Politik

Frankfurter Richter fällen Urteil im Ruanda-ProzessDie Grenzen der Gerichtsbarkeit

18.02.2014, 06:32 Uhr
imageVon Benjamin Wehrmann
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"Ich habe diese Verbrechen nicht begangen", beteuerte der Ruander, dessen Gesicht nicht kenntlich gemacht werden darf, zu Ende des Prozesses. (Foto: picture alliance / dpa)

Nach gut drei Jahren endet in Frankfurt der Prozess gegen einen mutmaßlichen Verantwortlichen des Genozids in Ruanda. Dabei geht es nicht nur um die Schuld eines Mannes, sondern auch um die Reichweite deutscher Rechtsprechung.

Eine Million Tote in 100 Tagen - der Völkermord in Ruanda zählt zu den verheerendsten Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts. Seit drei Jahren beschäftigt das Massaker an Angehörigen der Tutsi-Minderheit auch die deutsche Justiz. Nun fällt das Urteil. Angeklagt ist das Mitglied der Hutu-Mehrheit Onesphore Rwabukombe. Der 56-Jährige soll zu den Männern gehört haben, auf deren Betreiben Hutu im Frühjahr 1994 mit einer Mischung aus minutiöser Planung und bestialischer Gewalt rund ein Fünftel der Landesbevölkerung ermordet haben. Die Bundesanwaltschaft macht den ehemaligen Bürgermeister für den Tod von bis zu 1200 Menschen auf dem Gebiet der Kirchgemeinde des Dorfes Kiziguro verantwortlich und fordert eine lebenslange Haftstrafe wegen der "besonderen Schwere" der Tat.

Rwabukombe, der von der Nichtregierungsorganisation Trial Watch vor seiner Verhaftung im Jahr 2010 auf Rang 435 der Liste der meistgesuchten Verdächtigen geführt wurde, spielte bei der Planung und Durchführung des Mordes an rund 70 Prozent der Tutsi-Bevölkerung Ruandas möglicherweise nur eine geringe Rolle. Für einen "staatlich organisierten Massenmord", wie es die Anklage ausdrückte, ist jedoch einerseits gerade die Verantwortung vermeintlich "kleiner Rädchen" im System ein entscheidendes Element zur juristischen Bewertung der Ereignisse. Andererseits zeigt das Verfahren aber auch die Grenzen der Justiz auf, wenn es darum geht, von Deutschland aus Recht über Gräueltaten in einem Land zu sprechen, das nicht nur geografisch so weit entfernt liegt.

"Arbeitet! Arbeitet!"

Oberstaatsanwalt Christian Ritscher zeigt sich überzeugt, dass "vom Angeklagten eine größtmögliche Zahl von Morden beabsichtigt" gewesen sei. Der angeblich hochreligiöse Mann soll demnach die Tötung von "mindestens 400, wahrscheinlich 500 bis 1000 oder mehr" Menschen organisiert und befehligt haben, so die vorsichtige Formulierung der Staatsanwälte.

Die Tutsi, aber auch sich schützend vor die Minderheit stellende Hutu, sollen dabei nach Männern, Frauen und Kindern getrennt worden und anschließend mit Pfeilen, Gewehren und Granaten der Reihe nach abgeschlachtet worden sein. Der Ex-Bürgermeister hat die Hinrichtungen laut Zeugenaussagen angetrieben. Unter anderem habe er den mordenden Mob mit den Worten "Arbeitet! Arbeitet!" angepeitscht.

Auch Dieter Magsam, Vertreter der Nebenklage, zeigt sich überzeugt, dass Rwabukombe seine "absolute Autoritätsstellung" für den niederen Beweggrund "der Vernichtung der Kakerlaken in Menschengestalt" missbrauchte, wie Magsam die Hutu-Ideologie zusammenfasste. Auch er spricht sich für eine lebenslange Haft aus.

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Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel muss sich auf ein Revisionsverfahren gefasst machen. (Foto: dpa)

Die Hutu-Kämpfer ließen einige der damals Anwesenden am Leben und beauftragten sie mit der Entsorgung der Leichen in einen knapp 30 Meter tiefen trockenen Brunnenschacht, den die einrückenden Mitglieder der Tutsi-Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) einige Tage später zu angeblich 90 Prozent gefüllt vorfanden. Aus diesen Überlebenden rekrutierte sich ein großer Teil der über 100 Zeugen, die in dem Prozess aussagten.

Zusammenarbeit mit einer Diktatur?

Rwabukombe bestreitet zwar, an besagtem Tag überhaupt auf dem Kirchengelände gewesen zu sein. Verteidigerin Natalie von Wistinghausen macht ihre Kritik an der Anklage aber vor allem an den oftmals sehr emotional überlagerten und bisweilen widersprüchlichen Aussagen der aus Afrika eingeflogenen Zeugen fest. Zudem werde im Verfahren die "Übertragung deutscher Sachstrukturen auf afrikanische Bürgerkriegsverhältnisse" betrieben, während das ruandische Rechtssystem dem hiesigen keinesfalls gleichwertig sei. Eine auf Beweisen basierende Schuldsprechung sei so nicht möglich. Die heutige Regierung unter dem ehemaligen RPF-Führer Paul Kagame wirke überdies international darauf hin, dass ihre eigene Rolle bei der Beendigung des Massakers sowie der anschließenden Machtübernahme keine kritische Neubewertung erfährt. Laut der Verteidigung, sind die Zeugen von der Regierung Kagames sogar manipuliert worden. Auch, weil Rwabukombes Name in vielen wichtigen Dokumenten zum Massaker nicht zu finden ist, fordert die Verteidigerin einen Freispruch.

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Ruandas Präsident Paul Kagame beendete das Morden mit der Machtübernahme durch seine RPF. Zwar schaffte er es, das Land anschließend zu stabilisieren, geriet jedoch durch seinen sehr autoritären Stil und möglicher Verwicklungen in den Bürgerkrieg im benachbarten Kongo in die Kritik. (Foto: picture alliance / dpa)

Tatsächlich gestaltet sich die Rekonstruktion der Ereignisse von Kiziguro als äußerst schwierig. In dem seit Januar 2011 laufenden Verfahren kam es zu lediglich vier Monaten Verhandlung. Zahllose Flugmeilen wurden zurückgelegt, etliche Dokumente und Aussagen übersetzt und gar ein von Beamten des Bundeskriminalamtes vor Ort vermessenes 3-D-Computermodell des Kirchengeländes eingesetzt, da eine Tatortbegehung ohne den Angeklagten nicht zulässig ist und in Ruanda nicht für die Sicherheit Rwabukombes garantiert werden konnte.

Kernfrage bleibt ungeklärt

Zudem begannen die Probleme der deutschen Justiz mit dem Fall schon Jahre vor der Verhandlung - bei der Verhaftung des Ruanders, der in den 1980er Jahren die Fachschule für Technik in Trier besucht hatte. Rwabukombe stellte im Jahr 2002 einen Asylantrag mit der Begründung, dass er durch die Taten der das Land erobernden RPF traumatisiert und zur Flucht getrieben worden sei. Der Antrag wurde 2006 zugelassen, da das Auswärtige Amt mutmaßte, dass ihm in Ruanda willkürliche Haft und ein unrechtmäßiger Prozess drohten. Nach Hinweisen darauf, dass es sich bei dem Flüchtling tatsächlich um eine der treibenden Kräfte bei den Massenmorden handeln könnte, wurde Rwabukombe 2008 im hessischen Gelnhausen verhaftet. Ein Auslieferungsgesuch aus Ruanda lehnten die deutschen Behörden daraufhin jedoch ab und ließen den Mann aus Mangel an Beweisen wieder frei, um ihn nach Intensivierung der Untersuchungen schließlich 2010 erneut festzunehmen.

Rwabukombe selbst hatte sich das gesamte Verfahren über kaum zu den Vorwürfen gegen ihn geäußert und beteuerte zu dessen Abschluss seine Unschuld. "Ich habe diese Verbrechen nicht begangen", sagte er und zeigte sich "fassungslos über die von Zeugen, die ich nicht kenne, gegen mich vorgebrachten Anschuldigungen". Die Kernfrage, ob er sich an jenem 11. April, wie von ihm behauptet, auf der Flucht, oder stattdessen als Antreiber inmitten des Gemetzels befand, konnte bis heute nicht restlos geklärt werden.

Während Richter Thomas Sagebiel den Zweifeln der Verteidigung zu Beginn der Verhandlungen noch mehr Gehör schenkte, gab er entsprechenden Einwänden im weiteren Verlauf immer weniger statt. Von der Verteidigung angeforderte Akten aus Ruanda wurden wegen "Bedeutungslosigkeit" abgelehnt. Ein Freispruch des Angeklagten erscheint deshalb mittlerweile unwahrscheinlich. Ein Revisionsverfahren dafür umso wahrscheinlicher.

Quelle: ntv.de