UNICEF registriert WaisenkinderAngst vor Gewalt in Haiti
Zweieinhalb Wochen nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti wächst die Angst vor Gewalt und die Kritik an mangelnder Koordination der Hilfe. Helfer berichteten von einer angespannten Sicherheitslage.
Aus Haiti zurückgekehrte deutsche Ärzte haben auf die angespannte Sicherheitslage in Haiti aufmerksam gemacht. Dorthin, wo nach dem verheerenden Erdbeben vor zweieinhalb Wochen wirklich Hilfe benötigt werde, traue sich niemand, erklärte die Kölner Ärztin Barbara Höfler, Helferin der Salesianer Don Boscos.
Sie berichtete über marodierende Banden, die die Einrichtungen ihrer Organisation vor zehn Tagen geplündert hätten. Unterstützung der Sicherheitskräfte gebe es kaum für die Helfer.
Menschen werden gewaltbereiter
Von zunehmenden Spannungen berichtete auch der Würzburger Arzt Joost Butenop. Es sei bereits zu ersten Demonstrationen und Straßenblockaden gekommen, sagte Butenop. Der Grund: "In den Slums sind fast keine Häuser zerstört worden." Hilfsgüter gebe es jedoch nur für diejenigen, die kein Dach mehr über dem Kopf hätten. Nach einer ersten Schockstarre entstehe jetzt eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung. "Die Menschen in Haiti werden gewaltbereiter."
Gewalt droht auch von etwa 6000 Häftlingen, die nach Angaben des haitianischen Polizeichefs Mario Andrésol aus zerstörten Gefängnissen entkommen konnten. Wie die Agentur Haiti Press Network berichtete, sind unter ihnen Mörder, Kidnapper, Vergewaltiger, Diebe und Drogenhändler. Bislang habe die Polizei noch keine Liste mit den Namen der geflohenen Häftlinge veröffentlicht, um die Menschen nicht zu verunsichern.
Versorgungslage weiter schwierig
Die Versorgung der Erdbeben-Opfer bleibt nach Aussage eines US- Generals weiter schwierig. Der Nachrichtensender CNN zitiert auf seiner Internetseite den US-Luftwaffengeneral Douglas Fraser mit den Worten: "Wir können die Bedürfnisse der Haitianer noch nicht voll befriedigen. (...) Es ist vereinzelt vorgekommen, dass die Lebensmittel an einer Ausgabestelle nicht für alle gereicht haben." Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) plant nach den Worten des Generals, die Zahl der Verteilstellen in Port-au-Prince von 12 auf 15 zu erhöhen. Es kommt immer wieder vor, dass sich die Haitianer gegenseitig abdrängen und um Hilfsgüter kämpfen müssen.
UNICEF registriert Waisenkinder
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen registriert jetzt die Waisenkinder im Erdbebengebiet von Haiti. Zunächst werden die Daten von Minderjährigen erfasst, die allein durch die Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince irren, teilte UNICEF in Paris mit. Sie können dann in extra eingerichteten Notunterkünften unterkommen, wo sie versorgt werden. Die Zahl der Waisen oder von ihren Eltern getrennten Kinder wird auf eine halbe Million geschätzt.
Unterdessen appellierte die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" an die Menschen in Haiti, Blut zu spenden. "Es wird so viel operiert, wir brauchen dringend Blut", sagte eine Mitarbeiterin. "Wir müssen viel amputieren", sagt der Chirurg Chris Schimanek aus Österreich. "Oft sind die Knochen so zerstört, dass es Monate dauern würde, bis sie heilen", erklärt er. Unter den hygienischen Bedingungen in Haiti sei das nicht möglich.
Adoptivkinder in Frankfurt
60 Adoptivkinder aus Haiti wurden unterdessen am Frankfurter Flughafen von ihren Adoptiveltern in die Arme geschlossen, wie die "Rhein-Zeitung" in Koblenz berichtete. Sechs Kinder mussten direkt in ein Krankenhaus gebracht werden. "Sie waren in Folge des Erdbebens entkräftet und dehydriert. Gemessen an den Umständen geht es aber allen Kindern recht gut", sagte die Vorsitzende des Adoptionsvereins "Help a Child", Bea Garnier-Merz, der Zeitung.
FAO stellt Agrar-Programm auf
Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) rief dazu auf, einen 700 Millionen Dollar (500 Millionen Euro) umfassenden Aufbauplan für Haitis Landwirtschaft zu unterstützen. Das vom Agrarministerium in Port-au-Prince aufgestellte Sonderprogramm sehe vor, in den kommenden 18 Monaten die landwirtschaftliche Infrastruktur zu reparieren. Zudem sollten die nationale Produktion von Nahrungsmitteln gefördert und Arbeitsplätze für die Flüchtlinge aus der Stadt geschaffen werden.
Von Zehntausenden Flüchtlingen, die in ländlichen Regionen einträfe, berichtete die Kinderhilfsorganisation World Vision. Allein in den Regionen Central Plateau und Southern Region seien bisher rund 50.000 Hilfesuchende in World Vision-Projekten angekommen.
UN-Mission gedenkt ihrer Toten
Die UN-Mission in Haiti nahm in Port-au-Prince Abschied von ihren Toten. Bei einer Gedenkfeier wurden die Namen der 85 identifizierten Opfern verlesen. "Sie haben selbst ihnen Nahestehende verloren und sich doch um die gekümmert, die noch gerettet werden konnten", sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in einer von UN-Missionschef Edmond Mulet verlesenen Ansprache. Bei dem Erdbeben der Stärke 7,0 starben nach jüngsten Angaben der haitianischen Regierung etwa 170.000 Menschen. Etwa eine Million wurde obdachlos. Die UN vermissen noch 30 Mitarbeiter.