Panorama

Flutwelle rollt nach Norden Sachsen droht neues Ungemach

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(Foto: REUTERS)

Das Wasser schoss schnell über die Ufer, überflutete Ortschaften und ließ eine Staumauer brechen. Beim verheerendsten Hochwasser seit 2002 ertranken neun Menschen im Dreiländereck Deutschland-Tschechien-Polen. Nun kündigt sich Tief "Wilhelmina" an - mit neuem Regen im Gepäck.

Sachsen und die angrenzenden Gebiete in Tschechien und Polen haben am Wochenende die schlimmste Naturkatastrophe seit der Jahrhundertflut im August 2002 erlebt. In letzter Minute wurden verzweifelte Menschen gerettet, die sich an Bäume und Brückenpfeiler geklammert hatten oder auf den Dächern ihrer überfluteten Häuser ausharrten. Der Pegelstand der Neiße schoss in Görlitz binnen drei Stunden um vier Meter in die Höhe, nachdem in Polen eine Staumauer brach.

Die Elbe werde nach kurzer Stagnation anschwellen, sagte Karin Bernhardt vom sächsischen Landeshochwasserzentrum - bis Dienstag auf einen Pegelstand von etwa 5,75 Metern. Normal sind zwei Meter.

Im Erzgebirgsort Neukirchen ertranken am Samstag eine 72-Jährige, ihr 74-jähriger Ehemann und ein 63-jähriger Nachbar bei dem Versuch, Waschmaschinen aus dem Keller ihres Mehrfamilienhauses zu retten. 10.000 Haushalte in dem Gebiet und im nahen Chemnitz waren ohne Strom. In mehreren Regionen Sachsens wurde Katastrophenalarm ausgerufen. Entlang der Neiße wurden die Menschen mit Lautsprecherwagen vor einer massiven Flutwelle gewarnt, nachdem im polnischen Radomierzyce (Radmeritz) eine Staumauer gebrochen war.

Höchster Pegel seit 1912

Der Grenzfluss hat einen Rekordstand erreicht.

Der Grenzfluss hat einen Rekordstand erreicht.

(Foto: dpa)

Der Pegel in Görlitz zeigte am Sonntagmorgen mehr als sieben Meter an - und damit den höchsten Wert seit Beginn der Messungen im Jahr 1912. Der normale Wert liegt dem sächsischen Hochwasserzentrum zufolge im Mittel bei 1,70 Meter. Retter bargen vom Hubschrauber aus einen völlig erschöpften Mann, der sich verzweifelt an einen Brückenpfeiler geklammert hatte. Die Flutwelle auf der Neiße sei aber nicht so extrem wie nach dem Bruch der Staumauer befürchtet, sagte Gerlind Walter vom Katastrophenschutz-Stab des Landkreises Görlitz. Ein Tagebausee habe einen großen Teil des Wassers "geschluckt" - sein Wasserspiegel legte um 45 Zentimeter zu.

Den Hochwassergebieten droht mit "Wilhelmina" neues Ungemach. Das Tief bringe neuen Regen, sagte Meteorologe Hans-Jürgen Langner vom Deutschen Wetterdienst in Leipzig. Östlich von Zittau und dem überfluteten polnischen Bogatynia gebe es bereits erste Gewitter. Die Regenfälle könnten auch die Lage an der Elbe verschärfen, deren Wasserstand derzeit gleichbleibe oder langsam falle, sagte Karin Bernhardt vom sächsischen Landeshochwasserzentrum.

Keine Schule am Montag

Die Görlitzer Altstadt steht unter Wasser.

Die Görlitzer Altstadt steht unter Wasser.

(Foto: REUTERS)

In  Görlitz sind mehrere tausend Menschen ohne Strom. Das Wasserwerk der Stadt sei wegen des Hochwassers außer Betrieb, teilte der Katastrophenschutzstab des für seine malerische Altstadt bekannten Ortes mit. Es seien etwa 5000 Einwohner ohne Strom. Wegen des Hochwassers fällt am Montag in allen Schulen von Görlitz der Unterricht aus.

Den Angaben zufolge werden "Katastrophen-Touristen" zunehmend ein Problem. Die Schaulustigen brächten nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern behinderten auch die rund 1700 Helfer im Einsatz, kritisierte der Katastrophenschutzstab.

Dramatische Lage in Polen

In Polen sprach Innenminister Jerzy Miller von drei Todesopfern durch die Flut. Medienangaben zufolge handelt es sich um zwei Frauen und einen Feuerwehrmann, der bei der Sicherung eines Deiches vom Wasser mitgerissen wurde. Ein Regionalpolitiker und sein Fahrer überlebten, weil sie sich neun Stunden an umtoste Bäume klammerten. Ihr Wagen war von der Hochwasserwelle nach dem Dammbruch erfasst worden. Etliche vom Wasser eingeschlossene Menschen in der Region wurden von den Dächern ihrer Häuser gerettet. Bogatynia - eine Stadt mit mehr als 18.000 Einwohnern - war für Stunden fast vollständig überflutet, mehrere Häuser stürzten ein. Auch in Teilen von Zgorzelec, der Nachbarstadt von Görlitz, stand das Wasser zwischen den Häusern.

Evakuierungen in Tschechien

In Tschechien ertranken ebenfalls mindestens drei Menschen, teilten die Behörden mit. Drei Menschen wurden zunächst noch vermisst, darunter ein Mann, der vor den Augen anderer in einen reißenden Fluss stürzte. Mehr als 2000 Menschen mussten am Wochenende in Notquartieren übernachten, nachdem mehrere Ortschaften überflutet wurden. Etliche Personen wurden mit Hubschraubern gerettet und in Sicherheit gebracht - unter anderem von Luftrettern aus Deutschland. Betroffen war vor allem die Region um Liberec. Mehrere Zugverbindungen nach Deutschland waren unterbrochen.

Dresden macht Schotten dicht

Im Chemnitzer Ortsteil Klaffenbach stand der Schlosshof unter Wasser.

Im Chemnitzer Ortsteil Klaffenbach stand der Schlosshof unter Wasser.

(Foto: dpa)

Auch vielen Ortschaften wurden sinkende Pegelstände gemeldet. Im Raum Chemnitz und dem Erzgebirge hätten ebenso wie in der Sächsischen Schweiz die Aufräumarbeiten begonnen, berichtete Walter. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagte Hilfe zu. "Ich gehe davon aus, dass der Freistaat Sachsen genau wie die Kommunen den Betroffenen unter die Arme greifen."

In Dresden lagen die Pegelstände am Wochenende noch weit unter den 9,40 Metern Höchststand von 2002, das Terrassenufer war aber bereits gesperrt. Um die Altstadt zu schützen, baute die Feuerwehr mobile Schutzwände auf. Die Sächsische Dampfschifffahrt stellte den Verkehr ein, die Leinwand-Bühnenkonstruktion der Dresdner Filmnächte musste abgebaut werden. Im Wasser trieben Gestrüpp und Baumstämme.

Flut zieht nach Brandenburg

Schneller und mit größerer Wucht als erwartet bewegte sich die Hochwasserwelle in Richtung Brandenburg. Das Landesumweltamt hält die höchste Alarmstufe 4 bereits an diesem Montag an der Spree oberhalb der Talsperre Spremberg für möglich, sagte Präsident Matthias Freude. "Das werden Wassermengen sein, die die Spree seit vielen Jahren nicht gesehen hat", so Freude. Zudem werde das Hochwasser an der Neiße höher als erwartet ausfallen.

Das Tief "Viola" hatte die Wassermassen auf seinem Weg gen Osten gebracht. Die extremen Regenfälle seien "nicht so überraschend" gewesen, sagte Robert Scholz, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Von Westen her ziehe bereits ein neues Schauerband auf die Region zu, in der Summe werde es aber nicht so viel regnen wie in den vergangenen Tagen. Die Wetterlage vom Wochenende sei ähnlich der gewesen, die im August 2002 zum Jahrhunderthochwasser geführt hatte. Damals waren allein in Deutschland 21 Menschen ums Leben gekommen, Häuser stürzten ein, gewaltige Flächen wurden überschwemmt.

Sachsens Umweltminister Frank Kupfer (CDU) verglich die Lage in der Sächsischen Schweiz mit 2002. In Neustadt, Sebnitz und Bad Schandau hatten die Flüsse neue Rekordpegelstände erreicht. So wurde die Sebnitz mit 3,23 Metern gemessen, normal sind etwa 30 Zentimeter. Bisher lag der Höchstwert bei 1,58 Metern im Jahr 1993.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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