US-Truppenabzug aus Afghanistan "Verlogen und verkorkst"
23.06.2011, 22:06 Uhr
Die USA werden konkret. Präsident Barack Obama verkündet in einer Rede an die Nation, bis Mitte 2012 mehr als 30.000 Soldaten nach Hause holen zu wollen. Doch sind es wirklich militärische Erfolge, die den Rückzug begründen. Oder entscheiden nicht viel eher innenpolitische Gründe? Die deutsche Presse attestiert Obama, vor allem seine Wiederwahl 2012 im Blick zu haben. Denn die US-Bevölkerung ist kriegsmüde, das Land kann sich den Krieg kaum noch leisten. Nur: Mit dem Abzug der US-Soldaten wird Afghanistan mit großer Wahrscheinlichkeit an "alte Traditionen" anknüpfen.
Die Neue Osnabrücker Zeitung geht davon aus, dass der Afghanistan-Krieg so endet, wie er geführt wurde: "verlogen und verkorkst". Für die niedersächsische Zeitung versucht Obama mit seiner Ankündigung lediglich, "die Rückzugspläne mit Erfolgen im Kampf gegen Taliban und Al-Kaida zu begründen". Das Blatt verweist darauf, dass die Sicherheitslage selten so schlecht wie heute gewesen sei. "Es gibt zwar auch Anlass zur Hoffnung. Aber viele Generäle warnen zu Recht davor, dass jüngste Fortschritte durch die zu frühe Schwächung der Kampftruppen gefährdet werden." Das Blatt ist überzeugt: "Obama hatte bei seiner Rede an die Nation nicht die Befriedung Afghanistans im Blick, sondern seine Wiederwahl im Jahr 2012. Die USA sind kriegsmüde. Mit diesem zügigen Abzug wächst die Wahrscheinlichkeit, dass es nach 2014 wieder einen Bürgerkrieg gibt".
Auch die Märkische Allgemeine sieht in der Ankündigung Obamas politisches Kalkül, das auf der Kriegsmüdigkeit der US-Amerikaner gründet: "Amerika ächzt unter den Folgen der Wirtschaftskrise, es steht kurz vor der Pleite und kann sich die Rolle des Weltpolizisten nicht mehr leisten", konstatiert das Potsdamer Blatt. Die Lösung der eigenen Probleme sei wichtiger. "Dahinter", davon ist die Zeitung aus Brandenburg überzeugt, "steht auch die Einsicht, dass in Afghanistan militärisch nicht mehr viel zu holen ist. Obama beendet nun einen Krieg, den sein Vorgänger vor einem Jahrzehnt mit moralischem Furor unter dem Eindruck der Terroranschläge des 11. September begann. Und wie damals wird auch heute Amerika den Takt vorgeben für seine Verbündeten. Das heißt für die Bundeswehr: Fertig machen zum geordneten Rückzug".
Gleichermaßen sieht es die Zeitung Neues Deutschland - der angekündigten Teilabzug der US-Streitkräfte ist auch für sie reiner Wahlkampf: "Während der Schuldenberg der Supermacht Richtung 15 Billionen Dollar wächst und in vielen Städten das Geld für kommunale Dienstleistungen fehlt, verpulvert die Obama-Regierung Monat für Monat über zehn Milliarden Dollar für einen Krieg der Bush-Ära, der längst der ihre ist. Spätestens, seit Barack Obama 2009 auf Druck des Militärs eine massive Aufstockung der Truppen befohlen hat", ist hier zu lesen. Die Ankündigung eines schrittweisen Rückzugs sei "vor allem eine innenpolitische Rede", heißt es weiter, wobei Obama "die Präsidentenwahlen im nächsten Jahr fest im Blick" habe. Denn, so die Zeitungsmacher aus Berlin: "Obama will im Weißen Haus bleiben".
Die Probleme im eigenen Land sind auch für die Landeszeitung aus Lüneburg der Auslöser für Obamas neue Afghanistan-Strategie: "Die US-Konjunktur kommt nicht in Fahrt, die Arbeitslosenquote ist hoch". Die Kommentatoren der Zeitung sehen "das Land der unbegrenzten Möglichkeiten finanziell so begrenzt, dass es sich Auslandseinsätze in diesen Dimensionen schlicht nicht mehr leisten kann". Insofern sei Obamas schnellere Abkehr von Afghanistan absehbar gewesen. Genauso absehbar sei aber auch, "dass das Land am Hindukusch nach dem Abzug der letzten US-Soldaten an 'alte Traditionen' anknüpfen wird - ein blutiger Kampf um die Macht zwischen Karsai, den Taliban und anderen Warlords scheint unausweichlich".
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf