Panorama

Loveparade-Ermittlungen vor dem Abschluss Die Verantwortlichen kommen davon

Die Treppe neben der Rampe, wo 21 junge Raver starben, ist seit Juli 2013 offizielle Gedenkstätte für die Toten.

Die Treppe neben der Rampe, wo 21 junge Raver starben, ist seit Juli 2013 offizielle Gedenkstätte für die Toten.

(Foto: dpa)

Tausende Zeugen, Zigtausend Seiten Papier, Hunderte Stunden Videos: Nach dreieinhalb Jahren sind die Ermittler in der Loveparade-Katastrophe soweit, dass sie Anklage erheben wollen - allerdings gegen zehn Personen, die nicht die Treiber waren bei der größten Fehlplanung einer Großveranstaltung in der deutschen Geschichte.

Ein Julitag, an dem eigentlich nur Party gemacht werden soll, endet für 21 junge Leute mit dem qualvollen Tod. Erstickt, zerquetscht, totgetreten. Auf der schrägen Ebene, die auf das Feiergelände der Loveparade in Duisburg führt, werden sie ineinandergedrängt und übereinandergeschoben von der Kraft von geschätzten 45.000 Menschen an dieser Stelle, teils betrunken, aufgeputscht oder einfach nur in Panik.

An die Wand des Tunnels, der zum Unglücksgelände führt, wurden Silhouetten gemalt. Sie stehen für die 21 Toten vom 24. Juli 2010.

An die Wand des Tunnels, der zum Unglücksgelände führt, wurden Silhouetten gemalt. Sie stehen für die 21 Toten vom 24. Juli 2010.

(Foto: dpa)

Von drei Seiten quetschen sich die Leute am späten Nachmittag auf das tödliche Nadelöhr am Fuß der Rampe zu: Aus zwei Tunneln drücken die Ankö mmlinge, von oben wollen die ersten nach Hause. Polizisten sehen die Katastrophe schon Stunden zuvor kommen. Doch sie nimmt ihren Lauf, weil niemand sich traut, Duisburgs große Party abzublasen. Und weil offenbar zu viele trotz unzähliger Warnungen hoffen, es werde schon alles gutgehen.

Die Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg geht in die bundesdeutsche Katastrophengeschichte ein. Das Unglück gilt nun als Paradebeispiel von Behördenversagen und Größenwahn - einer heruntergewirtschafteten Stadt und einer profithungrigen Eventagentur. Der Fall zieht eine beispiellose Puzzlearbeit von Ermittlungen nach sich. Mehr als 3500 Zeugen werden vernommen, mehr als 900 Stunden Videomaterial gesichtet, hunderte Terabyte Daten ausgewertet. Laut Staatsanwaltschaft haben allein die Hauptakten zum Loveparade-Verfahren 35.000 Blatt.

Zehn Bauernopfer?

Jetzt soll die Staatsanwaltschaft Duisburg nach all diesem Aufwand zehn Verantwortliche für das Unglück bei der Loveparade in Duisburg im Sommer 2010 ausgemacht haben. Doch nach einem Bericht des "Spiegel" könnten es Bauernopfer sein. Die zehn Personen sollen für die Massenpanik bei dem Ravertreffen auf dem Duisburger Güterbahnhofgelände verantwortlich gemacht und angeklagt werden. Ursprünglich soll gegen 16 Personen ermittelt worden sein. Bei den mutmaßlichen Angeklagten handelt es sich demnach um sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Verantwortliche der Firma Lopavent, die die Techno-Veranstaltung 2010 organisiert hatte.

Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe (l.) gehört nicht zu den Angeklagten. Genausowenig Lopavent-Chef Rainer Schaller (M.). Nach Ansicht der Ermittler waren sie zu weit weg von den planerischen Fehlentscheidungen. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (r.) wurde 2012 abgewählt.

Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe (l.) gehört nicht zu den Angeklagten. Genausowenig Lopavent-Chef Rainer Schaller (M.). Nach Ansicht der Ermittler waren sie zu weit weg von den planerischen Fehlentscheidungen. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (r.) wurde 2012 abgewählt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung waren damals alle in der Baubehörde tätig. Der Hauptbeschuldigte soll der inzwischen pensionierte Bau-Dezernent Jü rgen Dressler sein. Wie die Recherchen des "Spiegel" ergeben haben, soll jedoch gerade er sich lange gegen die Genehmigung der Veranstaltung - für die seine Behörde erst nach einem juristischen Kniff überhaupt zuständig geworden war - gestemmt haben. Erst kurz vor dem Termin der Loveparade knickte er auf Druck von Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe ein, heißt es.

Rabe soll im Rathaus größten politischen Druck ausgeübt haben, um die Loveparade möglich zu machen. Rabe wird in dem Magazin-Bericht als gnadenloser Opportunist dargestellt. Während der gesamten Planungsphase wurde er demnach von Mitarbeitern und eigens herangezogenen Experten - darunter ein Panikforscher - immer wieder vor den Gefahren der Massenveranstaltung auf dem ausgewählten Gelände gewarnt. Der Panikforscher kam zu dem Ergebnis, dass der Rave auf dem Güterbahnhof "eher nicht" machbar sei. Erst als Rabe nicht mehr juristisch verantwortlich war, peitschte er für den Veranstalter Lopavent die Party durch.

Der Zaun machte aus öffentlichem Raum ein "Stadion"

Der schwache Punkt an dem Gelände war den Ermittlungen zufolge schon früh bekannt: Der Eingang führte durch zwei Tunnel zu einer Rampe, von dort erreichten die Besucher das eigentliche Feiergelände. Doch der Eingang sollte gleichzeitig auch Ausgang sein. Zudem bargen die Tunnel als Nadelöhre, durch die Hunderttausende sich zwängen sollten, enormes Panikpotential. Die Rampe wurden den 21 Opfern am späten Nachmittag zum Verhängnis, als immer mehr Besucher auf das Gelände wollten, während andere es bereits wieder verließen.

Die Verantwortung lag nach der ursprünglichen Planung beim Ordnungsamt, weil es sich bei dem Güterbahnhof um öffentliches Gelände handelte. Der "Spiegel" beschreibt deshalb die Wende im Verhalten des Ordnungsdezernenten Rabe, als dieser erfuhr, dass der Güterbahnhof umzäunt werden sollte. Das sah der Veranstalter Lopavent vor. Mit der Umzäunung wurde aus dem öffentlichen Gelände juristisch gesehen eine Art Stadion, für das das Bauamt zuständig war. Dessen ehemaliger Leiter Jürgen Dressler ist nun einer der Hauptbeschuldigten.

Polizei-Einsatzleiter wird nicht angeklagt

Großer Druck ging offenbar auch vom Veranstalter Lopavent aus, der mit der Loveparade größtmögliche Publicity bei kleinstmöglicher Verantwortung erreichen wollte. Die Stadt und ihre Auflagen wurden als lästige Hindernisse gesehen. Die Strategie war deshalb, die Behörden der Stadt gegeneinander auszuspielen und Rechenmodelle - etwa über die Zahl der Besucher und die erforderliche Breite der Fluchtwege - nötigenfalls zu frisieren. Am Ende soll Ordnungsdezernent Rabe mit einem Machtwort dafür gesorgt haben, dass die Loveparade vom Bauamt nicht in letzter Minute doch noch abgesagt wurde. Dabei hatte er auf den "Wunsch" von Oberbürgermeister Adolf Sauerland verwiesen, dass das Event stattzufinden habe.

Auch der damalige Polizei-Einsatzleiter wird nicht angeklagt. Das stößt Überlebenden und Angehörigen der Opfer besonders sauer auf. Denn Gutachter sind zu dem Schluss gekommen, dass trotz aller Fehler bei der Planung die Katastrophe vom 24. Juli 2010 noch am Mittag hätte verhindert werden können. Die "Spiegel"-Recherchen haben außerdem ergeben, dass zum Zeitpunkt des größten Gedränges an der Unglücksstelle unten an der Rampe auch noch ein Polizeibulli durch die Menge steuerte - er drängte die Leute noch dichter ineinander.

Ende November hatte das Magazin "Focus" bereits unter Berufung auf Justizkreise berichtet, dass die Anklage gegen zehn Beschuldigte im Entwurf fertig sei. Eine Bestätigung der Staatsanwaltschaft gab es darauf nie. Bereits lange klar ist, dass die Verantwortlichen auf oberster Ebene davonkommen. So sind die Ermittler laut "Spiegel" zu dem Schluss gelangt, dass Lopavent-Chef Rainer Schaller und der inzwischen abgewählte Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland "persönlich zu weit weg" von den tödlichen Entscheidungen waren.

Quelle: ntv.de

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