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Notfallplan gegen Klimakollaps Forscher testen Verdunkelung der Sonne

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Der Klimawandel stellt die Menschheit vor neue Herausforderungen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die weitreichenden Folgen des Klimawandels könnten radikale Maßnahmen nötig machen. Eine solche ist das solare Geoengineering. Forscher wollen erstmals Partikel in der Atmosphäre ausbringen, die Sonnenlicht reflektieren. Im Fokus stehen dabei die Risiken dieser Technik.

Der Klimawandel ist Realität, die Erde heizt sich auf - offen ist bisher nur, wie stark die Temperatur noch steigen wird. Forscher warnen, dass es selbst mit den im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Maßnahmen bis zum Ende des Jahrhunderts immer noch drei Grad Celsius sein dürften. Doch gut möglich, dass der Klimawandel noch dramatischer verläuft.

Es gibt schon länger Überlegungen, ob man nicht mit technischen Mittel die schlimmsten Folgen der Erderwärmung auffangen könnte. Eine Möglichkeit ist das sogenannte Solar Radiation Management (SRM) - dabei wird mit Hilfe technischer Verfahren Sonnenlicht ins All zurückgestrahlt, weniger Licht fällt auf die Erde, sie kühlt sich ab. Eine wohl äußerst effektive Maßnahme: "SRM könnte dem (...) Klimawandel theoretisch schnell entgegen wirken", schreibt etwa das Deutsche Klima-Konsortium auf seiner Webseite. Die Erde würde sich dadurch innerhalb von einem oder zwei Jahrzehnten auf vorindustrielles Niveau abkühlen.

Bisher waren Forschungen zum SRM, auch solares Geoengineering genannt, auf das Labor und Computersimulationen beschränkt. Doch dieses Jahr wollen Wissenschaftler erstmals den Schritt nach draußen wagen: Forscher der Harvard-Universität planen ein Experiment, bei dem kleine Partikel in einer hohen Luftschicht ausgebracht werden, wie das Magazin "Nature" berichtete. Untersucht werden soll so die "Stratospheric Aerosol Injection" (SAI), eine Variante des solaren Geoengineerings, bei der ein Partikelmantel einen Teil der Sonnenstrahlen ablenkt und die Sonne so verdunkelt wird.

Kalkimpfung der Stratosphäre

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Wie Stratospheric Aerosol Injenction ablaufen könnte: Ein Ballon bringt Partikelwolken in der Stratosphäre aus, welche das Sonnenlicht reflektieren.

(Foto: Hughhunt/CC BY-SA 3.0)

Das Projekt mit dem Namen Stratospheric Controlled Perturbation Experiment (SCoPEx) hat mit Bill Gates einen berühmten Förderer und könnte schon in der ersten Jahreshälfte starten. Ein Ballon soll bis in die Stratosphäre aufsteigen, in rund 20 Kilometern Höhe soll er dann Wolken kleiner Partikel aus Kalziumkarbonat, also Kalk, ausstoßen. Anschließend messen Sensoren an dem Ballon, wie sich diese ausbreiten.

Der Hintergedanke: Partikel halten sich in der Stratosphäre sehr lange - bis zu zwei Jahren und mehr - und breiten sich praktisch von selbst zu einer globalen Schutzhülle aus. SAI ist daher eine vergleichsweise einfache und kostengünstige Methode: Laut des jüngsten Reports des Weltklimarates IPCC könnte eine Flotte von Flugzeugen in großer Höhe ausreichend Partikel - etwa Schwefeldioxid - ausbringen, zu vergleichsweise geringen Kosten von einer bis zehn Milliarden Dollar pro Jahr.

Dass diese Variante des Geoengineerings funktioniert, darüber herrscht wenig Zweifel. Bewiesen hat dies der Ausbruch des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991. Dieser stieß geschätzte 20 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre, wodurch die Erde sich um 0,5 Grad Celsius abkühlte. Erst anderthalb Jahre nach dem Vulkanausbruch war die globale Durchschnittstemperatur wieder wie vor dem Ereignis.

Ein Problem lösen, neue schaffen?

Den Harvard-Forschern geht es also nicht darum, zu testen, ob das solare Geoengineering mit Partikelwolken funktioniert. "Wir wollen nur zeigen: Wie groß sind die Risiken?", sagte Studienleiter Frank Keutsch in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Schließlich könnten eines Tages Regierungen in die Lage geraten, über den Einsatz solcher Maßnahmen entscheiden zu müssen. "Dann liefern wir die Fakten und können in Bezug auf einige Risiken sagen, was dann tatsächlich passieren würde."

Der in Deutschland geborene Atmosphärenchemiker sieht das solare Geoengineering sogar äußerst kritisch: "Es ist keine Lösung", betonte Keutsch in denselbem Interview und verglich den Einsatz solcher Techniken mit einem Schmerzmittel – beide würden nur die Symptome eines Problems bekämpfen, nie jedoch die Ursachen.

Mit dem Ballon-Experiment wollen die Forscher also besser verstehen, wie sich Partikel in der Stratosphäre verhalten und welche Auswirkungen sie auf die Chemie in den oberen Luftschichten haben - etwa auf die Ozonschicht. Denn das Schwefeldioxid des Pinatubo-Ausbruchs, so stellte sich heraus, kühlte zwar die Erde effektiv ab - aber es beschleunigte auch den Abbau der Ozonschicht durch Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Ein gefährlicher Nebeneffekt, da dadurch mehr für Menschen schädliche ultraviolette Sonnenstrahlung den Erdboden erreicht.

Größte Gefahr nicht gebannt

Die Liste der Risiken ist aber noch länger: Der Weltklimarat IPCC warnt auch vor der Verschiebung von Niederschlags-Mustern oder einem Rückgang der Artenvielfalt. Die Produktion von Lebensmitteln könnte leiden, da Getreide auf den Feldern weniger Sonnenlicht erhielte. Zudem ist es insgesamt höchst ungewiss, auf welche Weise sich das Klima durch SRM verändern würde. So schreibt das Deutsche Klima-Konsortium, es sei unwahrscheinlich, dass "SRM ein zukünftiges Klima erzeugen könnte, das 'genauso ist' wie das, was wir heute erleben".

Sollte sich die Technik als machbar und günstig erweisen, könnte die Menschheit dazu verführt werden, weiter tonnenweise Kohlendioxid zu produzieren, was massive Schäden nach sich ziehen dürfte. So wäre die zunehmende Versauerung der Ozeane wohl kaum noch aufzuhalten, was immense Auswirkungen auf das Leben in den Meeren hätte.

Die Forscher hinter dem Projekt SCoPEx sind sich bewusst, dass ihr Experiment entsprechend kritisch beäugt werden dürfte - und haben gewisse Vorkehrungen getroffen: Ein unabhängiger Beratungsausschuss soll ein Auge auf mögliche Risiken des Versuchs haben. Allerdings dürften diese überschaubar sein: Bei den Experimenten werden nur wenige hundert Gramm Kalk eingesetzt. Im Deutschlandfunk versicherte Havard-Forscher Keutsch, dies habe "für den Boden oder sogar für die Umwelt an sich überhaupt keinen Einfluss".

Quelle: ntv.de

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