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Inside Wall StreetWall Street's Wiki-Weihnacht

22.12.2010, 06:29 Uhr
imagevon Lars Halter, New York

Wikileaks wählt sich ein neues Ziel: Die Finanzwelt. Die Enthüllungsplattform will die Machenschaften der Wall Street aufdecken. Doch die US-Regierung hat deshalb wohl mehr Grund zur Sorge als die Banker.

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(Foto: REUTERS)

WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist seit einigen Tagen wieder auf freiem Fuß, und die Welt wartet auf neue Enthüllungen. Während die jüngsten Dokumente aus Außenpolitik und Diplomatie nicht nur in Regierungskreisen, sondern auch in der breiten Bevölkerung auf Kritik gestoßen sind, wartet man nun gespannt auf die nächsten Enthüllungen – denn es geht gegen die Banken.

Die Banken mögen sich seit der Rezession bestens erholt haben. Doch – oder auch deswegen – sind sie in den USA nicht allzu beliebt. Mit wilden Spekulationen und riskanten Trades haben sie das Land in eine Krise gestürzt, mit Hochdruck treiben sie Zwangsversteigerungen voran, auch wenn sie die nötigen Papiere nicht haben. Und mit tückischen Kreditkartenverträgen und massenweise Kleingedruckten legen sie die Bürger alltäglich aufs Kreuz.

WikiLeaks sitze zur Zeit auf 5 Gigabyte von Bank-Daten, sagt Julian Assange, einer Festplatte aus dem Top-Management einer der größten US-Banken. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass es sich um Bank of America handeln dürfte. Assange sagt, eine Veröffentlichung des Materials würde zu Rücktritten führen – "es werden Köpfe rollen", so der Australier.

Regierung droht Ungemach

Dabei zeichnet sich ab, dass die Dokumente nicht nur für die Bank of America peinlich werden könnten. Sondern vor allem auch für die amerikanischen Behörden. Das meint etwa Andrew Ross Sorkin, Edelfeder der "New York Times" und Autor der Lehman-Brothers-Saga "Too Big To Fail".

Er könnte Recht haben. Denn, ganz ehrlich, wie schockierend können den Dokumente aus dem Inneren einer Bank sein. Man kann wohl davon ausgehen, dass die angeblichen tausenden von Emails unter anderem beweisen, wie die Banken Kunden abzockt, wie man unangenehme Wahrheiten beschönigt, wie man Bilanzen schmückt, … fraglich ist, wen das überraschen würde.

Für Washington ist hingegen unangenehm, dass man die Banken seit Jahren verschärft kontrolliert – ohne Ergebnis. Die anstehenden WikiLeaks-Enthüllungen könnten deshalb zwei Schlussfolgerungen aufwerfen: Obwohl es belastende Emails und Dokumente gibt, hat man nichts gefunden. Oder: Man hat etwas gefunden, aber nicht reagiert. Der frühere Generalstaatsanwalt Robert Mintz warnt: "Die Leute werden nicht verstehen, warum man nichts gegen die Banken unternommen hat."

Was die Frage aufwirft: Wird man nach den WikiLeaks-Enthüllungen etwas unternehmen können? Und wird man das WikiLeaks-Material für die Anklage verwenden können. Grundsätzlich wäre das kein Problem, denn die Staatsanwaltschaft darf alles Material verwenden, das öffentlich zugängig ist. Politisch stellt sich die Sache komplizierter dar: Der amtierende Generalstaatsanwalt, Eric Holder, hat Ermittlungen gegen WikiLeaks aufgenommen und droht Assange mit einer Klage im Zusammenhang mit der jüngsten Veröffentlichung diplomatischer Kabel.

Für die Regierung wirft die nächste Wiki-Aktion zahlreiche unangenehme Fragen auf. Auf Seiten der Bank muss sich erst einmal zeigen, wie schockierend das Material sein kann. Die Bosse im US-Finanzsektor scheinen sich schon vor geraumer Zeit von jeglicher Moral verabschiedet zu haben, ein Rücktritt im Top-Management liegt nicht unbedingt nahe.