Der Markt hat nichts gelernt Pleite erschütterte Experten
13.09.2009, 15:51 UhrBörsianern hat sich der 15. September 2008 ins Gedächtnis gebrannt. An diesem Tag ging die traditionsreiche US-Großbank Lehman Brothers unter. Damit hatte kaum jemand gerechnet: Die meisten waren davon ausgegangen, dass die US-Regierung in die Bresche springen und den Zusammenbruch des Institutes in letzter Minute verhindern wird. Wie haben Markt-Experten den Zusammenbruch von Lehman erlebt, und welche Lehren hat der Markt aus dem Crash gezogen? Dazu Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums und Dirk Müller, der als "Mr. Dax" bekannt gewordenen Börsenmakler.
Warum war die Lehman-Pleite so ein einschneidendes Ereignis?
Folker Hellmeyer, Bremer Landesbank: Weil nach dem Bailout von Bear Stearns Lehman bezüglich der Größe nach Ansicht des Marktes erst Recht hätte gerettet werden müssen. Als dieses Kalkül nicht aufging, stellte sich heraus, dass die Risikoaufstellung fast aller Finanzinstitute bezüglich dieser neuen Realität zu opportunistisch ausgefallen war.
Wolfgang Gerke, Wirtschaftsprofessor: Das Vertrauen in den Interbankenmarkt wurde auf Jahre beschädigt. Die These des "too big to fail" wurde widerlegt.
Dirk Müller, Börsenmakler: Viele hatten gehofft, dass keine große Bank pleite geht. Wegen der Verwicklungen untereinander bekam das alles dann eine ganz andere Dimension. Viele dachten bis dahin: wenn Der und Der nicht zahlen kann, wird es der Staat schon richten. Das war nach der Lehman-Pleite nicht mehr so. Danach ging die Angst um, dass es noch jemanden treffen könnte.
Was haben Sie persönlich gedacht, als Sie gehört haben, dass Lehman pleite ist?
Hellmeyer: Mir war adhoc bewusst, dass sich mit dem Scheitern Lehmans die Krise massiv verschärfen wird, da in der Folge die Funktionalitäten der Finanzmärkte wegen erhöhter Risikoaversion massiv beeinträchtigt würden.
Gerke: Jetzt versuchen die Amerikaner - angesichts der hohen Verschuldung von Lehman in Europa - die Lasten ihrer Finanzkrise den Europäern mit aufzubürden. Wie bei der Danat Bank (Anmerkung der Redaktion: als Folge der Weltwirtschaftskrise wurde die Darmstädter und Nationalbank 1931 zahlungsunfähig) wird es hinterher nur Verlierer geben!
Müller: Das war absehbar, denn in der Zeit passierte so viel, es gab viele Meldungen über Bankenprobleme. Die Frage war eigentlich nur: Wen trifft es als nächsten? Wenn jemand sagt, das konnte man nicht sehen, ist das Blödsinn. Aber es ist natürlich etwas anderes, ob man damit rechnet oder ob es dann wirklich passiert. Da war schon was los, in der Zeit war ich 24 Stunden sieben Tage die Woche eingespannt. Eine Zeit mit wenig Schlaf.
Wäre ein ähnliches Ereignis in Deutschland denkbar gewesen oder in Zukunft denkbar?

Folker Hellmeyer
Hellmeyer: Deutschland ist glücklicherweise geprägt vom Geist der Deutschen Bundesbank, einer zu größten Teilen vom Zeitgeist unabhängigen Veranstaltung. Das stellt einen wohltuenden Unterschied zu der Fed dar!
Die Probleme bei deutschen Instituten sind bekannt. Mithin wäre ein ähnliches Ereignis durchaus denkbar gewesen und ist auch theoretisch zukünftig denkbar. Es ist jedoch vor dem aktuellen Erfahrungshorizont unwahrscheinlich. Den Eliten neben der Bundesbank ist bewusst, dass der Kollateralschaden eines Scheiterns eines systemrelevanten Instituts ungleich höher und auch unabsehbarer wäre als der Aufwand, eine solche Institution zu stabilisieren und sie im weiteren Verlauf neu aufzustellen oder sukzessive abzuwickeln.
Gerke: Mit den Schieflagen von Landesbanken und der drohenden Zahlungsunfähigkeit der HRE stand Deutschland vor vergleichbaren Problemen. Ähnlich Ereignisse lassen sich auch zukünftig nicht ausschließen.
Müller: Der Staat würde alles abfangen. Das ganze Vertrauen liegt beim Staat. Viele Banken dürften noch in massive Probleme rutschen, da könnte es eine richtige Welle geben und der Steuerzahler darf's dann richten.
Welche Lehren haben die Finanzmärkte aus der Lehman-Pleite gezogen?
Hellmeyer: Die Finanzmarktteilnehmer haben ihre extrem leichtfertige Risikopolitik durch eine massive Restriktion ersetzt, die ohne die Interventionen seitens der Zentralbanken aber auch der Regierungen zu einem vollständigen Kollaps der Weltwirtschaft geführt hätten. Anders ausgedrückt war Kapital zunächst blind wie ein Maulwurf und anschließend scheuer als ein Reh.
Gerke: Finanzmärkte lernen nur kurzfristig. Im nächsten Boom ist wieder alles vergessen. Die Lehren aus der Krise für die Finanzmärkte müssen deshalb von den Regulatoren gezogen werden.
Müller: Eigentlich gar keine. Man macht so weiter wie vorher. Es gibt immer noch keine richtige Regulierung und es hat auch keiner ein richtiges Interesse dran. Was passiert ist, ist eher Kosmetik. Es ist nichts passiert und es wird auch nichts passieren - bis zum nächsten Schlag in die Schüssel.
Quelle: ntv.de