Ausbau viel zu langsam Deutschland hat zu wenig Ganztagsschulen
03.07.2014, 10:11 Uhr
Lernen, essen
(Foto: dpa)
Das deutsche Bildungswesen vernachlässigt Ganztagsangebote an Schulen: Es gibt weit mehr Interessenten als Angebote, zeigt eine Bertelsmann-Studie. Und bei der Schaffung neuer Plätze haben die Länder den Schwung verloren.
Der Ausbau der Ganztagsschulen hat einer Studie zufolge deutlich an Tempo verloren. Zu Zeiten des Bundesprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" seien von 2003 bis 2009 bundesweit jedes Jahr 175.000 Ganztagsplätze entstanden, heißt es in einer Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Jetzt kämen im Durchschnitt nur noch 104.000 Plätze jährlich dazu.
Dabei ist der Bedarf ungebrochen: Etwa jeder dritte Schüler besucht heute eine Ganztagsschule. Einer Umfrage zufolge wünschen sich aber 70 Prozent der Eltern einen Ganztagsplatz für ihr Kind. Es gebe also eine Lücke von 2,8 Millionen Plätzen. Im jetzigen Tempo werde es noch 20 Jahre dauern, bis diese Marke erreicht sei, kritisierte der Bildungsexperte im Stiftungsvorstand, Jörg Dräger.
Die Bundesländer haben beim Ausbau sehr unterschiedliche Stände erreicht. Im vergangenen Schuljahr besuchten in Sachsen 79,1 Prozent, in Hamburg 61,7 Prozent der Schüler eine Ganztagsschule. In Baden-Württemberg waren es dagegen 18,9, in Bayern sogar nur 12,4 Prozent.
"Eine nationale Kraftanstrengung"
Sehr unterschiedlich ist auch das Angebot. Die gebundene Ganztagsbetreuung, also der verbindliche Schulbesuch über die Mittagspause hinaus, ist nach Ansicht von Forschern besonders geeignet, soziales und kognitives Lernen zu fördern. Bundesweit nutzen dies aber nur 14,4 Prozent der Schüler. In Hessen und Schleswig-Holstein lernen weniger als fünf Prozent der Erst- bis Zehntklässler unter solchen Bedingungen, in Sachsen dagegen fast jeder dritte.
"Der Ausbau der Ganztagsschulen ist eine nationale Kraftanstrengung", betonte Dräger. Wenn 70 Prozent der Schüler ein Ganztagsangebot bekommen sollen, und das an drei Tagen der Woche mit einem siebenstündigen Programm in Verantwortung der Schule, wären dazu jährlich 1,7 Milliarden Euro zusätzlich für Lehrkräfte und pädagogisches Personal notwendig.
Die flächendeckende Ausweitung der gebundenen Ganztagsbetreuung für alle Schüler auf acht Stunden an allen fünf Schultagen würde den Berechnungen zufolge sogar knapp acht Milliarden Euro pro Jahr kosten. "Der Ausbau der Ganztagsschulen muss beschleunigt werden, weil sie eine bessere individuelle Förderung aller Kinder und damit mehr Chancengerechtigkeit ermöglichen", sagte Dräger.
Quelle: ntv.de, jog/dpa