Irland und Portugal in Bedrängnis EU droht Zerreißprobe
15.11.2010, 18:50 UhrIrland erregt derzeit die Gemüter in der Eurozone. Die EU-Kommission zeigt sich nach außen gelassen, und das angeschlagene Land selbst will weiterhin keinen Antrag auf Hilfe stellen. An den Märkten bleibt es deshalb ruhig. Vorerst, denn nun rückt Portugal in den Fokus.

Die Schuldenkrise der Euro-Länder belastet auch die Gemeinschaftswährung.
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Es brodelt so kurz vor dem Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel. Denn Europa steht in der Schuldenkrise vor einer Zerreißprobe. Griechenland warf Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, mit ihren Vorschlägen zu einer Insolvenzordnung für EU-Staaten finanzschwache Länder in die Pleite zu treiben. "Das könnte vielen das Rückgrat brechen", sagte Regierungschef Giorgos Papandreou. Merkel hält dagegen: "Es ist unsere Aufgabe, eine neue Stabilitätskultur in Europa zu verankern", rief sie den Delegierten des CDU-Parteitags in Karlsruhe zu.
Unterdessen verdichten sich die Hinweise darauf, dass das klamme Irland bald unter den europäischen Rettungsschirm schlüpfen und Milliarden zur Stützung seines maroden Bankensektors abrufen könnte.
Portugal in Bedrängnis
Auch Portugal deutet nun überraschend eine mögliche Hilfsbedürftigkeit an. Es gebe ein hohes Risiko, dass sein Land um ausländische Hilfe nachfragen müsse, sagte Portugals Finanzminister Fernando Teixeira dos Santos der "Financial Times". "Das Risiko ist hoch, weil wir nicht nur einem nationalen oder Landes-Problem gegenüberstehen", sagte er. "Es sind die Probleme von Griechenland, Portugal und Irland. Es ist nicht ein Problem nur unseres Landes."
Die Angst vor dem Strudel

"Das könnte vielen das Rückgrat brechen", sagt Regierungschef Giorgos Papandreou zum Vorschlag einer Insolvenzordnung für EU-Staaten.
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Die EU ist laut EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny daran interessiert, das Problem rasch zu lösen. Es müsse vermieden werden, dass Länder wie Spanien und Portugal mit in den Strudel gerissen würden, betonte der österreichische Notenbankchef. Der im Mai aufgelegte Fonds der EU und des IWF ist mit 750 Mrd. Euro üppig bestückt und soll klammen Euro-Staaten aus der Patsche helfen. Irland prüft einem Zeitungsbericht zufolge, für seine notleidenden Geldinstitute Hilfen aus dem EU-Rettungstopf in Anspruch zu nehmen. Der Schritt könne eine Möglichkeit sein, Staatshilfen zu vermeiden, meldete die Zeitung "Irish Independent".
Finanzminister Brian Lenihan könne schon am Dienstag beim Treffen mit seinen Kollegen aus der Eurogruppe in Brüssel anfragen, ob dies machbar sei. Am Mittwoch folgt das Treffen der EU-Finanzminister (Ecofin). Dabei soll das Thema Irland nach Angaben eines EU-Diplomaten außerhalb der üblichen Tagesordnung behandelt werden. Ein anderer EU-Vertreter sagte, es gehe darum festzustellen, was im Fall Irlands die Krisensituation sei, die ein Aktivieren des Euro-Schutzschirms rechtfertige.
"EU-Maschinerie läuft"
Wie Reuters weiter von einem ranghohen EU-Diplomaten erfuhr, müsste Irland auch bei einer strikt auf die Geldinstitute begrenzten Hilfe einen formellen Antrag in Brüssel stellen. Die Brüsseler Mittel könnten nicht direkt an die Banken fließen. "Die Hilfe geht an den Staat, nicht an private Institutionen", fügte der Diplomat hinzu. Die irische Opposition geht davon aus, dass die EU-Maschinerie zur Rettung Irlands bereits angelaufen ist. "Ich denke, es wird sich in den nächsten 24 Stunden herauskristallisieren", sagte der Sprecher der oppositionellen Fine Gael-Partei, Michael Noonan.
"Keltischer Tiger" in Schuldenfalle
Das einst wegen seines Wachstums als "keltischer Tiger" gerühmte Irland steckt mittlerweile tief im Schuldensumpf: Viele Banken des Landes mussten vom Staat mit Milliarden gestützt werden, während das Bruttoinlandsprodukt in der Finanzkrise einbrach. In der Folge ist das Staatsdefizit explodiert. Im vorigen Jahr betrug der Fehlbetrag 14,4 Prozent, 2010 wird er sich voraussichtlich mehr als verdoppeln.
Vor Mitte 2011 braucht das Land zwar kein frisches Geld mehr, doch die Finanzmärkte sind alarmiert. Die Lage Irlands erinnert manche Beobachter bereits an Griechenland. Der Pleitekandidat hatte sich im April in die Arme der EU und des IWF geflüchtet und ächzt unter den harten Auflagen, die die beiden Gläubiger dem Land im Gegenzug für die Finanzhilfe auferlegt haben.
Insolvenzantrag für Staaten
Für zunehmende Nervosität am Markt hatte zuletzt der Vorstoß Merkels gesorgt, eine Insolvenzordnung für EU-Staaten auf den Weg zu bringen. Nach deutschen Plänen sollen nach dem Auslaufen des jetzigen Rettungsfonds ab Mitte 2013 auch private Gläubiger zur Kassen gebeten werden, wenn Länder ihre Schuldenlast nicht mehr schultern können. Dagegen laufen Irland und Griechenland Sturm.
"Es löst eine Spirale steigender Zinsen für Länder wie Irland und Portugal aus. Das könnte eine sich selbst erfüllende Prophezeiung auslösen, klagte der griechische Regierungschef Papandreou bei einem Besuch in Paris. Merkel will jedoch Kurs halten und zeigte sich in Karlsruhe kämpferisch: "Es geht um alles: Denn scheitert der Euro, dann scheitert Europa."
Die Griechen und ihr Sparkurs

Die Korrektur in der Schuldenstatistik ergibt sich aus einer Neubewertung bei der Sozialversicherung. An den Problemen der Eurozone ändert sich dadurch nichts.
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Angesichts immer tieferer Haushaltslöcher ringt Papandreous Regierung um ihren Sparkurs. Das Finanzministerium kündigte an, es halte an dem Ziel fest, bis 2014 den Fehlbetrag auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu drosseln, wie es mit IWF und EU vereinbart wurde. 2010 liege das Defizit bei 9,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2009 waren es nach jüngsten Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat sogar 15,4 Prozent.
Der gesamte Schuldenstand betrug damit 126,8 Prozent des BIP. Das ist weit mehr die bisher bekannten 115,1 Prozent. Damit ist das südosteuropäische Land der mit Abstand am stärksten verschuldete Euro-Staat.
Zum Vergleich: Deutschland kommt in der Betrachtung der Gesamtverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung auf eine Schuldenstandsquote von 73,4 Prozent. Gemessen an den absoluten Zahlen sitzen allerdings die Italiener mit rund 1763,6 Mrd. Euro auf dem höchsten Schuldenberg der Eurozone, dicht gefolgt von Deutschland mit 1760,5 Mrd. Euro und Frankreich mit 1489,0 Mrd. Euro. Athen hat dagegen Schulden in vergleichsweise bescheidenen 298,0 Mrd. Euro angehäuft.
Quelle: ntv.de, bad/rts/DJ/dpa