Luftangriff als Eskalationsstrategie Opposition setzt Merkel zu
12.12.2009, 07:31 Uhr
Merkel soll nach dem Willen der Opposition die "Karten auf den Tisch legen".
(Foto: picture alliance / dpa)
Nach neuen Berichten zum Luftangriff bei Kundus nimmt die Opposition nun Bundeskanzlerin Merkel ins Visier. SPD, Grüne und Linkspartei fordern Merkel auf, umgehend eine Regierungserklärung vor dem Bundestag dazu abzugeben.
Mehrere Medien hatten berichtet, der als geheim eingestufte Nato-Bericht über den Vorfall von Anfang September komme zu dem Ergebnis, das Ziel der von der Bundeswehr angeforderten Bombardierung seien weniger die entführten Tanklaster sondern eine Gruppe von Taliban und ihre Anführer gewesen. Das Vorgehen soll gar Teil einer vom Kanzleramt gebilligten Eskalationsstrategie gewesen sein.
SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: "Ich mag eigentlich nicht glauben, dass die deutsche Bundeskanzlerin einer solchen Tötungsstrategie zugestimmt hat." Die Bundesregierung müsse endlich ihr Schweigen beenden und die Öffentlichkeit und den Bundestag kommende Woche umfassend über die Hintergründe informieren. Es müsse geklärt werden, was das Kanzleramt mit dem Verteidigungsministerium und den Geheimdiensten verabredet habe und was Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg wirklich gewusst habe.
Wurde die Öffentlichkeit getäuscht?

Die Grünen wollen wissen, ob gezieltes Töten zur Afghanistan-Politik der Bundesregierung gehört.
(Foto: AP)
Die Grünen-Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin erklärten: "Frau Merkel muss klären, ob eine Strategie des gezielten Tötens Bestandteil der Afghanistan-Politik der Bundesregierung ist - und, ob Kanzleramt, Bundeswehr und Nachrichtendienst diese neue Strategie gebilligt haben." Linken-Chef Lothar Bisky sagte, Merkel müsse endlich die Karten auf den Tisch legen. Wenn das Kanzleramt ein schärferes Vorgehen der Bundeswehr vor dem Luftangriff gebilligt habe, seien Parlament und Öffentlichkeit bewusst getäuscht worden.
Bisherige Argumentation umgestoßen
Laut "Spiegel" und "Süddeutsche Zeitung" heißt es in dem Abschlussbericht der Nato, der deutsche Oberst Georg Klein habe durch seinen Bombardierungsbefehl nicht in erster Linie die Tanklaster treffen wollen. "Es ist schwer zu ergründen, warum der Fokus des PRT-Kommandeurs auf die Taliban in dem Zielgebiet gerichtet war und nicht allein auf die gestohlenen Tanklaster, die doch wohl die größte Bedrohung waren für die Sicherheit der PRT-Kräfte", zitiert der "Spiegel" aus dem Dokument.
Bislang war von der Regierung vor allem die Sicherheit der Soldaten des nahegelegenen Feldlagers als Grund für den Abwurf zweier Bomben genannt worden. Klein selbst teilte laut "Spiegel" in einer Meldung vom 5. September an den inzwischen entlassenen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan mit, er habe das Bombardement befohlen, "um Gefahren für meine Soldaten frühzeitig abzuwenden und andererseits mit höchster Wahrscheinlichkeit nur Feinde des Wiederaufbaus zu treffen".
Billigte Kanzleramt Eskalationsstrategie?
Die "Leipziger Volkszeitung" berichtete, der Angriff sei Folge einer vom Kanzleramt gebilligten Eskalationsstrategie, die der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung und Schneiderhan den Offizieren vorgegeben hätten. Dokumenten zufolge gehöre zu dieser Strategie die gezielte Ausschaltung der Führungsstruktur der Taliban.
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, das Kanzleramt habe nicht auf konkrete Einsätze der Bundeswehr Einfluss genommen. "Das Kanzleramt hat stets großen Wert darauf gelegt, dass der Einsatz der Bundeswehr immer im Rahmen des vom Bundestag erteilten Mandats erfolgt." Zu der angeblichen Eskalationsstrategie äußerte sich Wilhelm nicht.
Guttenberg wartet auf den Ausschuss

Guttenberg gibt sich bedeckt und verweist auf den U-Ausschuss.
(Foto: dpa)
Guttenberg sagte, es gehe bei den Berichten um Vorgänge aus der Zeit vor seiner Amtsübernahme und damit außerhalb seiner Verantwortung. Der Untersuchungsausschuss solle dies klären. Am Freitag hatte der Minister in Kundus eine umfassende Aufklärung des Luftangriffs und eine "größtmögliche Transparenz" zugesagt.
Die neuen Berichte verschärfen die Debatte, ob es Alternativen zu dem Luftschlag mit bis zu 142 Toten - darunter zahlreiche zivile Opfer - gab und was Guttenberg schon zu einem früheren Zeitpunkt gewusst haben konnte. Der CSU-Politiker war unter Druck geraten, weil er bei Amtsantritt Anfang November den Angriff als militärisch angemessen bezeichnet hatte, sich später aber revidierte. Die Kehrtwende begründete er damit, dass ihm einige Berichte vorenthalten worden seien. Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert mussten deswegen abtreten. Der "Spiegel" und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berichteten hingegen, die beiden Spitzenbeamten hätten Guttenberg korrekt und vollständig informiert.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts