Vom IS befreite Dörfer im Irak Die Terroristen sind weg, die Gefahr bleibt
25.10.2016, 20:25 Uhr
Eine irakische Eliteeinheit hatte das Dorf vor wenigen Tagen befreit.
(Foto: AP)
Vor wenigen Tagen befreiten Anti-Terror-Einheiten der irakischen Armee das einst christliche Dorf Bartella. Doch nur wenige Meter von der Front ist an eine Rückkehr nicht zu denken: Mit perfiden Methoden verbreitet der IS noch immer Angst und Schrecken.
Zumindest Kirchenglocken haben vor einigen Tagen wieder in Bartella geläutet, das erste Mal nach mehr als zwei Jahren. Und auch die Grundmauern der Kirche Mart Schmuni in dem kleinen nordirakischen Ort östlich der Großstadt Mossul stehen noch. Doch damit enden die guten Nachrichten erst einmal.
Denn wenige Tage nach der Befreiung des Dorfes aus der Gewalt des IS gleicht die Kirche einem Geisterhaus, zerstört und verwüstet. So wie der ganze Ort. Die Mauern der Kirche sind verrußt von Feuer, auf dem Boden im Innern des Gebäudes liegen zerfledderte Gesangbücher zwischen verstaubten Holzbänken. Von einer Elektro-Orgel ist nur die Tastatur geblieben. Einer Statue im Innenhof, die einst wohl an einen hohen Geistlichen erinnerte, fehlt der Kopf. Auf die Mauern eines Nachbargebäudes haben die Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geschmiert, was sie von den Christen halten: "Allah steht über dem Kreuz."
Früher lebten hier Christen
Durch die engen Straßen von Bartella donnern gepanzerte Fahrzeuge der Armee, auf den Türen das Abzeichen der Anti-Terror-Kräfte, einer Eliteeinheit, die hier eingerückt ist. Lastwagen bringen Treibstoff und anderen Nachschub. Ihre Räder wirbeln Staub auf, der sich mit der ohnehin dunstigen Luft zu einem dichten Grau vermischt, hinter dem die Sonne nur ab und zu wie ein orangener Ball aufleuchtet. Pausenlos ist das Dröhnen von Jets zu hören, die Richtung Front fliegen.
Die Apokalypse, sie könnte an diesem Tag in Bartella nahe sein. Bartella, nur wenige Kilometer vor den Toren der IS-Bastion Mossul, gehört zu einer Reihe von Orten in der Gegend, in denen früher vor allem Christen und Angehörige der religiösen Minderheit der Schabak lebten, rund 8000 Menschen. Bis zum 7. August 2014, ein Datum, an das sich der Anwalt Maath Hadschi Abbas genau erinnern kann.
Damals fielen die Dschihadisten über Bartella her, die Einwohner flohen Hals über Kopf vor den heranrückenden Horden. "Das Leben in Bartella war einfach, aber wir haben friedlich zusammengelebt", erinnert sich Maath, ein 28-Jähriger, der aufgewühlt wirkt, aber auch glücklich. Als er von Bartellas Befreiung hörte, machte er sich von der Hauptstadt Bagdad sofort auf den Weg Richtung Nord. "Bartella, das ist meine Heimat." Gerade hat er das erste Mal seit 2014 sein Haus wieder gesehen. Jetzt ist er froh: "Es steht größtenteils noch."
Überall lauern Sprengfallen
Doch an eine Rückkehr ist noch nicht zu denken. Zwar erklärte die Armee den Ort vor einigen Tagen für "befreit". Doch solche Meldungen kommen oft voreilig. Mehrfach brachen danach Gefechte in Bartella aus. Heftig seien sie gewesen, sagt am Straßenrand ein irakischer Soldat, der am Bein verwundet worden ist. IS-Scharfschützen hätten immer wieder geschossen. Dann kann er nicht weiter reden, weil ein gepanzertes Armeefahrzeuge, ein Humvee, anrauscht.
Männer reißen die Hintertür auf und heben zwei Verwundete heraus, die laut stöhnen. Die Front liegt nur einige Kilometer Richtung Mossul entfernt. In vielen Orten unter ihrer Herrschaft haben die Extremisten zudem ausgedehnte Tunnelsysteme ausgehoben, aus denen plötzlich Anhänger von Daesch, wie der IS auf Arabisch von seinen Gegnern genannt wird, auftauchen können.
Und dann sind da die Sprengfallen, die die Extremisten zu Tausenden versteckt haben. Sie können überall lauern, an jedem Weg, in jedem Haus. Auf der Hauptstraße, die nach Bartella führt, sind mehrfach Krater zu sehen, Spuren von Explosionen. Am Straßenrand haben Soldaten entschärfte Minen einfach liegen gelassen. Rote Fähnchen warnen davor, wo noch scharfe Sprengfallen versteckt sind. Autofahrer achten genau darauf, dass sie nicht von der Fahrbahn abkommen.
Vom alten Leben bleibt wenig
Maath, Angehöriger der Schabak, will trotzdem so schnell wie möglich zurück. "Wenn die irakische Armee mich ließe, würde ich jetzt bleiben", sagt er, obwohl die Front nur wenige Kilometer entfernt ist. Aber auch Maath muss zugeben, dass er sein Haus zwar gesehen, aber nicht betreten hat - zu groß die Angst vor Sprengsätzen.
Und überhaupt, es gibt fast nichts in Bartella, was ein normales Leben zulassen würde: keinen Strom, keine Läden, keine Sicherheit. So sieht es auch in den umliegenden Dörfern aus. Wenn überhaupt kehren die Menschen nur kurz zurück, um zu holen, was von ihren Habseligkeiten nach so langer Zeit noch übrig geblieben ist.
So wie Mahmud Abbas Mahmud, ein 50-Jähriger, der mit Frau und Söhnen gerade aus seinem vor kurzem befreiten Heimatdorf in der Nähe kommt. Auf der Ladefläche eines Pick-ups haben sie verstaut, was sie in ihrem Haus noch finden konnten: Matratzen, dreckige Decken, Reste einer Küche und eine alte Mikrowelle. Er sei traurig und enttäuscht, sagt Mahmud, und seine Frau erzählt, dass sie früher 100 Hühner besessen hätten.
Mahmud holt ein Handy heraus und zeigt Fotos seines Hauses, die er gerade aufgenommen hat. Er hat weniger Glück gehabt als Maath: Der ganze hintere Teil des Gebäudes ist in sich zusammengefallen. Für Mahmud steht fest: "Daesh hat es zerstört."
Quelle: ntv.de, Jan Kuhlmann, dpa