Frauen bringen ihn ins Stolpern Berlusconi im Delirium
14.02.2011, 10:18 Uhr
Was wirklich zählt: Während einer Pressekonferenz im im Palazzo Chigi kontrolliert Berlusconi seine Zähne.
(Foto: REUTERS)
Italiens Regierungschef sieht sich einer kommunistischen Verschwörung aus Justiz, Staatspräsident und Presse gegenüber. Denn das Wahlvolk stehe hinter ihm, meint Berlusconi. Doch da hat der Weiberheld die Rechnung ohne die Frauen gemacht.
Das sind ganz schlechte Nachrichten für , aber gute für Italien. Das erste Mal seit 1994, seitdem er "in die Arena herabgestiegen ist”, wie er seinen Eintritt in die Politik definiert hat, ist der Medienzar in der Minderheit. Das erste Mal gelingt es ihm nicht mehr, die Mehrheit zu verzaubern, von seiner Version der Dinge zu überzeugen. Die größte Wählergruppe Italiens hat ihm : Die Frauen.
Frauen ganz unterschiedlicher politischer Auffassungen, Parlamentsabgeordnete, die vor kurzem noch Berlusconi treu ergeben waren wie Giulia Buogiorno, standen da neben Franca Rame, der bekanntesten Theaterautorin Italiens und bekannter Verfechterin der Frauenrechte, neben einer Arbeitslosen und einer Nonne. Mit einer Stimme riefen sie auf knapp 300 Kundgebungen in ganz Italien: ora basta, nun reicht's, und se non ora quando? Wenn nicht jetzt, wann dann.
Bunga-Bunga statt Bücher
"Sie hat einen Körper wie eine Assessorin”, machen wir sie zur Europaabgeordneten, zur Ministerin oder schicken wir sie nun in den Landtag? "Was soll ich den jungen Mädchen in meiner Klasse sagen", meinte eine Lehrerin, "dass sie nur Karriere machen, wenn sie 'bunga-bunga' vor einem 74jaehrigen tanzen? Dass es nichts bringt Bücher zu lesen, sondern dass man sich leicht bekleidet von alten Männern angrabschen lassen muss, um als Frau nach vorne zu kommen?” Die Wut ist enorm. Nichts kann sie mehr besänftigen.
Schmutzzulage für Journalisten
Auch nicht die elende Hofberichterstattung des italienischen Staatsfernsehens. Da schickt das TG1, entspricht der Tagesschau bei uns, einen Journalisten, um ein Interview mit Berlusconi zu machen. Doch wie läuft das ab? Es klingt wie ein Witz: Aus der Rekonstruktion durch die empörten Kollegen wissen wir, wie die Mediendiktatur Italiens funktioniert. Der Journalist - im Range eines Chefredakteurs – sitzt dabei, während Berlusconi vom Teleprompter einen vorgeschriebenen Text abliest. Der Text ist fertig abgelesen, jetzt hat der TG1-Journalist die Aufgabe, nachträglich die Fragen aufzunehmen, die am besten zu Berlusconis Worten passen.
Berlusconi ist zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr da. All das wird dann in der RAI zusammen geschnitten. Nicht anders läuft es bei Putin, lief es bei Mubarak oder in jeder anderen Diktatur. Traurig dabei ist natürlich, dass es Leute gibt, die einen Journalistenausweis haben (mit richtigem Journalismus hat dies natürlich nichts zu tun), die sich für so etwas hergeben. Von solchen Gestalten gibt es in Italien genug. Wie in jeder Autokratie. So ein Job wird nämlich ausnehmend gut bezahlt. In meiner Zeit in der Druckerei nannte man das Schmutzzulage.
Es sind diese Leute, die Berlusconi heute an der Macht halten. Es sind die vielen Tausend Funktionäre des Fernsehens, der Bürokratie, die ohne jedes reguläre Auswahlverfahren aufgrund ihrer politischen Treue zu Silvio Berlusconi eingestellt worden sind, die heute alle Ganglien des italienischen Staatsapparates beherrschen. Nach 17 Jahren fast ununterbrochener Machtausübung ist der Staat durch und durch mit seinen Getreuen durchsetzt. Sehr oft kamen sie direkt aus dem Firmenimperium Berlusconis. Dies sind die wichtigsten Gefolgsleute. Selbst wenn Berlusconi zurücktreten wollte, sind es diese Leute, die ihn daran hindern wollen und müssen. Wie sagte es doch die minderjährige Ruby in einem abgehörten Telefongespräch? "Solange Berlusconi an der Macht bleibt, haben wir auch zu essen.” Das ist es.
Demokratie à la Gran Capo
Die letzte und am schwersten einzunehmende Bastion ist das Parlament. Hier ist das Treueverhältnis zu Berlusconi absolut. Das hat seinen Grund im perversen und nach unseren Maßstäben völlig undemokratischem Wahlrecht. Fangen wir mal mit der Aufstellung der Kandidaten an. In Italiens Parteien (außer in der außerparlamentarischen Partei der Rifondazione Comunista) gibt es keine Wahlkongresse mehr. Nicht gewählte Delegierte der Mitgliedschaft, ob in der Form von Wahlparteitagen wie bei uns oder in Urwahlen wie in den USA, stellen die Kandidaten auf, sondern allein der Parteichef. Er allein entscheidet.
Bei Berlusconis Partei PDL entscheidet er allein, in der oppositionellen PD immerhin das Parteisekretariat. Demokratisch ist das nicht. Wer die aussichtsreichen vorderen Listenplätze bekommt – das entscheidet allein Berlusconi. So kann er eben auch seine Masseurin, die Zahnpflegerin und alte Geliebte ganz vorne platzieren und wählen lassen.
Und die Wähler? Könnten die ihm einen Streich spielen und die Kandidaten 'rauswählen? Keineswegs. Die italienischen Parteilisten sind festgezurrt wie in jeder anständigen Diktatur. Man kann sein Kreuz nur bei der Partei als solcher machen, und Schluss. Es gibt keine direkt gewählten Abgeordnete mehr, nichts. Nur noch treue Gefolgsleute. Klar, dass da die Abgeordneten Berlusconis letzte Praetorianer sind. Ohne ihn sind die nichts. Sie mussten keinen Wahlkampf führen, keine Hände schütteln, haben keinen Wahlkreis – nur die Treue zum Gran Capo zählt.
Viele von ihnen sind ehemalige Angestellte Berlusconis, die hinterher wieder zurück in die Firma wollen, sind Anwälte Berlusconi, andere haben ihm große Dienste erwiesen oder noch andere wissen Dinge über ihn, die sie besser für sich behalten; jeder von ihnen hat seinen guten Grund, Berlusconi zu stützen.
Nur eine Minderheit unter ihnen kann auf ein Überleben nach Berlusconi hoffen. So wird das Drama um Berlusconi uns wohl noch eine Weile begleiten. Ein Land steht still, nichts wird mehr entschieden, die Parlamentarier Berlusconis kämpfen verzweifelt um ihre Privilegien, produzieren täglich neue Gesetzesvorschläge - für die Abschaffung aller Telefonabhörungen, für die Einführung allerkürzester Verjährungsfristen, die Wiedereinführung einer kompletten Immunität für alle Parlamentarier.
Italienische Titanic kurz vor dem Eisberg
Es ist wie auf der Titanic. Italiens immense Staatsschulden würden schnelles Handeln fordern. Die Wirtschaft krebst bei Mini-Wachstumsraten, von Süden her drängt ein an die Strände Italiens – doch die Regierung denkt nur über eines nach, wie Berlusconis Haut vor der gerettet werden kann. Nachdem Staatspräsident Giorgio Napolitano ihn unverhohlen aufgefordert hat, sich dem Gericht zu stellen, kippt die Berlusconi-Presse kübelweise Hass über ihm aus.
Berlusconi ist im Delirium: Er sieht sich einer kommunistischen Verschwörung aus Justiz, Staatspräsident und Presse gegenüber. Er stelle sich nicht der Justiz, das Volk sei sein Richter, und da er die Wahlen vor zwei Jahren gewonnen habe, sei das Urteil der Wähler bereits gesprochen. Es ist, wie gesagt, ein Delirium.
Quelle: ntv.de