Ordnung im Schilderwald London verbannt Plakat-Halter
18.07.2008, 09:39 UhrSie zeigen, wo Sushi und Solarien am billigsten sind, machen auf den Ausverkauf von Lederkleidung aufmerksam oder verkünden den Weltuntergang. Nun stehen sie selbst vor dem Untergang: Londons Plakat-Halter. Denn der Bezirk Westminster hat die "wandelnden Werbetafeln" aus der Innenstadt verbannt. Schöner, sicherer und übersichtlicher soll die Einkaufs- und Touristengegend zwischen Oxford Street, Covent Garden und Leicester Square dadurch werden. Doch die Öffentlichkeit ist gespalten, Medien sehen gar die urbritische Tradition der Redefreiheit am Ende.
Seit dem 19. Jahrhundert prägen die "lebenden" Plakate das Stadtbild. Während die sogenannten Sandwich Men - das Wort stammt aus alten Zeiten, als Männer eine Tafel vor der Brust und eine am Rücken trugen - früher oft religiöse und ideologische Botschaften verbreiteten, sind sie heute vor allem billige Werbeträger. Schon aus der Ferne sollen die grellen Plakate die Aufmerksamkeit der Millionen Einkaufswütigen auf sich lenken. Auf der Oxford Street, einer der berühmtesten Einkaufsstraßen der Welt, waren die Plakat-Halter sogar bei strömenden Regen fast so präsent wie die roten Doppeldeckerbusse.
Weltklasse statt Müllhalde
Die Bezirksverwaltung fand den Schilderwald jedoch hässlich und verwirrend. "Dies ist eine Weltklasse-Stadt und keine Müllhalde", sagt Gemeinderat Daniel Astaire. "Niemand will sich seinen Weg durch laienhaft zusammengeschusterte, neonfarbene Schilder erkämpfen." In dem ganzen Durcheinander hätten auch Taschendiebe ein leichtes Spiel, findet er. Von August an sollen die etwa 100 Plakat-Halter deshalb verschwinden, und Inspektoren die Straßen kontrollieren. Den Plakat-Sündern oder deren Arbeitgebern drohen dann Strafen von umgerechnet mehr als 3100 Euro.
Hinter der "Null-Toleranz"-Aktion steckt der Einzelhandelsverband New West End Company, der die von Touristen, Londonern, Autos und Bussen hoffnungslos verstopfte Gegend für mehrere Millionen verschönern will. Ob der Bann der Plakat-Halter jedoch der richtige Weg ist, bezweifeln viele. Die Zeitung "The Times" rief unter der Überschrift "Save the Sandwich Man" dazu auf, die "historischen Figuren auf der Londoner Bühne" zu retten. Im Londoner Stadtmuseum heißt es, der Sandwich Man sei ein "Sinnbild für die Londoner Exzentrik".
Das ist jedoch auch viel Vergangenheitsromantik: Inzwischen sind die meisten Werbeträger keine Briten mehr. Heute verdienen sich vor allem Polen und andere Osteuropäer mit dem Job ein äußerst mageres Zubrot - einige bekommen weniger als vier Euro pro Stunde. Kein Wunder, dass die meisten das Verbot emotionslos in Kauf nehmen. "Das ist ein lausiger Job. Langweilig, schlecht bezahlt, und mich stinken die Busse zu", sagt einer, der seinen Namen nicht nennen will. Doch, wo er nun einen anderen Job herbekommt, weiß er auch nicht. "Zum Plakat-Halten brauchte ich wenigstens keine besondere Qualifikation."
Annette Reuther, dpa
Quelle: ntv.de