"SPD hat Gespür verloren" Fehlersuche nach Wahldebakel
10.10.2009, 14:38 UhrNach ihrem Debakel bei der Bundestagswahl diskutiert die SPD über ihren künftigen Weg. Nach Meinung des Berliner Regierenden Bürgermeisters Wowereit hat die Partei den Kontakt zu weiten Teilen der Bevölkerung verloren. Sie müsse wieder eine Sprache finden, die jeder verstehe, sagt er.

"Wir müssen auch Emotionen weitertragen": Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit auf dem SPD-Landesparteitag in Berlin.
(Foto: dpa)
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat seiner Partei mangelnde Glaubwürdigkeit und zu wenig Gespür für weite Teile des Bevölkerung vorgehalten. Die SPD habe außerdem zu wenig Machtoptionen, sagte Wowereit auf dem Landesparteitag in Berlin. "Wir müssen auch Emotionen weitertragen, wir müssen wieder eine Sprache finden, die jeder versteht." Wowereit forderte Änderungen an den Hartz-Arbeitsmarktreformen und eine Abkehr von der Rente mit 67. Auch ein Regierungsbündnis mit der Linkspartei dürfe kein Tabu bleiben. In Berlin hatte die SPD bei der Wahl vor zwei Wochen mit einem Minus von 14,1 Prozentpunkten noch stärker verloren als bundesweit und nur noch 20,2 Prozent erreicht - genausoviel wie die Linkspartei.
Wowereit rief dazu auf, für das Desaster bei der jüngsten Bundestagswahl nicht die scheidende Parteispitze um Franz Müntefering haftbar zu machen. "Es ist kein Ergebnis, das ein Einzelner, eine Einzelne zu verantworten hat", sagte er. Er rief zur Solidarität mit dem gescheiterten Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier auf. Als Ursache der Wahlniederlage sah Wowereit einen zu defensiven Wahlkampf. "Wir waren zu beliebig. Wir wollten Schwarz-Gelb verhindern, aber wir standen nicht für etwas."
Wowereit: Müssen Gefühle ernst nehmen
Auch die SPD-Ortsvereine hätten den Kontakt zu vielen gesellschaftlichen Organisationen verloren, zudem hätten die Gewerkschaften die Sozialdemokraten im Wahlkampf zu wenig unterstützt. Gemeinsam mit dem Berliner Landesvorsitzenden Michael Müller rief Wowereit zu einer innerparteilichen Debatte über die Ursachen des Wahldebakels vom 27. September auf. Er schränkte ein, es bleibe nicht viel Zeit für die Debatte, denn die SPD müsse im Mai die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewinnen und sich mit offenen Flügelkämpfen zurückhalten.
Der für einen Vize-Posten im Bundesvorstand nominierte Wowereit mahnte, die SPD müsse Gefühle der Menschen wieder zur Kenntnis nehmen, auch wenn manchmal wissenschaftlich oder mathematisch anderes ratsam wäre. "Wenn die Rente mit 67 so ein Reizwort ist in weiten Teilen der Bevölkerung, dann sollten wir es doch endlich mal beenden, dieses Thema." Es gehe schließlich auch um Gerechtigkeitsfragen. Deshalb müssten langjährige Beitragszahler auch das lohnbezogene Arbeitslosengeld I länger erhalten. Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sprach sich in der Berliner Tageszeitung "B.Z. am Sonntag" für die Verbesserung und Verstärkung bereits bestehender Ausnahmen aus; bei der Entscheidung für die Rente mit 67 solle es jedoch grundsätzlich bleiben, sagte er.
Thierse hält an Agenda 2010 fest
Thierse warnte seine Partei vor einer Abkehr von der Agenda 2010. Vielmehr gehe es "in Treue zur bisherigen Politik um notwendige Korrekturen, ohne die bisherige politische Linie verraten zu müssen", sagte er der Zeitung. Die SPD dürfe nicht die Mitte aufgeben, sonst verliere sie ihre Mehrheitsfähigkeit. "Die SPD ganz nach links zu führen, wäre ein Holzweg", warnte Thierse.
Für eine mögliche gemeinsame Regierung von SPD und Linkspartei muss sich nach Wowereits Ansicht in erster Linie die Linkspartei bewegen. "Wir sind eine linke Volkspartei und müssen nicht nach links rücken." Auch der noch amtierende Vizekanzler Steinmeier sieht für eine rot-rote Annäherung vor allem die Linke in der Pflicht. "Nicht die SPD muss sich öffnen - die Linkspartei muss ihre Positionen klären und verändern, wenn sie eines Tages für uns auch im Bund koalitionsfähig werden will", sagte der frisch gekürte SPD-Fraktionschef der "Passauer Neuen Presse".
Kraft warnt vor Lohndumping
Die NRW-Landeschefin Hannelore Kraft forderte unterdessen Korrekturen an den im Rahmen der Hartz-Reformen beschlossenen Regelungen zur Leih- und Zeitarbeit. "Das Instrument, das wir geschaffen haben, wird von einigen Unternehmen missbraucht zum Lohndumping", sagte Kraft dem "Hamburger Abendblatt". Allerdings habe es bei der Umsetzung der Agenda 2010 des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) auch viele sinnvolle Punkte gegeben, zum Beispiel den Ausbau der Ganztagesschulen und die BAföG-Reform.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP