Behörden nehmen EinblickAutobauer lassen in China die Hosen runter

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt beherbergt den größten Automarkt. Nur logisch, dass die deutschen Hersteller ins Reich der Mitte drängen. Doch dafür müssen Daimler, BMW und Co. in Kauf nehmen, dass die Chinesen viel über deutsche Technologien lernen.
Für den Erfolg auf dem Schlüsselmarkt China nimmt der Autobauer Daimler wie seine Rivalen Audi oder BMW eine Art "technologischen Striptease" in Kauf. Hielt die chinesische Kopierwut die Schwaben vor einigen Jahren noch ab, die lokale Produktion im Reich der Mitte auszubauen, lassen sie sich von den Behörden jetzt - so wie andere ausländische Hersteller auch - tief unter die Motorhaube blicken.
Dass die Chinesen dabei viel über die deutsche Technologie lernen, nehmen die Hersteller angesichts des riesigen Marktpotenzials hin. "Wir transferieren Know-how", sagte Rene Reif, Produktionschef von Beijing Benz Automotive Co in Peking, dem Gemeinschaftsunternehmen von Daimler und dem lokalen Hersteller Beijing Automotive Group.
Fahndung nach dreisten Plagiaten
In diesem Jahr beginnt Mercedes in China die Produktion der neuen C-Klasse und des Geländewagens GLA. Um grünes Licht der chinesischen Behörden zu bekommen, sind einige Hürden zu überwinden: Neue Modelle müssen 160.000 Testkilometer absolvieren, um ihre Emissionswerte nachzuweisen. Die Beamten prüfen die Technik akribisch. Dabei werden Proben von auffallend vielen Teilen angefordert und genau vermessen. Das Verfahren kann bis zu einem Jahr dauern.
Dass Mercedes zuvor stärker auf Importe gesetzt hat oder mit der lokalen Produktion erst deutlich später begann, hatte gute Gründe. Vor vier Jahren brachte zum Beispiel der chinesische Hersteller Geely mit dem Merrie 300 einen Mittelklasse-Wagen auf den Markt, der von außen der Vorgänger-C-Klasse zum Verwechseln ähnlich sah.
Gegen dreiste Plagiate beim Design und andere Urheberrechtsverstöße geht Daimler rechtlich vor. Die Zahl der Modelle in China, deren Erscheinungsbild eins zu eins abgekupfert sei, gehe zurück, sagte ein Daimler-Sprecher. Ein Netzwerk von Markenschutz-Managern durchforste den Markt, um Fälschungen der Sicherheits- und Motorentechnik auf die Spur zu kommen. Die chinesische Regierung geht inzwischen außerdem konsequenter gegen Urheberrechtsverletzungen vor.
In China entscheidet sich Zetsches Absatzziel
Das mit der lokalen Produktion wachsende Plagiatsrisiko muss Daimler allerdings auf sich nehmen. Denn in China, dem größten Automarkt der Welt, entscheidet sich, ob Konzernchef Dieter Zetsche das Ziel schafft, bis 2020 wieder der weltweit größte Premiumhersteller zu werden. Vor zehn Jahren hatte die Marke mit dem Stern den ersten Platz an BMW verloren und liegt inzwischen hinter der Volkswagen-Tochter Audi auf Platz drei.
Jahrelang zuckelten die Schwaben den beiden Rivalen auch am rasant wachsenden Markt China mit weitem Abstand hinterher. Dass die Aufholjagd läuft, zeigt der Vorsprung von Daimler bei den Wachstumsraten in China: Mercedes schraubte den Verkauf um 27 Prozent nach oben, während die Rivalen bei einem Plus von rund 20 Prozent lagen.
Entwicklung bleibt in Deutschland
Ein Mercedes "Made in China" habe die gleiche Qualität wie einer, der in Bremen oder Rastatt gebaut sei, sagte der Chef des Gemeinschaftsunternehmens, Frank Deiss. Forschung und Entwicklung bleiben zwar in Deutschland, doch der Einfluss Chinas wächst auch hier. So wurde das Mercedes-Design-Centre vor kurzem von Japan nach China verlegt. Wie verheißungsvoll der chinesische Markt ist, zeigt der Vergleich der Autodichte: Je 1000 Einwohner fahren auf Chinas Straßen gerade mal 74 Autos, in Deutschland sind es 562 und in den USA 742 Fahrzeuge.
Zuletzt haben die deutschen Hersteller ihre Fertigung im Ausland hochgefahren: Bei einer Gesamtproduktion von 14 Millionen Fahrzeugen im vergangenen Jahr wurden 8,6 Millionen oder sechs von zehn Autos im Ausland hergestellt, wie aus einer Studie von Deutsche Bank Research hervorgeht. Im Jahr 2000 lagen Inlands- und Auslandsproduktion noch gleich auf. Auf China entfielen im vergangenen Jahr rund 40 Prozent der Auslandsproduktion.
Der Marktanteil der deutschen Autobauer in China stieg im ersten Quartal auf fast 22 Prozent, wie die Unternehmensberatung Ernst & Young berechnet hat. Das starke Marktwachstum werde sich allerdings verlangsamen, so dass zweistellige Raten bald die Ausnahme seien, sagte E&Y-Partner Peter Fuß.