US-Gesundheitsreform gebilligt"In der Jetztzeit angekommen"
Nach einem Jahr heftiger Debatten hat Barack Obama den bald hundertjährigen Traum der Demokraten von einer Krankenversicherung für fast alle US-Bürger erfüllt.
Für 32 Millionen Amerikaner und damit jeden zehnten Bürger im reichsten Land der Erde hat das Leben ohne Krankenversicherung offenbar bald ein Ende. Das Gesundheitswesen der USA wird von Grund auf renoviert. Die Reform, da ist sich die Presse einig, ist ein innenpolitischer Triumph für Präsident Barack Obama.
"Es ist ein Sieg, der Barack Obama möglicherweise seine gesamte Präsidentschaft retten wird. Mit der Annahme der Gesundheitsreform hat der 44. Präsident der USA ein Pfund auf der Habenseite, das ihm nicht mehr zu nehmen ist. Obama, dem seine Kritiker vorwerfen, er würde keine Resultate liefern, kann diesen Einwand nun entkräften", schreibt das in Düsseldorf erscheinende Handelsblatt. "Allerdings hat der mühsam errungene Erfolg bei der Gesundheitsreform einen hohen Preis. Einen Preis, den weniger der Präsident, sondern vor allem die demokratischen Politiker zu zahlen haben. Die republikanische Opposition wird das Thema Gesundheit nicht abhaken. Im Gegenteil: Bis zu den Zwischenwahlen im November werden die Konservativen noch mehr als bisher die Reform als Katastrophe für Amerika geißeln. Und da es lange dauern wird, bis die Bevölkerung die Auswirkungen des Gesetzes spürt, ist genügend Raum für Fantasie statt Fakten."
Die in Berlin herausgegebene Tageszeitung betrachtet die Billigung von Obamas Gesundheitsreform durch das US-Repräsentantenhaus mit Argusaugen. Für die USA, so heißt es in der taz, sei Obamas Reform "ein großer Schritt". Doch der Prozess habe auch gezeigt, dass von Obamas Vorhaben, die politische Kultur zu ändern, nichts übrig geblieben sei. "Sachliche Zusammenarbeit, Kompromisse? Fehlanzeige. Ein in der Finanzkrise gewachsenes parteiübergreifendes Verständnis, dass staatliches Handeln nicht nur des Teufels ist? Woher denn. Obama hat sich nur durchsetzen können, weil er und Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi alle Instrumente des Politgeschäfts genutzt haben, auch die hässlichsten. Und das hat gerade einmal gereicht, um ausreichend Abgeordnete der eigenen Partei zu gewinnen. Gut, dass sie das geschafft haben. Aber nachhaltige Veränderung des Denkens sähe anders aus."
Geradezu euphorisch kommentieren die Lübecker Nachrichten den Erfolg des US-Präsidenten: "Mit dem Sieg bei der Gesundheitsreform gelang Obama nicht irgendein Durchbruch, sondern er schrieb amerikanische Geschichte. Dass sich an dem Projekt allein sechs Präsidenten die Finger verbrannten, macht deutlich, welch epochale Wende eingeleitet wurde. Endlich sind in dem immer noch reichsten Land der Welt nahezu alle Bürger krankenversichert. Von Tumulten und übelster Polemik der Republikaner begleitet, hat Obama sein wichtigstes innenpolitisches Vorhaben unter Dach und Fach gebracht. Die USA sind, aus deutscher Sicht, gesundheits- und sozialpolitisch in der Jetztzeit angekommen."
Für die Rhein-Neckar-Zeitung geht Obama gestärkt aus der großen Auseinandersetzung hervor: "Zwar steht zu befürchten, dass die durch falsche Behauptungen aufgebrachten und um ihre medizinische Versorgung fürchtenden Wähler die Demokraten bei den Wahlen im November abstrafen. Dennoch hat Obama ein großes Manko seiner bisherigen Präsidentschaft abgestreift: Dass er zwar große Reden aber keine konkreten Erfolge vorzuweisen hatte. Mit der Gesundheitsreform reiht er sich bereits jetzt in die Ahnengalerie großer amerikanischer Sozialreformer wie Franklin D. Roosevelt oder Lyndon B. Johnson ein."
Für die in Lüneburg erscheinende Landeszeitung tilgt die Einführung einer obligatorischen Krankenversicherung einen Schandfleck auf der Weste der westlichen Vormacht: "Kann Obama einige der Risse im System kitten, stabilisiert er auch die Machtbasis der USA. Denn militärische Überlegenheit allein kann ein Imperium nicht retten, das im Innern zerfällt. Obamas Sieg bei einem für ihn zentralen Projekt ist geeignet, seiner Präsidentschaft verlorenen Schwung zurückzugeben."
Die Stuttgarter Zeitung wagt einen Blick in die Zukunft. Sie widmet sich der Politik Obamas nach der verabschiedeten Gesundheitsreform: "Die Gesundheitsreform war die letzte politische Vorlage des Präsidenten, die noch aus der Phase stammte, als die Demokraten eine blockadesichere Mehrheit im Senat hatten. Doch Obama wird vor den Zwischenwahlen für den Kongress im November kein polarisierendes Thema dieses Kalibers mehr auf seine Agenda setzen. Das umstrittene Klimaschutzgesetz beispielsweise bleibt sicher in der Schublade. Der US-Präsident wird lieber Themen in den Mittelpunkt rücken, die bis in die Reihen der Republikaner populär sind. Neue Jobprogramme und straffere Zügel für die Wall Street könnten dazugehören. Denn Obama hat nun ein Pfund, mit dem er wuchern kann: Die politische Dynamik ist wieder auf seiner Seite."