Skandal wegen Erdogan-Gedicht Böhmermann bat Kanzleramt um Hilfe
08.04.2016, 11:30 Uhr
Jan Böhmermann versteht keinen Spaß mehr: Er will seinen Grimme-Preis nicht in Marl abholen.
(Foto: imago/STAR-MEDIA)
Was darf Satire - und was nicht? Eine Frage, auf die auch Jan Böhmermann offenbar keine klare Antwort hat. Er wolle Grenzen austesten dürfen, schreibt er Kanzleramtschef Peter Altmaier nach dem Wirbel um sein Schmähgedicht. Und er hat eine Bitte.
ZDF-Satiriker Jan Böhmermann hat nach der Kritik an seinem Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan offenbar das Kanzleramt um Hilfe gebeten. Wie "Spiegel Online" berichtet, soll er sich direkt an Peter Altmaier gewandt haben. "Ich möchte gerne in einem Land leben, in dem das Erkunden der Grenze der Satire erlaubt, gewünscht und Gegenstand einer zivilgesellschaftlichen Debatte sein kann", soll er dem Kanzleramtschef via Twitter geschrieben haben.
Er bitte um "Berücksichtigung meines künstlerischen Ansatzes und meiner Position, auch wenn er streitbar ist", so Böhmermann weiter. Dem Bericht zufolge antwortete Altmaier, er werde sich melden, sobald er wieder in Berlin ist. Doch dazu kam es nicht. Am Tag danach habe Regierungssprecher Steffen Seibert den Standpunkt der Kanzlerin in der Causa Böhmermann verkündet. Merkel hatte in einem Telefongespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu versucht, die Wogen zu glätten. Sie kritisierte die Böhmermann-Verse als "bewusst verletzend", betonte aber noch einmal, dass die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland ein hohes Gut sei.
Böhmermann boykottiert Grimme-Preis
Derweil steht hinter dem Auftritt von Böhmermann bei der Grimme-Preis-Verleihung am Abend in Marl ein Fragezeichen. "Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe", postete der 35-Jährige am Morgen auf seiner Facebook-Fanpage. "Mein Team von der Bildundtonfabrik und ich bitten um Verständnis, dass wir heute Abend nicht in Marl feiern können." Böhmermann soll den renommierten Fernsehpreis für seine Satire rund um den Mittelfinger des griechischen Ex-Finanzministers Yanis Varoufakis bekommen.
Im Frühjahr 2015 hatte er mit seiner Bildmontage selbst Ex-ARD-Talker Günther Jauch hinters Licht geführt - und einen großen Teil der deutschen Fernsehzuschauer. Varoufakis selbst hatte dem Satiriker zu seinem Coup gratuliert. Humor, Satire und Selbstironie seien großartige Mittel gegen blinden Nationalismus, schrieb der Grieche auf Twitter. "Wir Politiker brauchen Sie dringend." Erdogan sah das allerdings anders. Nachdem Böhmermann den Staatschef in seiner Sendung als "Ziegenficker" bezeichnet hatte, forderte Ankara rechtliche Konsequenzen.
Rechtsexperten bezweifeln Haftstrafe
Die Staatsanwaltschaft Mainz hat bereits Ermittlungen gegen Böhmermann - und auch einige Verantwortliche des ZDF - aufgenommen. Rechtsexperten wundern sich allerdings, dass dies ohne einen vorliegenden Strafantrag geschehen ist. "Normale Beleidigungsdelikte setzen stets einen Strafantrag des Berechtigten, also Herrn Erdogans, voraus", sagte Medienrechtler Markus Kompa der "Deutschen Welle". "Die Beleidigung eines ausländischen Staatsorgans nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches, die jetzt diskutiert wird, würde ein Ersuchen der Türkei voraussetzen."
Ein solches gab es allerdings bisher nicht. Zudem hat die Vergangenheit nach Ansicht von Rechtsanwalt Christian Solmecke gezeigt, dass "immer dann, wenn es zweideutig ist, ob etwas Beleidigung oder Satire ist", das Pendel in Richtung Satire gehe. "Ich glaube nicht, dass eine Anklage erhoben werden wird", sagte Solmecke im n-tv Interview.
Der Solidarität der Netzgemeinde kann sich der Satiriker jedenfalls auch weiterhin sicher sein. Auf Facebook stellten Fans Profilbilder mit dem Slogan "Je suis Böhmi" online - eine Referenz an die Welle der Anteilnahme nach den Terror-Anschlägen auf die Redaktion des Satire-Magazins "Charlie Hebdo" in Paris.
Quelle: ntv.de, jug/dpa