben Koalition, die mit der Schaffung des Sonderfonds möglich werden sollen. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch sei "äußerst besorgt über die Vorstellungen von FDP und CSU", berichtete die "Frankfurter Rundschau". Er fürchte, dass die geplanten massiven Steuersenkungen "tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte reißen", zitierte die Zeitung Quellen aus dem Umfeld der hessischen Staatskanzlei. Die Union hat 20 Milliarden Euro angeboten, während die FDP ein Entlastungsvolumen von 35 Milliarden Euro fordert.

Die Schuldenbremse im Grundgesetz diene dem Zweck, die Politik des Schuldenmachens zu begrenzen "und nicht darin, die Schulden vor sich selbst zu verstecken", sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) dem "Tagesspiegel". Zuvor hatten schon der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff und sein baden-württembergischer Kollege Günther Oettinger (CDU) eindringlich vor Steuersenkungen auf Pump gewarnt.

Schwarz-gelber Endspurt

Westerwelle, Merkel und Seehofer: Die Koalitionsverhandlungen sollen bis zum Wochenende abgeschlossen sein.

Westerwelle, Merkel und Seehofer: Die Koalitionsverhandlungen sollen bis zum Wochenende abgeschlossen sein.

(Foto: dpa)

Die FDP kritisierte die Haltung Kochs. Der Ministerpräsident "hat sich an sonnigen Tagen gern auf der Seite der marktwirtschaftlichen Vernunft gezeigt", sagte Niebel dem "Wiesbadener Kurier". Deshalb solle er jetzt "nicht vergessen, dass spürbare Steuerentlastungen gerade dann geboten sind, wenn die Konjunktur wieder angeschoben werden muss".

Union und FDP setzten unterdessen ihre Gespräche über eine Regierungsbildung fort. Trotz stundenlanger Debatten waren die Verhandlungen am Abend festgefahren: Aus Teilnehmerkreisen wurde berichtet, dass die unterschiedlichen Positionen hartnäckig verteidigt würden. Im Streit um den Gesundheitsfonds blieb der erwartete Durchbruch ebenfalls aus. Das Thema wurde auf Donnerstag vertagt. In großer Runde gab es zunächst eine lange Debatte über den Arbeitsmarkt, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Steigende Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr reißt voraussichtlich Milliardenlöcher in den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit.

Für die Pflegeversicherung werden Versicherte künftig voraussichtlich tiefer in die Tasche greifen müssen. "Wir planen neben dem bisherigen Verfahren einen sachten Einstieg in die Kapitaldeckung", sagte der FDP-Pflegeexperte Heinz Lanfermann. "Es wären wenige Euro pro Monat." Unions-Fraktionschef Kauder sagte, dies sei im Hinblick auf die demografische Entwicklung und die zunehmende Zahl der Pflegebedürftigen nötig. "Dann kann der Beitrag dazu nicht vom Himmel fallen."

Quelle: ntv.de, rts/AFP/dpa

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