Dossier

"Wahlbetrug ist fast unvermeidbar" Afghanistan wählt neuen Präsidenten

An einen fairen Ablauf bei den Präsidentschaftswahlen in Afghanistan glaubt kaum jemand: Große Entfernungen, mächtige Provinzfürsten, die hohe Analphabetenrate und schwache Institutionen machen es schwierig, Wahlbetrug zu verhindern.

Die Taliban haben zu einem Wahl-Boykott aufgerufen und Wähler bedroht.

Die Taliban haben zu einem Wahl-Boykott aufgerufen und Wähler bedroht.

(Foto: dpa)

Parwis Akhbary ist 20 Jahre alt, heute dürfte der Medizinstudent erstmals an einer Wahl in Afghanistan teilnehmen. Er verzichtet. "Ich habe mir keinen Wahlausweis besorgt, weil ich der Wahl nicht traue", sagt er. "Hamid Karsai wird sowieso wieder Präsident." Die Menschen wählten, wie die Stammesführer und Milizenkommandeure es angeordnet hätten. "Und die sind alle von Karsai gekauft." Sein eigener Onkel arbeite in der nordafghanischen Provinz Takhar für die Unabhängige Wahlkommission, trotzdem werbe er im Amt offen für die Wiederwahl des Präsidenten. "Er mag Karsai nicht, aber er ist von ihm bezahlt worden." Ob in seinem Land Demokratie herrsche? Akhbary lacht. "Nein", sagt er.

Niemand rechnet bei der zweiten Präsidentschaftswahl in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban vor knapp acht Jahren mit einer freien und fairen Abstimmung nach westlichen Maßstäben. "Ich mache mir keine Illusionen", sagt der UN-Sondergesandte Kai Eide. "Es wird Unregelmäßigkeiten geben, aber ich glaube nicht, dass sie auf einem Niveau sein werden, das die Glaubwürdigkeit der Wahl selber infragestellt." Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig ist da weniger optimistisch. "Es ging um Wahlen, die für die Afghanen akzeptabel sind", sagt der Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network. "Und ich bezweifle, dass das der Fall sein wird." Ruttig rechnet bei der Abstimmung mit massiven Manipulationen.

Unregelmäßigkeiten vor der Wahl

Als einer der ersten Wähler gab Präsident und Favorit Hamid Karsai in der Hauptstadt Kabul seine Stimme ab.

Als einer der ersten Wähler gab Präsident und Favorit Hamid Karsai in der Hauptstadt Kabul seine Stimme ab.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Sandschar Sohail ist Gründungsmitglied der Freien und Fairen Wahlstiftung Afghanistans (FEFA), die die meisten unabhängigen Wahlbeobachter stellen wird. "Wahlbetrug ist fast unvermeidbar", sagt Sohail. Freie Wahlen wären nur möglich, wenn die Unabhängige Wahlkommission (IEC) tatsächlich unparteiisch wäre - "was sie nicht ist". Sie sei auf Karsais Seite, der Präsident habe den Chef der IEC ernannt. Die Kommission hat nach eigenen Angaben 17 Millionen Wähler registriert. Die Zahl verwundert nicht nur die FEFA. Zwar hat die vorgesehene Volkszählung nie stattgefunden, doch nach Schätzungen leben in Afghanistan nur rund 28 Millionen Menschen - und die Hälfte davon sollen Minderjährige sein.

"Wir glauben, dass es etwas mehr als 15 Millionen Wähler gibt", sagt Sohail. Die überzähligen Wahlzettel, von denen die IEC 17 Millionen drucken ließ, könnten zum Betrug genutzt werden. Die FEFA hat schon vor der Abstimmung Unregelmäßigkeiten aufgedeckt. Wähler ließen sich mehrfach registrieren, Wahlausweise wurden für Babys ausgestellt. Westliche Wahlbeobachter spotten außerdem über die "tapferen Frauen", die sich angeblich so massenhaft an der Abstimmung beteiligen wollten - obwohl im extrem konservativen Afghanistan politisch engagierte Frauen immer noch eine Seltenheit sind. Manche Wahlausweise von Frauen trügen weder Foto noch Fingerabdruck.

Mangel an Wahlbeobachtern

Herausforderer Abdullah Abdullah könnte Karsai in Stichwahl zwingen.

Herausforderer Abdullah Abdullah könnte Karsai in Stichwahl zwingen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

In einigen Provinzen seien mehr Wahlausweise für Frauen als für Männer ausgestellt worden, sagt ein internationaler Wahlbeobachter. "Es gibt eine Überregistrierung von Frauen in Regionen, wo Frauen kaum gesellschaftlich aktiv sind." Die britische BBC berichtete, Wahlausweise seien in Kabul für 10 Dollar das Stück zu haben. Einem ihrer afghanischen Mitarbeiter seien bei einer verdeckten Recherche 1000 Ausweise angeboten worden. Gerüchten zufolge kursieren Hunderttausende, wenn nicht Millionen gefälschte Wahlausweise. Ein ausländischer Wahlbeobachter sagt, einige IEC-Mitarbeiter hätten "nebenher noch ein paar Wahlausweise gedruckt, um Geld zu verdienen".

Die schlechte Sicherheitslage und der Mangel an Wahlbeobachtern erleichtern den Betrug. Die ausländischen Wahlbeobachter etwa der Europäischen Union werden nicht in unsichere Gegenden gehen. Die FEFA wiederum kann mit ihren knappen Ressourcen ihre freiwilligen Mitarbeiter nur in rund zwei Drittel der Wahllokale im Land entsenden. Wenn in Wahllokalen dann noch die Beobachter der Kandidaten fehlen, die ebenfalls nicht alle Orte werden abdecken können, ist die einzige Kontrollinstanz die Wahlkommission.

Nervosität bei der Opposition

Karsai ist zwar der unbestrittene Favorit, die Frage kreist aber um die Höhe seines Sieges. Sollte er nicht mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinen können, wäre ein zweiter Wahlgang notwendig. "Wenn es mit einigermaßen demokratischen Mitteln zugeht, kann ich mir nicht vorstellen, dass Karsai über 50 Prozent kommt", sagt ein westlicher Wahlbeobachter. "Wenn Karsai auf über 50 Prozent käme, dann hätten wir ein Problem. Das würden die Afghanen ihm nicht abnehmen. Sie würden auf die Straße gehen."

Karsais wichtigster Herausforderer Abdullah Abdullah stimmt seine Anhänger bereits darauf ein, dass eine mögliche Wahlniederlage nur durch Manipulationen erklärbar wäre. "Wenn es keinen Wahlbetrug gibt, dann wird das Volk gewinnen", sagte Abdullah zum Ende des Wahlkampfs. "Wenn Eure Stimme nicht gestohlen wird, dann werdet ihr dieser korrupten Regierung ein Ende bereiten." Der Politikstudent Ahmad Ahmadsai ist ein Anhänger Abdullahs. In Anspielung auf die schweren Unruhen in Teheran warnt der 23-Jährige: "Sollte Karsai die Wahl manipulieren, dann wird es hier werden wie im Iran. Und Karsai wird für alles Elend verantwortlich sein, das dann passiert."

Quelle: ntv.de, Can Merey, dpa

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