Russland fühlt sich von Kiew provoziert Stadt Slawjansk verhängt Ausgangssperre
20.04.2014, 12:21 Uhr
Nach der Schießerei: Ausgebrannte Autos nahe der prorussischen Kontrollstelle bei Slawjansk.
(Foto: REUTERS)
Wer steckt hinter dem Angriff auf prorussische Aktivisten im Osten der Ukraine? Für Russland ist die Sache klar: Nationalisten und Extremisten seien es gewesen und die Regierung in Kiew zumindest mitverantwortlich. Die Genfer Vereinbarung steht schon wieder auf dem Spiel.
Nach einem tödlichen Schusswechsel nahe der ostukrainischen Stadt Slawjansk hat Russland der Ukraine einen Verstoß gegen die Genfer Vereinbarung zur Entschärfung der Krise vorgeworfen. Das russische Außenministerium äußerte sich in einer Erklärung empört und sprach von einer "Provokation". Der Vorfall zeige den "mangelnden Willen der Behörden in Kiew, Nationalisten und Extremisten im Zaum zu halten und zu entwaffnen".
Prorussische Kräfte verhängten eine Ausgangssperre über Slawjansk. "Zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh ist es verboten, die Straßen zu nutzen", sagte der selbsternannte Bürgermeister der Hochburg prorussischer Kräfte, Wjatscheslaw Ponomarew, vor Journalisten. Ponomarew rief den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, Friedenstruppen in die Ostukraine zu schicken, um die Bevölkerung vor "Faschisten" zu schützen. Ein Lautsprecherwagen fuhr am Nachmittag durch die Stadt, um die Ausgangssperre auszurufen.
Ponomarew erklärte, die Bevölkerung von Slawjansk werde durch die rechtsextreme ukrainische Bewegung Prawy Sektor (Rechter Sektor) bedroht. Diese sei auch für die Schießerei verantwortlich. Auch russische Medien machen rechtsgesinnte Ukrainer für den Angriff verantwortlich. Allerdings gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob dies der Wahrheit entspricht. Auch über die Zahl der Opfer gibt es widersprüchliche Angaben. Während die angegriffenen Aktivisten von vier Toten sprechen, wollten die Behörden in Kiew nur ein Todesopfer bestätigen. Zunächst war sogar von fünf Toten die Rede gewesen.
Kiew dementiert Einsatz
Das Innenministerium in Kiew teilte mit, dass es keinen offiziellen Einsatz in Slawjansk gegen die bewaffneten Aktivisten gegeben habe. Vielmehr seien zwei Bürgergruppierungen aufeinander losgegangen. Die Lage in der Stadt sei nicht unter Kontrolle. Demnach hatten prorussische Uniformierte nach der Besetzung der örtlichen Polizeistation 400 Waffen an Bürger ausgeteilt. "Das führt zu Toten und Verletzten", hieß es in der Mitteilung des Ministeriums. Das ukrainische Außenressort warf Russland vor, voreilig Rückschlüsse gezogen zu haben.
Nahe der Stadt Slawjansk war einem russischen TV-Bericht zufolge ein Stützpunkt prorussischer Separatisten angegriffen worden. Der staatliche Sender Rossiya 24 berichtete, Bewaffnete hätten die Kontrollstelle beschossen. Slawjansk wird von den prorussischen Separatisten kontrolliert. Laut dem russischen Staatssender "Russia Today" fuhren die Angreifer mit vier Autos vor dem Stützpunkt vor und eröffneten das Feuer, das demnach sogleich erwidert wurde.

Prorussische Kräfte bewachen eine Sandsackbarriere am Rathaus von Slawjansk (Archivbild).
(Foto: REUTERS)
Am Samstag hatte die ukrainische Regierung angekündigt, während der Osterfeiertage nicht gegen die Separatisten im Osten des Landes vorzugehen. Diese zeigten sich unbeugsam und harrten in den besetzten Regierungsgebäuden aus.
Entwaffnung im Norden und Osten
Die ukrainischen Behörden haben unterdessen erstmals nach den Anti-Krisen-Beschlüssen von Genf eine Entwaffnung militanter Uniformierter und gewaltbereiter Aktivsten gemeldet. Innenminister Arsen Awakow teilte in Kiew mit, dass in der Stadt Lugansk drei Menschen mit Maschinengewehren ohne Blutvergießen festgenommen worden seien. Das Innenministerium rief angesichts des Osterfestes die Menschen in der Ost- und in der Westukraine zu Versöhnung und Einheit auf.
In der Stadt Schitomir im Norden des Landes gaben nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes SBU Mitglieder des Rechten Sektors 21 Kisten mit Brandsätzen ab. Die Ultranationalisten waren am Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch im Februar beteiligt. Russland hatte in Genf verlangt, dass auch diese "illegale Kampftruppe der Regierung" entwaffnet werden müsse.
Kreml: kein Einmarsch geplant
Russland hatte vor der Schießerei bei Slawjansk noch betont, keinen Militäreinsatz in der Ukraine vorzubereiten. Präsident Wladimir Putin habe sich zwar eine Vollmacht geben lassen, um russische Bürger in dem krisengeschüttelten Land notfalls zu schützen, sagte ein Kreml-Sprecher im russischen Staatsfernsehen. Allerdings unternehme Russland "nichts, was von Einmarschplänen zeugen würde", sagte er. Die vom Westen kritisierte Stationierung von russischen Streitkräften an der Grenze zur Ukraine hatte der Sprecher in einer anderen TV-Sendung zuvor als Sicherheitsvorkehrung verteidigt.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte eine schnelle Aufstockung der OSZE-Mission in der Ukraine und kündigte dafür deutsche Unterstützung an: "Ihren Einsatz in der Ost-Ukraine unterstützen wir personell und finanziell. Wir setzen uns dafür ein, dass möglichst bald die volle Missionsstärke von 500 Beobachtern erreicht wird", sagte Steinmeier der "Bild am Sonntag".

Putin (r.), Ministerpräsident Medwedew (l.) und dessen Frau Svetlana bei einer Osterfeier in Moskau.
(Foto: REUTERS)
Nach Angaben der ukrainischen Regierung sollten führende Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Ostukraine reisen, um dort mit Mitarbeitern konkrete und praktische Schritte für eine Deeskalation des aktuellen Konflikts einzuleiten.
Auch die Osterfeiern tragen nicht unbedingt zur Entspannung bei: Der Kiewer Patriarch Filaret beschwor in seiner Osterbotschaft die Hilfe Gottes bei der "Wiederauferstehung" der Ukraine und versicherte, der russische "Feind" sei zum Scheitern verurteilt. Der Moskauer Patriarch Kirill rief dagegen die Gläubigen in der Christ-Erlöser-Kathedrale auf, dafür zu beten, dass das "Heilige Russland" nicht zerstört werde.
Spannungen gefährden Wahlen
In vielen Städten der Ostukraine besetzen seit Wochen russisch orientierte bewaffnete Uniformierte zahlreiche öffentliche Gebäude. In Donezk haben Aktivisten sogar eine Volksrepublik ausgerufen. Sie fordern eine Föderalisierung der Ukraine mit Autonomierechten für die russischsprachigen Gebiete. Eine bei internationalen Krisengesprächen in Genf vereinbarte Entwaffnung lehnten sie ab.
Die Spannungen gefährden die für den 25. Mai geplante Präsidentenwahl. Die USA, die EU, Russland und die Ukraine hatten zuvor in Genf beschlossen, dass gewaltbereite Gruppierungen entwaffnet und besetzte öffentliche Gebäude freigegeben werden müssten. Die schwer bewaffneten prorussischen Uniformierten lehnen dies ab. Sie fordern, dass der "gewaltbereite Rechte Sektor sowie andere faschistische Gruppen" ihre Waffen niederlegen. Außerdem verlangten sie eine Freigabe des seit November von prowestlichen Kräften besetzten zentralen Unabhängigkeitsplatzes - dem Maidan - in Kiew.
Quelle: ntv.de, rpe/vpe/dpa/AFP/rts