Zu niedrige Regelleistung Richter rechnen Hartz IV nach
25.04.2012, 18:44 UhrDie 2011 neu geregelten Hartz-IV-Sätze sind nach Ansicht von Richtern des Berliner Sozialgerichts zu niedrig und deshalb verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe "den Aspekt der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unzureichend gewürdigt", entscheiden die drei Richter und legen die Regelung dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor.
Das Bundesverfassungsgericht wird sich erneut mit der Höhe der Hartz-IV-Leistungen befassen müssen. Wie das Sozialgericht Berlin entschied, sind die aktuell gültigen Regelleistungen um 36 Euro zu niedrig und daher verfassungswidrig. Das menschenwürdige Existenzminimum sei nicht gewährleistet. Daher legte das Sozialgericht eine Klage dem Bundesverfassungsgericht vor.
Im Streitfall hatte eine dreiköpfige Familie aus Berlin-Neukölln erklärt, sie komme mit ihren Hartz-IV-Leistungen nicht hin. Die Regelleistung für einen Alleinstehenden liegt derzeit bei 374 Euro pro Monat, der Partner bekommt 337 Euro. Im konkreten Fall wurden zusätzlich 287 Euro für den 16-jährigen Sohn berücksichtigt, zudem Kosten für Unterkunft und Heizung. Darauf rechnete das Jobcenter aber das Kindergeld und weitere Einkünfte an, so dass der Familie seit Jahresbeginn monatlich 439,10 Euro ausgezahlt werden.
Besonderer Bedarf von Familien
Das Sozialgericht kam zu der Überzeugung, dass die Familie zwar nach den gültigen Vorschriften keine höheren Leistungen beanspruchen könne. Diese Vorschriften seien aber verfassungswidrig. Das Gericht kritisierte, dass sämtliche Berechnungen auf dem Ausgabeverhalten Alleinstehender beruhten. Dies lasse "keinen Schluss auf die besondere Bedarfslage von Familien zu".
Die Berechnungen beruhen auf den Einkünften und Ausgaben der untersten 15 Prozent der Alleinstehenden. Diese sogenannte Referenzgruppe sei willkürlich gewählt, rügte das Sozialgericht. Sie umfasse zudem Menschen, deren Existenzminimum nicht gedeckt ist. Und sogar die Ausgaben der Ärmsten seien für die Hartz-IV-Berechnung "nicht nachvollziehbar" um verschiedene Posten gekürzt worden, etwa Alkohol und Schnittblumen. Dies verkenne, dass das Existenzminimum auch Geld für zwischenmenschliche Kontakte umfassen müsse.
Sparen unmöglich
Dass die Leistungen ausreichten, um auch Geld für langlebige Gebrauchsgüter wie etwa Waschmaschinen anzusparen sei nicht einmal statistisch belegt, so das Gericht weiter. Der klagenden Familie fehlten insgesamt etwa 100 Euro pro Monat, die Regelleistung für Alleinstehende sei um 36,07 Euro zu gering.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits am 9. Februar 2010 die damaligen Hartz-IV-Leistungen als verfassungswidrig verworfen und eine transparente Berechnung verlangt. Die Regelleistung für Alleinerziehende war daraufhin Anfang 2011 um fünf und Anfang 2012 um weitere zehn Euro erhöht worden. Zudem können Kinder nun ergänzend sogenannte Teilhabeleistungen beanspruchen, etwa für ihren Mitgliedsbeitrag im Sportverein.
In einem Ende März zu einem anderen Fall gefällten Urteil hatte eine andere Kammer des Sozialgerichts die derzeitigen Hartz-IV-Leistungen noch für ausreichend gehalten.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßten den Beschluss. Insbesondere die Leistungen für Kinder seien völlig unzureichend und beruhten auf einem "statistischen Schrotthaufen", erklärte der Paritätische in Berlin.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa